Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.

Bild:
<< vorherige Seite

Friedrich der Große wird zwar selbst in Spanien vom Volke auf die Bühne gebracht, und jeder Bauer in Deutschland klebt sein wasserfarbnes Conterfei an die braune Stubenthür, aber wie sehr ich ihn als Doctrinär verehre, und für die demagogischen Gesinnungen, die sich bei ihm überall finden, empfänglich bin, so hör' ich doch immer mit Unwillen, daß man ihn einen Mann des Volkes nennt. Er hat es verkannt. Ich weiß wohl, daß das große Niveau zügellos in seinen Leidenschaften, in Liebe und Haß ist, ja daß es selbst patriotische Absichten falsch auslegt. Karl III. von Spanien, ein Fürst, von dem die Geschichte meldet, daß er ein sehr geschickter Drechsler gewesen ist, wollte sich um Madrid verdient machen, und er konnte nichts Besseres thun, als von den Straßen den berühmten Madrider Koth kehren lassen. Was thaten aber die Einwohner? Sie schrien und beklagten sich, man wolle sie in ihrer Nationalität verletzen. Solche Eigenthümlichkeiten, wie die Liebe zum Schmutz, hat allerdings das Volk, aber ein Feind der Gerechtigkeit ist es nie gewesen. Das läugnete Friedrich; denn er sagte: "Das Volk ist ein aus Widersprüchen zusammengesetztes Ungeheuer, das stürmisch von einem Verbrechen zum andern übergeht, und nach seiner Laune beliebig bald die Tugend, bald das Laster in Schutz

Friedrich der Große wird zwar selbst in Spanien vom Volke auf die Bühne gebracht, und jeder Bauer in Deutschland klebt sein wasserfarbnes Conterfei an die braune Stubenthür, aber wie sehr ich ihn als Doctrinär verehre, und für die demagogischen Gesinnungen, die sich bei ihm überall finden, empfänglich bin, so hör’ ich doch immer mit Unwillen, daß man ihn einen Mann des Volkes nennt. Er hat es verkannt. Ich weiß wohl, daß das große Niveau zügellos in seinen Leidenschaften, in Liebe und Haß ist, ja daß es selbst patriotische Absichten falsch auslegt. Karl III. von Spanien, ein Fürst, von dem die Geschichte meldet, daß er ein sehr geschickter Drechsler gewesen ist, wollte sich um Madrid verdient machen, und er konnte nichts Besseres thun, als von den Straßen den berühmten Madrider Koth kehren lassen. Was thaten aber die Einwohner? Sie schrien und beklagten sich, man wolle sie in ihrer Nationalität verletzen. Solche Eigenthümlichkeiten, wie die Liebe zum Schmutz, hat allerdings das Volk, aber ein Feind der Gerechtigkeit ist es nie gewesen. Das läugnete Friedrich; denn er sagte: "Das Volk ist ein aus Widersprüchen zusammengesetztes Ungeheuer, das stürmisch von einem Verbrechen zum andern übergeht, und nach seiner Laune beliebig bald die Tugend, bald das Laster in Schutz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0274" n="261"/>
        <p> Friedrich der Große wird zwar selbst in Spanien vom Volke auf die Bühne gebracht, und jeder Bauer in Deutschland klebt sein wasserfarbnes Conterfei an die braune Stubenthür, aber wie sehr ich ihn als Doctrinär verehre, und für die demagogischen Gesinnungen, die sich bei ihm überall finden, empfänglich bin, so hör&#x2019; ich doch immer mit Unwillen, daß man ihn einen Mann des Volkes nennt. Er hat es verkannt. Ich weiß wohl, daß das große Niveau zügellos in seinen Leidenschaften, in Liebe und Haß ist, ja daß es selbst patriotische Absichten falsch auslegt. Karl III. von Spanien, ein Fürst, von dem die Geschichte meldet, daß er ein sehr geschickter Drechsler gewesen ist, wollte sich um Madrid verdient machen, und er konnte nichts Besseres thun, als von den Straßen den berühmten Madrider Koth kehren lassen. Was thaten aber die Einwohner? Sie schrien und beklagten sich, man wolle sie in ihrer Nationalität verletzen. Solche Eigenthümlichkeiten, wie die Liebe zum Schmutz, hat allerdings das Volk, aber ein Feind der Gerechtigkeit ist es nie gewesen. Das läugnete Friedrich; denn er sagte: "Das Volk ist ein aus Widersprüchen zusammengesetztes Ungeheuer, das stürmisch von einem Verbrechen zum andern übergeht, und nach seiner Laune beliebig bald die Tugend, bald das Laster in Schutz
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0274] Friedrich der Große wird zwar selbst in Spanien vom Volke auf die Bühne gebracht, und jeder Bauer in Deutschland klebt sein wasserfarbnes Conterfei an die braune Stubenthür, aber wie sehr ich ihn als Doctrinär verehre, und für die demagogischen Gesinnungen, die sich bei ihm überall finden, empfänglich bin, so hör’ ich doch immer mit Unwillen, daß man ihn einen Mann des Volkes nennt. Er hat es verkannt. Ich weiß wohl, daß das große Niveau zügellos in seinen Leidenschaften, in Liebe und Haß ist, ja daß es selbst patriotische Absichten falsch auslegt. Karl III. von Spanien, ein Fürst, von dem die Geschichte meldet, daß er ein sehr geschickter Drechsler gewesen ist, wollte sich um Madrid verdient machen, und er konnte nichts Besseres thun, als von den Straßen den berühmten Madrider Koth kehren lassen. Was thaten aber die Einwohner? Sie schrien und beklagten sich, man wolle sie in ihrer Nationalität verletzen. Solche Eigenthümlichkeiten, wie die Liebe zum Schmutz, hat allerdings das Volk, aber ein Feind der Gerechtigkeit ist es nie gewesen. Das läugnete Friedrich; denn er sagte: "Das Volk ist ein aus Widersprüchen zusammengesetztes Ungeheuer, das stürmisch von einem Verbrechen zum andern übergeht, und nach seiner Laune beliebig bald die Tugend, bald das Laster in Schutz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax des Gutzkow Editionsprojekts. (2013-07-01T14:33:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus dem Gutzkow Editionsprojekt entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-01T14:33:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung vom Markup des Gutzkow Editionsprojekts nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Übergeschriebenes „e“ über „a“, „o“ und „u“ wird als „ä“, „ö“, „ü“ transkribiert.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Zeilenumbrüche innerhalb eines Absatzes werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Zeilengrenzen hinweg werden aufgelöst.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Anmerkungen und Erläuterungen der Herausgeber der Gutzkow-Edition sind im XML mit <ref target="[Ziel]">...</ref> wiedergegeben. [Ziel] benennt die HTM-Datei und den Abschnitt der jeweiligen Erläuterung auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.
  • Druckfehler und andere Fehler der Vorlage wurden in der Transkription behoben. Zu den hierbei vorgenommenen Textänderungen und zu problematischen Textstellen siehe Abschnitt 2.1.1: Textänderungen auf den Seiten des Gutzkow-Editionsprojekts.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/274
Zitationshilfe: [Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_narren_1832/274>, abgerufen am 22.11.2024.