[Gutzkow, Karl]: Briefe eines Narren an eine Närrin. Hamburg, 1832.die gespanntesten Verhältnisse versetzte, beiden Theilen Genüge that? Die Kunst des Temporisirens ist alt. Die erste Lehre des Diplomaten bleibt die: Werde Meister des Augenblicks! Es gibt nun aber bekanntlich keinen Augenblick, und wenn ich ihn gedacht habe, ist er schon zur Vergangenheit geworden, es gibt aber Politik und Minister. Nichts naturgemäßer, als daß diese aufhören, und ich glaube wirklich, das Bedürfniß, ohne Rücksicht und mit Offenheit zu handeln, Treue und Glauben an die Spitze aller öffentlichen Verhandlungen gestellt zu sehen, wird immer allgemeiner. Es ist leicht, sich selbst zu betrügen, aber immer schwerer wird es, Andere zu hintergehen. Nun Oestreich Galizien, Preußen, Posen, und Rußland sogar Litthauen an das neue polnische Königreich abgetreten haben, find' ich Deine Theilnahme, die Du bei diesem Zugeständniß für die Verlegenheit der europäischen Opposition empfindest, allerdings begründet. Man weiß, daß alle drei Mächte zwar nicht den Zustand ihrer Finanzen, aber den Kern ihres Heeres geschwächt haben. Sie haben sogar die Bibel citirt, und von der Sühne alter Frevel gesprochen. Welcher Edelmuth! Welches großartige Beispiel! Bestände die Opposition nur aus deutschen Elementen, vor Rührung und Sentimentalität würde sie sich jetzt die gespanntesten Verhältnisse versetzte, beiden Theilen Genüge that? Die Kunst des Temporisirens ist alt. Die erste Lehre des Diplomaten bleibt die: Werde Meister des Augenblicks! Es gibt nun aber bekanntlich keinen Augenblick, und wenn ich ihn gedacht habe, ist er schon zur Vergangenheit geworden, es gibt aber Politik und Minister. Nichts naturgemäßer, als daß diese aufhören, und ich glaube wirklich, das Bedürfniß, ohne Rücksicht und mit Offenheit zu handeln, Treue und Glauben an die Spitze aller öffentlichen Verhandlungen gestellt zu sehen, wird immer allgemeiner. Es ist leicht, sich selbst zu betrügen, aber immer schwerer wird es, Andere zu hintergehen. Nun Oestreich Galizien, Preußen, Posen, und Rußland sogar Litthauen an das neue polnische Königreich abgetreten haben, find’ ich Deine Theilnahme, die Du bei diesem Zugeständniß für die Verlegenheit der europäischen Opposition empfindest, allerdings begründet. Man weiß, daß alle drei Mächte zwar nicht den Zustand ihrer Finanzen, aber den Kern ihres Heeres geschwächt haben. Sie haben sogar die Bibel citirt, und von der Sühne alter Frevel gesprochen. Welcher Edelmuth! Welches großartige Beispiel! Bestände die Opposition nur aus deutschen Elementen, vor Rührung und Sentimentalität würde sie sich jetzt <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032" n="19"/> die gespanntesten Verhältnisse versetzte, beiden Theilen Genüge that? Die Kunst des Temporisirens ist alt. Die erste Lehre des Diplomaten bleibt die: Werde Meister des Augenblicks! Es gibt nun aber bekanntlich keinen Augenblick, und wenn ich ihn gedacht habe, ist er schon zur Vergangenheit geworden, es gibt aber Politik und Minister. Nichts naturgemäßer, als daß diese aufhören, und ich glaube wirklich, das Bedürfniß, ohne Rücksicht und mit Offenheit zu handeln, Treue und Glauben an die Spitze aller öffentlichen Verhandlungen gestellt zu sehen, wird immer allgemeiner. Es ist leicht, sich selbst zu betrügen, aber immer schwerer wird es, Andere zu hintergehen.</p> <p><ref xml:id="TEXTNunOestreichBISabgetretenhaben" target="BrN3E.htm#ERLNunOestreichBISabgetretenhaben">Nun Oestreich Galizien, Preußen, Posen, und Rußland sogar Litthauen an das neue polnische Königreich abgetreten haben</ref>, find’ ich Deine Theilnahme, die Du bei diesem Zugeständniß für die Verlegenheit der europäischen Opposition empfindest, allerdings begründet. Man weiß, daß alle drei Mächte zwar nicht den Zustand ihrer Finanzen, aber den Kern ihres Heeres geschwächt haben. Sie haben sogar die Bibel citirt, und von der Sühne alter Frevel gesprochen. Welcher Edelmuth! Welches großartige Beispiel! Bestände die Opposition nur aus deutschen Elementen, vor Rührung und Sentimentalität würde sie sich jetzt </p> </div> </body> </text> </TEI> [19/0032]
die gespanntesten Verhältnisse versetzte, beiden Theilen Genüge that? Die Kunst des Temporisirens ist alt. Die erste Lehre des Diplomaten bleibt die: Werde Meister des Augenblicks! Es gibt nun aber bekanntlich keinen Augenblick, und wenn ich ihn gedacht habe, ist er schon zur Vergangenheit geworden, es gibt aber Politik und Minister. Nichts naturgemäßer, als daß diese aufhören, und ich glaube wirklich, das Bedürfniß, ohne Rücksicht und mit Offenheit zu handeln, Treue und Glauben an die Spitze aller öffentlichen Verhandlungen gestellt zu sehen, wird immer allgemeiner. Es ist leicht, sich selbst zu betrügen, aber immer schwerer wird es, Andere zu hintergehen.
Nun Oestreich Galizien, Preußen, Posen, und Rußland sogar Litthauen an das neue polnische Königreich abgetreten haben, find’ ich Deine Theilnahme, die Du bei diesem Zugeständniß für die Verlegenheit der europäischen Opposition empfindest, allerdings begründet. Man weiß, daß alle drei Mächte zwar nicht den Zustand ihrer Finanzen, aber den Kern ihres Heeres geschwächt haben. Sie haben sogar die Bibel citirt, und von der Sühne alter Frevel gesprochen. Welcher Edelmuth! Welches großartige Beispiel! Bestände die Opposition nur aus deutschen Elementen, vor Rührung und Sentimentalität würde sie sich jetzt
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