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[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

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Einfluß der Religion auf die Individualität der Völker, über die Nothwendigkeit gewisser theokratischer Lebensformen, gehören hierher. Du weißt, ich war einmal ein leidenschaftlicher Verehrer dieser Ansichten. Du tolles, unruhiges Weib, nanntest mich damals einen Quietisten, und wolltest mich stricken lehren. Auf einer Reise wollt' ich Dir die Beweise vorbringen. Wir durchstrichen die deutschen Gauen, gingen immer nur Flußgebieten und Bergrücken nach, suchten und forschten nach den natürlichen Gränzen der einzelnen deutschen Staaten. In den tiefsten Gegenden lauschten wir, ob wir nicht wo die Quellen der sogenannten alten Naturempfindung sprudeln hörten. Springruthen legten wir des Tages wohl zu hundert Malen an, ob uns nicht wo die sogenannten historischen Bedingungen wie Erz und Silber entgegenblinkten, aber die Brüste der Mutter Natur waren schlaff und ausgeleert. Mitten unter duftigen Rebenhügeln, unter winkenden, dunkelblauen Trauben lagen ihre Söhne. Es ist wahr, die Glocken läuteten zur Kirche, es war ein schöner Sonntagsnachmittag, sie hielten alte und neue, Paul Gerhard'sche und Witschel'sche Gesangbücher unterm Arm, aber, wie in der norwegischen Heimath unseres Ideenmentors, waren sie berauscht von einem Tranke, dessen Namen ich in Deiner

Einfluß der Religion auf die Individualität der Völker, über die Nothwendigkeit gewisser theokratischer Lebensformen, gehören hierher. Du weißt, ich war einmal ein leidenschaftlicher Verehrer dieser Ansichten. Du tolles, unruhiges Weib, nanntest mich damals einen Quietisten, und wolltest mich stricken lehren. Auf einer Reise wollt’ ich Dir die Beweise vorbringen. Wir durchstrichen die deutschen Gauen, gingen immer nur Flußgebieten und Bergrücken nach, suchten und forschten nach den natürlichen Gränzen der einzelnen deutschen Staaten. In den tiefsten Gegenden lauschten wir, ob wir nicht wo die Quellen der sogenannten alten Naturempfindung sprudeln hörten. Springruthen legten wir des Tages wohl zu hundert Malen an, ob uns nicht wo die sogenannten historischen Bedingungen wie Erz und Silber entgegenblinkten, aber die Brüste der Mutter Natur waren schlaff und ausgeleert. Mitten unter duftigen Rebenhügeln, unter winkenden, dunkelblauen Trauben lagen ihre Söhne. Es ist wahr, die Glocken läuteten zur Kirche, es war ein schöner Sonntagsnachmittag, sie hielten alte und neue, Paul Gerhard’sche und Witschel’sche Gesangbücher unterm Arm, aber, wie in der norwegischen Heimath unseres Ideenmentors, waren sie berauscht von einem Tranke, dessen Namen ich in Deiner

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[162/0175] Einfluß der Religion auf die Individualität der Völker, über die Nothwendigkeit gewisser theokratischer Lebensformen, gehören hierher. Du weißt, ich war einmal ein leidenschaftlicher Verehrer dieser Ansichten. Du tolles, unruhiges Weib, nanntest mich damals einen Quietisten, und wolltest mich stricken lehren. Auf einer Reise wollt’ ich Dir die Beweise vorbringen. Wir durchstrichen die deutschen Gauen, gingen immer nur Flußgebieten und Bergrücken nach, suchten und forschten nach den natürlichen Gränzen der einzelnen deutschen Staaten. In den tiefsten Gegenden lauschten wir, ob wir nicht wo die Quellen der sogenannten alten Naturempfindung sprudeln hörten. Springruthen legten wir des Tages wohl zu hundert Malen an, ob uns nicht wo die sogenannten historischen Bedingungen wie Erz und Silber entgegenblinkten, aber die Brüste der Mutter Natur waren schlaff und ausgeleert. Mitten unter duftigen Rebenhügeln, unter winkenden, dunkelblauen Trauben lagen ihre Söhne. Es ist wahr, die Glocken läuteten zur Kirche, es war ein schöner Sonntagsnachmittag, sie hielten alte und neue, Paul Gerhard’sche und Witschel’sche Gesangbücher unterm Arm, aber, wie in der norwegischen Heimath unseres Ideenmentors, waren sie berauscht von einem Tranke, dessen Namen ich in Deiner

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Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/175>, abgerufen am 24.11.2024.