Gewiß ist dieser Glaube grundlos, aber die Stille des Ortes nährt ihn.
Mitten unter Auskehricht, Resten kauscherer Mit¬ tagsmahlzeiten, mitten unter Gerüchen, welche für ein Land berechnet scheinen, wie der Orient ist mit seinen Rosenwäldern, um sie zu unterdrücken, tönt hier Al¬ les fast wie eine geheime Verabredung, wie ein nächt¬ licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene Nachricht von des wahren Messias endlicher Erschei¬ nung. Stechende Blicke begleiten ein lakonisches, mit humoristischer Freiheit gesprochenes Deutsch. Die Ge¬ sichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmäßigkeiten, die mir aus einem unerklärlich geilen und wuchernden Triebe der jüdischen Natur zu entstehen scheinen, das nachlässige, die Hand in die Hosen gesteckte Hinleh¬ nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack- Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkäuferin mit ihrem angeschwollenen Leibe, kurz alles jüdisch Cha¬ rakteristische trägt in sich einen vielleicht ganz harmlo¬ sen Ausdruck, aber dem bösen Gewissen des Christen, einer jahrtausendjährigen Verschuldung dünkt er wie Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬ vitut der reingekehrten Gasse und den jährlich 14
Rothſchild.
Gewiß iſt dieſer Glaube grundlos, aber die Stille des Ortes naͤhrt ihn.
Mitten unter Auskehricht, Reſten kauſcherer Mit¬ tagsmahlzeiten, mitten unter Geruͤchen, welche fuͤr ein Land berechnet ſcheinen, wie der Orient iſt mit ſeinen Roſenwaͤldern, um ſie zu unterdruͤcken, toͤnt hier Al¬ les faſt wie eine geheime Verabredung, wie ein naͤcht¬ licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene Nachricht von des wahren Meſſias endlicher Erſchei¬ nung. Stechende Blicke begleiten ein lakoniſches, mit humoriſtiſcher Freiheit geſprochenes Deutſch. Die Ge¬ ſichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmaͤßigkeiten, die mir aus einem unerklaͤrlich geilen und wuchernden Triebe der juͤdiſchen Natur zu entſtehen ſcheinen, das nachlaͤſſige, die Hand in die Hoſen geſteckte Hinleh¬ nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack- Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkaͤuferin mit ihrem angeſchwollenen Leibe, kurz alles juͤdiſch Cha¬ rakteriſtiſche traͤgt in ſich einen vielleicht ganz harmlo¬ ſen Ausdruck, aber dem boͤſen Gewiſſen des Chriſten, einer jahrtauſendjaͤhrigen Verſchuldung duͤnkt er wie Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬ vitut der reingekehrten Gaſſe und den jaͤhrlich 14
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0300"n="282"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#g">Rothſchild</hi>.<lb/></fw>Gewiß iſt dieſer Glaube grundlos, aber die Stille des<lb/>
Ortes naͤhrt ihn.</p><lb/><p>Mitten unter Auskehricht, Reſten kauſcherer Mit¬<lb/>
tagsmahlzeiten, mitten unter Geruͤchen, welche fuͤr ein<lb/>
Land berechnet ſcheinen, wie der Orient iſt mit ſeinen<lb/>
Roſenwaͤldern, um ſie zu unterdruͤcken, toͤnt hier Al¬<lb/>
les faſt wie eine geheime Verabredung, wie ein naͤcht¬<lb/>
licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene<lb/>
Nachricht von des wahren Meſſias endlicher Erſchei¬<lb/>
nung. Stechende Blicke begleiten ein lakoniſches, mit<lb/>
humoriſtiſcher Freiheit geſprochenes Deutſch. Die Ge¬<lb/>ſichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmaͤßigkeiten,<lb/>
die mir aus einem unerklaͤrlich geilen und wuchernden<lb/>
Triebe der juͤdiſchen Natur zu entſtehen ſcheinen, das<lb/>
nachlaͤſſige, die Hand in die Hoſen geſteckte Hinleh¬<lb/>
nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack-<lb/>
Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkaͤuferin mit<lb/>
ihrem angeſchwollenen Leibe, kurz alles juͤdiſch Cha¬<lb/>
rakteriſtiſche traͤgt in ſich einen vielleicht ganz harmlo¬<lb/>ſen Ausdruck, aber dem boͤſen Gewiſſen des Chriſten,<lb/>
einer jahrtauſendjaͤhrigen Verſchuldung duͤnkt er wie<lb/>
Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem<lb/>
Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬<lb/>
vitut der reingekehrten Gaſſe und den jaͤhrlich 14<lb/></p></div></body></text></TEI>
[282/0300]
Rothſchild.
Gewiß iſt dieſer Glaube grundlos, aber die Stille des
Ortes naͤhrt ihn.
Mitten unter Auskehricht, Reſten kauſcherer Mit¬
tagsmahlzeiten, mitten unter Geruͤchen, welche fuͤr ein
Land berechnet ſcheinen, wie der Orient iſt mit ſeinen
Roſenwaͤldern, um ſie zu unterdruͤcken, toͤnt hier Al¬
les faſt wie eine geheime Verabredung, wie ein naͤcht¬
licher Ueberfall, wie die eben aus Portugal erhaltene
Nachricht von des wahren Meſſias endlicher Erſchei¬
nung. Stechende Blicke begleiten ein lakoniſches, mit
humoriſtiſcher Freiheit geſprochenes Deutſch. Die Ge¬
ſichtsbildungen mit ihren barocken Unregelmaͤßigkeiten,
die mir aus einem unerklaͤrlich geilen und wuchernden
Triebe der juͤdiſchen Natur zu entſtehen ſcheinen, das
nachlaͤſſige, die Hand in die Hoſen geſteckte Hinleh¬
nen an die rußige Mauer, das wie von Siegellack-
Roth prunkende Antlitz der Kattun-Verkaͤuferin mit
ihrem angeſchwollenen Leibe, kurz alles juͤdiſch Cha¬
rakteriſtiſche traͤgt in ſich einen vielleicht ganz harmlo¬
ſen Ausdruck, aber dem boͤſen Gewiſſen des Chriſten,
einer jahrtauſendjaͤhrigen Verſchuldung duͤnkt er wie
Rache. Den Kopf haben wir voll von abgezapftem
Blute, vom Feuertod, von der mittelalterlichen Ser¬
vitut der reingekehrten Gaſſe und den jaͤhrlich 14
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/300>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.