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[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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Inzwischen war das sechzehnte Jahrhundert eingetreten. Unser irrender Fuß trug uns auf die Höhen der Alpen. Dort zeigte sich die Dissonanz unserer Gemüther aufs Neue. In weiter Ferne hörten wir Glockenklang und leisen murmelnden Gesang.

"Die Herden sind's, die der Hirt von den Triften zur Senne führt!" bedeutete ich Dein unruhig forschendes Aufhorchen.

"Eine Quelle ist's, oder ein Gießbach, der sich in's Thal stürzt," sagt' ich im bittenden Tone voller Hoffnung, Du würdest eine Schleife um Deinen Schäferhut binden, und mit mir in den Frieden der Ebene ziehen. Dir aber summt es ewig in den Ohren. Du liefest die schneeverhüllten Rücken des Gebirges auf und ab, holtest von tieferen Absprüngen Reiser und grünes Holz, und zündetest ein Feuer an, eine säulenhohe Flamme. Dann riefst Du, es gäbe schon wieder eine historische Erscheinung; über Sachsen sähest Du helle Streiflichter, heute siege die Vernunft und der Denkglaube, alle Glocken Europa's feierten ihren Reformationstag. Als Du nun gar von Epochen und Perioden, von neuen Kirchen und priesterlichen Institutionen anfingst, da unterbrach ich Dich, Dir in Dein liebes, lichtes Auge sehend. Der Apfel dieses Auges war weit von seinem

Inzwischen war das sechzehnte Jahrhundert eingetreten. Unser irrender Fuß trug uns auf die Höhen der Alpen. Dort zeigte sich die Dissonanz unserer Gemüther aufs Neue. In weiter Ferne hörten wir Glockenklang und leisen murmelnden Gesang.

»Die Herden sind’s, die der Hirt von den Triften zur Senne führt!« bedeutete ich Dein unruhig forschendes Aufhorchen.

»Eine Quelle ist’s, oder ein Gießbach, der sich in’s Thal stürzt,« sagt’ ich im bittenden Tone voller Hoffnung, Du würdest eine Schleife um Deinen Schäferhut binden, und mit mir in den Frieden der Ebene ziehen. Dir aber summt es ewig in den Ohren. Du liefest die schneeverhüllten Rücken des Gebirges auf und ab, holtest von tieferen Absprüngen Reiser und grünes Holz, und zündetest ein Feuer an, eine säulenhohe Flamme. Dann riefst Du, es gäbe schon wieder eine historische Erscheinung; über Sachsen sähest Du helle Streiflichter, heute siege die Vernunft und der Denkglaube, alle Glocken Europa’s feierten ihren Reformationstag. Als Du nun gar von Epochen und Perioden, von neuen Kirchen und priesterlichen Institutionen anfingst, da unterbrach ich Dich, Dir in Dein liebes, lichtes Auge sehend. Der Apfel dieses Auges war weit von seinem

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[140/0153] Inzwischen war das sechzehnte Jahrhundert eingetreten. Unser irrender Fuß trug uns auf die Höhen der Alpen. Dort zeigte sich die Dissonanz unserer Gemüther aufs Neue. In weiter Ferne hörten wir Glockenklang und leisen murmelnden Gesang. »Die Herden sind’s, die der Hirt von den Triften zur Senne führt!« bedeutete ich Dein unruhig forschendes Aufhorchen. »Eine Quelle ist’s, oder ein Gießbach, der sich in’s Thal stürzt,« sagt’ ich im bittenden Tone voller Hoffnung, Du würdest eine Schleife um Deinen Schäferhut binden, und mit mir in den Frieden der Ebene ziehen. Dir aber summt es ewig in den Ohren. Du liefest die schneeverhüllten Rücken des Gebirges auf und ab, holtest von tieferen Absprüngen Reiser und grünes Holz, und zündetest ein Feuer an, eine säulenhohe Flamme. Dann riefst Du, es gäbe schon wieder eine historische Erscheinung; über Sachsen sähest Du helle Streiflichter, heute siege die Vernunft und der Denkglaube, alle Glocken Europa’s feierten ihren Reformationstag. Als Du nun gar von Epochen und Perioden, von neuen Kirchen und priesterlichen Institutionen anfingst, da unterbrach ich Dich, Dir in Dein liebes, lichtes Auge sehend. Der Apfel dieses Auges war weit von seinem

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/153>, abgerufen am 24.11.2024.