[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.der Antike, wie sie ursprünglich war, erreicht und ergänzt hast? Laß uns nie die Bände der Weltgeschichte überspringen, sondern nur so handeln, wie es der gestrige Tag dem heutigen befohlen! Ein Ganzes weist Dir die Geschichte der Menschheit so lange nicht nach, bis sie selbst ihren Lauf vollendet hat. Der Gedanke mag seinen Mittelpunkt und vollkommenen Umkreis in dem ihn denkenden Geiste finden, aber die That wird ewig Torso bleiben. Kann denn eine Blume ewig blühen? Hat nicht die Natur dafür gesorgt, daß jeder Tag eine neue, nur an ihm blühende aufzuweisen hat, gleichsam seinen Blumenheiligen? Wenn wir nun wirklich unser beiderseitiges Dasein zu einem Ganzen zusammenfügen wollten, wie sollen wir wissen, daß wir so dem Ideale der Humanität näher stehen, als wenn von uns Beiden Jeder sich für sich behielte? Ich habe mich in meinem Leben unendlich oft verwandelt, und bin nicht nur dabei stets derselbe geblieben, sondern habe mich auch dem Wesen des göttlichen Geistes näher gefühlt, als wenn ich mir einen unveränderlichen Normalzustand angeschafft hätte. Ich habe oft heute da Ja gesagt, wo ich morgen Nein sagte, und das hat mich unendlich mehr erquickt, als eine entschiedene Meinung. Ich glaube an die Palme als das allein der Antike, wie sie ursprünglich war, erreicht und ergänzt hast? Laß uns nie die Bände der Weltgeschichte überspringen, sondern nur so handeln, wie es der gestrige Tag dem heutigen befohlen! Ein Ganzes weist Dir die Geschichte der Menschheit so lange nicht nach, bis sie selbst ihren Lauf vollendet hat. Der Gedanke mag seinen Mittelpunkt und vollkommenen Umkreis in dem ihn denkenden Geiste finden, aber die That wird ewig Torso bleiben. Kann denn eine Blume ewig blühen? Hat nicht die Natur dafür gesorgt, daß jeder Tag eine neue, nur an ihm blühende aufzuweisen hat, gleichsam seinen Blumenheiligen? Wenn wir nun wirklich unser beiderseitiges Dasein zu einem Ganzen zusammenfügen wollten, wie sollen wir wissen, daß wir so dem Ideale der Humanität näher stehen, als wenn von uns Beiden Jeder sich für sich behielte? Ich habe mich in meinem Leben unendlich oft verwandelt, und bin nicht nur dabei stets derselbe geblieben, sondern habe mich auch dem Wesen des göttlichen Geistes näher gefühlt, als wenn ich mir einen unveränderlichen Normalzustand angeschafft hätte. Ich habe oft heute da Ja gesagt, wo ich morgen Nein sagte, und das hat mich unendlich mehr erquickt, als eine entschiedene Meinung. Ich glaube an die Palme als das allein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0237" n="224"/> der Antike, wie sie ursprünglich war, erreicht und ergänzt hast?</p> <p>Laß uns nie die Bände der Weltgeschichte überspringen, sondern nur so handeln, wie es der gestrige Tag dem heutigen befohlen! Ein Ganzes weist Dir die Geschichte der Menschheit so lange nicht nach, bis sie selbst ihren Lauf vollendet hat. Der Gedanke mag seinen Mittelpunkt und vollkommenen Umkreis in dem ihn denkenden Geiste finden, aber die That wird ewig Torso bleiben. Kann denn eine Blume ewig blühen? Hat nicht die Natur dafür gesorgt, daß jeder Tag eine neue, nur an ihm blühende aufzuweisen hat, gleichsam seinen Blumenheiligen? Wenn wir nun wirklich unser beiderseitiges Dasein zu einem Ganzen zusammenfügen wollten, wie sollen wir wissen, daß wir so dem Ideale der Humanität näher stehen, als wenn von uns Beiden Jeder sich für sich behielte? Ich habe mich in meinem Leben unendlich oft verwandelt, und bin nicht nur dabei stets derselbe geblieben, sondern habe mich auch dem Wesen des göttlichen Geistes näher gefühlt, als wenn ich mir einen unveränderlichen Normalzustand angeschafft hätte. Ich habe oft heute da Ja gesagt, wo ich morgen Nein sagte, und das hat mich unendlich mehr erquickt, als eine entschiedene Meinung. Ich glaube an die Palme als das allein </p> </div> </body> </text> </TEI> [224/0237]
der Antike, wie sie ursprünglich war, erreicht und ergänzt hast?
Laß uns nie die Bände der Weltgeschichte überspringen, sondern nur so handeln, wie es der gestrige Tag dem heutigen befohlen! Ein Ganzes weist Dir die Geschichte der Menschheit so lange nicht nach, bis sie selbst ihren Lauf vollendet hat. Der Gedanke mag seinen Mittelpunkt und vollkommenen Umkreis in dem ihn denkenden Geiste finden, aber die That wird ewig Torso bleiben. Kann denn eine Blume ewig blühen? Hat nicht die Natur dafür gesorgt, daß jeder Tag eine neue, nur an ihm blühende aufzuweisen hat, gleichsam seinen Blumenheiligen? Wenn wir nun wirklich unser beiderseitiges Dasein zu einem Ganzen zusammenfügen wollten, wie sollen wir wissen, daß wir so dem Ideale der Humanität näher stehen, als wenn von uns Beiden Jeder sich für sich behielte? Ich habe mich in meinem Leben unendlich oft verwandelt, und bin nicht nur dabei stets derselbe geblieben, sondern habe mich auch dem Wesen des göttlichen Geistes näher gefühlt, als wenn ich mir einen unveränderlichen Normalzustand angeschafft hätte. Ich habe oft heute da Ja gesagt, wo ich morgen Nein sagte, und das hat mich unendlich mehr erquickt, als eine entschiedene Meinung. Ich glaube an die Palme als das allein
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts.
(2013-07-01T14:33:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2013-07-01T14:33:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |