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[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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die Urne mit Deiner epistolarischen Phönixasche in der Hand, wie ich des Augenblicks lausche, da sich der Vasendeckel--ein Sargdeckel zum Leben--hebe, und der Wundervogel seine goldenen Schwingen ausbreite?

Noch ist Alles, was Du denkst, für mich Traum; in dem Zauber Deines Geistes schlaf' ich wie im Kelche einer Lotosblume. Schon senkt sich auf mein dunkles Auge Dämmerung nieder, nicht Dämmerung zur Nacht, sondern Morgengrauen.

Jeden Deiner Briefe ehr' ich dadurch, daß ich ihn für die Liebe halte, die sich an meinem Grabe opfert. Wie eine Glocke häng' ich dann im brennenden Stuhle des Thurms, und läute fort in meinen bangen, pochenden Herzensschlägen, immer leiser und dumpfer, bis ich schmelzend verstumme.

Mit dem Aschenkruge Deiner Briefe, Geliebte, will ich die Alpenhöhen erklimmen, und hoch über den Wolken die Wimpel meiner Gedanken lustig flaggen lassen. Der kleine Kreis dieser Grotte beengt mich. Ein Glühwurm leuchtet wie aufs weiße Papier. Ein Schmetterling setzt sich wie ein Wetterhahn auf die Fahne meiner Schreibfeder. Eine Nachtigall muthet meinem Sinnen gar zu, daß ich ihre Sangesweise zum

die Urne mit Deiner epistolarischen Phönixasche in der Hand, wie ich des Augenblicks lausche, da sich der Vasendeckel—ein Sargdeckel zum Leben—hebe, und der Wundervogel seine goldenen Schwingen ausbreite?

Noch ist Alles, was Du denkst, für mich Traum; in dem Zauber Deines Geistes schlaf’ ich wie im Kelche einer Lotosblume. Schon senkt sich auf mein dunkles Auge Dämmerung nieder, nicht Dämmerung zur Nacht, sondern Morgengrauen.

Jeden Deiner Briefe ehr’ ich dadurch, daß ich ihn für die Liebe halte, die sich an meinem Grabe opfert. Wie eine Glocke häng’ ich dann im brennenden Stuhle des Thurms, und läute fort in meinen bangen, pochenden Herzensschlägen, immer leiser und dumpfer, bis ich schmelzend verstumme.

Mit dem Aschenkruge Deiner Briefe, Geliebte, will ich die Alpenhöhen erklimmen, und hoch über den Wolken die Wimpel meiner Gedanken lustig flaggen lassen. Der kleine Kreis dieser Grotte beengt mich. Ein Glühwurm leuchtet wie aufs weiße Papier. Ein Schmetterling setzt sich wie ein Wetterhahn auf die Fahne meiner Schreibfeder. Eine Nachtigall muthet meinem Sinnen gar zu, daß ich ihre Sangesweise zum

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[2/0015] die Urne mit Deiner epistolarischen Phönixasche in der Hand, wie ich des Augenblicks lausche, da sich der Vasendeckel—ein Sargdeckel zum Leben—hebe, und der Wundervogel seine goldenen Schwingen ausbreite? Noch ist Alles, was Du denkst, für mich Traum; in dem Zauber Deines Geistes schlaf’ ich wie im Kelche einer Lotosblume. Schon senkt sich auf mein dunkles Auge Dämmerung nieder, nicht Dämmerung zur Nacht, sondern Morgengrauen. Jeden Deiner Briefe ehr’ ich dadurch, daß ich ihn für die Liebe halte, die sich an meinem Grabe opfert. Wie eine Glocke häng’ ich dann im brennenden Stuhle des Thurms, und läute fort in meinen bangen, pochenden Herzensschlägen, immer leiser und dumpfer, bis ich schmelzend verstumme. Mit dem Aschenkruge Deiner Briefe, Geliebte, will ich die Alpenhöhen erklimmen, und hoch über den Wolken die Wimpel meiner Gedanken lustig flaggen lassen. Der kleine Kreis dieser Grotte beengt mich. Ein Glühwurm leuchtet wie aufs weiße Papier. Ein Schmetterling setzt sich wie ein Wetterhahn auf die Fahne meiner Schreibfeder. Eine Nachtigall muthet meinem Sinnen gar zu, daß ich ihre Sangesweise zum

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/15>, abgerufen am 21.11.2024.