Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.ausstieß, die im Hause Aufsehen, die Tante erregen konnten. Er verwünschte die Sitzung, er hätte so gern endlich Ottomars Rath gehört. Sollte er sich La Rose anvertrauen? Er las beide Billets. Es hat sie ihr Jemand geschrieben! sagte er laut. Dann dachte er wieder an seines Onkels feine Bildung, des Onkels Belesenheit, seine geistreichen Lebensansichten. Da kamen ihm, wie aus einer verborgenen Kluft, aus den Zeilen warme Luftwellen entgegen. Er sah liebliche Bilder, Erinnerungen an seine Reisen, an die erhabene Natur Südamerikas, an südländische Frauen mit brennenden Augen, die zu ihm hinaufblickten. Er war im Geist versetzt in so manches Abenteuer, in das ihn wider Willen seine anziehende Erscheinung und eine gewisse Weichheit, die ihm eigen war, verstrickt hatte. Die Pariser Romantik beherrscht ganz Südeuropa und Amerika. Für Boz und die neuere deutsche Sittlichkeitsprahlerei in der Poesie fehlte ihm aller Sinn. Gern las er Longfellow. Nur trieb ihn der Hauch der Langenweile, der auf all' diesem Geversel liegt, immer wieder zu den Franzosen zurück. Warum? Konnte er sich nicht auch in dieser Schule jenes stille Gärtchen malen, wo ein auf gesellschaftliche Entsagung angewiesenes Mädchen ihre Welt darin fand, nur die Freude und die Stütze der Ihrigen ausstieß, die im Hause Aufsehen, die Tante erregen konnten. Er verwünschte die Sitzung, er hätte so gern endlich Ottomars Rath gehört. Sollte er sich La Rose anvertrauen? Er las beide Billets. Es hat sie ihr Jemand geschrieben! sagte er laut. Dann dachte er wieder an seines Onkels feine Bildung, des Onkels Belesenheit, seine geistreichen Lebensansichten. Da kamen ihm, wie aus einer verborgenen Kluft, aus den Zeilen warme Luftwellen entgegen. Er sah liebliche Bilder, Erinnerungen an seine Reisen, an die erhabene Natur Südamerikas, an südländische Frauen mit brennenden Augen, die zu ihm hinaufblickten. Er war im Geist versetzt in so manches Abenteuer, in das ihn wider Willen seine anziehende Erscheinung und eine gewisse Weichheit, die ihm eigen war, verstrickt hatte. Die Pariser Romantik beherrscht ganz Südeuropa und Amerika. Für Boz und die neuere deutsche Sittlichkeitsprahlerei in der Poesie fehlte ihm aller Sinn. Gern las er Longfellow. Nur trieb ihn der Hauch der Langenweile, der auf all’ diesem Geversel liegt, immer wieder zu den Franzosen zurück. Warum? Konnte er sich nicht auch in dieser Schule jenes stille Gärtchen malen, wo ein auf gesellschaftliche Entsagung angewiesenes Mädchen ihre Welt darin fand, nur die Freude und die Stütze der Ihrigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="111"/> ausstieß, die im Hause Aufsehen, die Tante erregen konnten. Er verwünschte die Sitzung, er hätte so gern endlich Ottomars Rath gehört. Sollte er sich La Rose anvertrauen? Er las beide Billets. Es hat sie ihr Jemand geschrieben! sagte er laut. Dann dachte er wieder an seines Onkels feine Bildung, des Onkels Belesenheit, seine geistreichen Lebensansichten. Da kamen ihm, wie aus einer verborgenen Kluft, aus den Zeilen warme Luftwellen entgegen. Er sah liebliche Bilder, Erinnerungen an seine Reisen, an die erhabene Natur Südamerikas, an südländische Frauen mit brennenden Augen, die zu ihm hinaufblickten. Er war im Geist versetzt in so manches Abenteuer, in das ihn wider Willen seine anziehende Erscheinung und eine gewisse Weichheit, die ihm eigen war, verstrickt hatte. <ref xml:id="TEXTDiePariserBISAmerika" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLDiePariserBISAmerika">Die Pariser Romantik beherrscht ganz Südeuropa und Amerika</ref>. <ref xml:id="TEXTFuerBozBISSinn" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLFuerBozBISSinn">Für Boz und die neuere deutsche Sittlichkeitsprahlerei in der Poesie fehlte ihm aller Sinn</ref>. Gern las er <ref xml:id="TEXTLongfellow" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLLongfellow">Longfellow</ref>. Nur trieb ihn der Hauch der Langenweile, der auf all’ diesem Geversel liegt, immer wieder zu den Franzosen zurück. </p> <p>Warum? Konnte er sich nicht auch in dieser Schule jenes stille Gärtchen malen, wo ein auf gesellschaftliche Entsagung angewiesenes Mädchen ihre Welt darin fand, nur die Freude und die Stütze der Ihrigen </p> </div> </body> </text> </TEI> [111/0117]
ausstieß, die im Hause Aufsehen, die Tante erregen konnten. Er verwünschte die Sitzung, er hätte so gern endlich Ottomars Rath gehört. Sollte er sich La Rose anvertrauen? Er las beide Billets. Es hat sie ihr Jemand geschrieben! sagte er laut. Dann dachte er wieder an seines Onkels feine Bildung, des Onkels Belesenheit, seine geistreichen Lebensansichten. Da kamen ihm, wie aus einer verborgenen Kluft, aus den Zeilen warme Luftwellen entgegen. Er sah liebliche Bilder, Erinnerungen an seine Reisen, an die erhabene Natur Südamerikas, an südländische Frauen mit brennenden Augen, die zu ihm hinaufblickten. Er war im Geist versetzt in so manches Abenteuer, in das ihn wider Willen seine anziehende Erscheinung und eine gewisse Weichheit, die ihm eigen war, verstrickt hatte. Die Pariser Romantik beherrscht ganz Südeuropa und Amerika. Für Boz und die neuere deutsche Sittlichkeitsprahlerei in der Poesie fehlte ihm aller Sinn. Gern las er Longfellow. Nur trieb ihn der Hauch der Langenweile, der auf all’ diesem Geversel liegt, immer wieder zu den Franzosen zurück.
Warum? Konnte er sich nicht auch in dieser Schule jenes stille Gärtchen malen, wo ein auf gesellschaftliche Entsagung angewiesenes Mädchen ihre Welt darin fand, nur die Freude und die Stütze der Ihrigen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/117>, abgerufen am 16.02.2025. |