Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Urtheilen gab es ja genug. Das Leben im Leben ist nicht wie das Leben auf der Bühne. Auf der Bühne scheinen alle handelnden Personen nur einen Zweck zu verfolgen. Nach Bühnengesetzen würde Graf Udo sogleich wieder nach dem Briefe der Frau Edwina Marloff greifen und einen Monolog voll Betrachtungen über Handschriften halten müssen, aber im wirklichen Leben hat Egmont soviel mit seiner Waffenhalle, mit seinem Stalle, mit seinen Gütern, mit seinen Pächtern zu thun, daß ihm die Freiheit der Niederlande zwar nicht mindern Werth behalten haben wird, als dann, wenn er mit Oranien spricht, aber sie beschäftigt seine Gedanken nicht allein. Goethe hat dies "Nebeneinander" in der kleinen Plauderei Egmonts mit Ferdinand über die Pferde und in der gar nicht zur Handlung gehörenden Liebschaft des Schreibers vortrefflich angedeutet.

Endlich setzte sich der Graf in eine Sophaecke. Das in der Ferne in einem zum Hofe hinausliegenden Speisesaal angeordnete abendliche Mahl konnte ihn nicht stören.

Drei Frauengestalten gaukelten vor seinen Augen. Eine voll Unschuld und Lieblichkeit, voll Verstand und Urtheil, die andere eine Sirene, gewiß ein schönes Weib, ohne Zweifel darauf bedacht, sich vor ihm zu rechtfertigen, Scenen zu spielen, ihn zum Wiederkommen zu ver-

Urtheilen gab es ja genug. Das Leben im Leben ist nicht wie das Leben auf der Bühne. Auf der Bühne scheinen alle handelnden Personen nur einen Zweck zu verfolgen. Nach Bühnengesetzen würde Graf Udo sogleich wieder nach dem Briefe der Frau Edwina Marloff greifen und einen Monolog voll Betrachtungen über Handschriften halten müssen, aber im wirklichen Leben hat Egmont soviel mit seiner Waffenhalle, mit seinem Stalle, mit seinen Gütern, mit seinen Pächtern zu thun, daß ihm die Freiheit der Niederlande zwar nicht mindern Werth behalten haben wird, als dann, wenn er mit Oranien spricht, aber sie beschäftigt seine Gedanken nicht allein. Goethe hat dies „Nebeneinander“ in der kleinen Plauderei Egmonts mit Ferdinand über die Pferde und in der gar nicht zur Handlung gehörenden Liebschaft des Schreibers vortrefflich angedeutet.

Endlich setzte sich der Graf in eine Sophaecke. Das in der Ferne in einem zum Hofe hinausliegenden Speisesaal angeordnete abendliche Mahl konnte ihn nicht stören.

Drei Frauengestalten gaukelten vor seinen Augen. Eine voll Unschuld und Lieblichkeit, voll Verstand und Urtheil, die andere eine Sirene, gewiß ein schönes Weib, ohne Zweifel darauf bedacht, sich vor ihm zu rechtfertigen, Scenen zu spielen, ihn zum Wiederkommen zu ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="105"/>
Urtheilen gab es ja genug. Das Leben im Leben ist nicht wie das Leben auf der Bühne. Auf der Bühne scheinen alle handelnden Personen nur einen Zweck zu verfolgen. Nach Bühnengesetzen würde Graf Udo sogleich wieder nach dem Briefe der Frau Edwina Marloff greifen und einen Monolog voll Betrachtungen über Handschriften halten müssen, aber im wirklichen Leben hat <ref xml:id="TEXTEgmont" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLEgmont">Egmont</ref> soviel mit seiner Waffenhalle, mit seinem Stalle, mit seinen Gütern, mit seinen Pächtern zu thun, daß ihm die Freiheit der Niederlande zwar nicht mindern Werth behalten haben wird, als dann, wenn er mit Oranien spricht, aber sie beschäftigt seine Gedanken nicht allein. <ref xml:id="TEXTGoetheBISangedeutet" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLGoetheBISangedeutet">Goethe hat dies &#x201E;Nebeneinander&#x201C; in der kleinen Plauderei Egmonts mit Ferdinand über die Pferde und in der gar nicht zur Handlung gehörenden Liebschaft des Schreibers vortrefflich angedeutet</ref>. </p>
        <p>Endlich setzte sich der Graf in eine Sophaecke. Das in der Ferne in einem zum Hofe hinausliegenden Speisesaal angeordnete abendliche Mahl konnte ihn nicht stören. </p>
        <p>Drei Frauengestalten gaukelten vor seinen Augen. Eine voll Unschuld und Lieblichkeit, voll Verstand und Urtheil, die andere eine Sirene, gewiß ein schönes Weib, ohne Zweifel darauf bedacht, sich vor ihm zu rechtfertigen, Scenen zu spielen, ihn zum Wiederkommen zu ver-
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0111] Urtheilen gab es ja genug. Das Leben im Leben ist nicht wie das Leben auf der Bühne. Auf der Bühne scheinen alle handelnden Personen nur einen Zweck zu verfolgen. Nach Bühnengesetzen würde Graf Udo sogleich wieder nach dem Briefe der Frau Edwina Marloff greifen und einen Monolog voll Betrachtungen über Handschriften halten müssen, aber im wirklichen Leben hat Egmont soviel mit seiner Waffenhalle, mit seinem Stalle, mit seinen Gütern, mit seinen Pächtern zu thun, daß ihm die Freiheit der Niederlande zwar nicht mindern Werth behalten haben wird, als dann, wenn er mit Oranien spricht, aber sie beschäftigt seine Gedanken nicht allein. Goethe hat dies „Nebeneinander“ in der kleinen Plauderei Egmonts mit Ferdinand über die Pferde und in der gar nicht zur Handlung gehörenden Liebschaft des Schreibers vortrefflich angedeutet. Endlich setzte sich der Graf in eine Sophaecke. Das in der Ferne in einem zum Hofe hinausliegenden Speisesaal angeordnete abendliche Mahl konnte ihn nicht stören. Drei Frauengestalten gaukelten vor seinen Augen. Eine voll Unschuld und Lieblichkeit, voll Verstand und Urtheil, die andere eine Sirene, gewiß ein schönes Weib, ohne Zweifel darauf bedacht, sich vor ihm zu rechtfertigen, Scenen zu spielen, ihn zum Wiederkommen zu ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T12:27:44Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T12:27:44Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-1<a>) (2013-07-01T14:33:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/111
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/111>, abgerufen am 21.11.2024.