Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Stimme, wie sie guten Lehrern eigen ist, das mag schwer auf uns Allen ruhen! Ich glaube, unsere Zeit ist gewissenskrank! Meliora probo, deteriora sequor! Das Bessere und Gute ist erkannt, das Schlechte, Falsche wird gepriesen und angenommen. Heute ist Montag, heute erscheinen keine Blätter. Nun kann man ja wohl sagen, wie in dieser viel zu großen Masse von Zeitungen (jedes Local-Ankündigungsblatt wuchs zu einer Zeitung und zuweilen auf Befehl) ein Wust von Thatsachen und Auffassungen gedankenlos nachgedruckt wird, wo man bei jeder Zeile innehalten und sagen möchte: Aber ist denn das nicht Alles erfunden? Oder: Ist das nicht Alles rücksichtsvoll auf Den und Den und Das und Das? Man lese doch nur diese Notizen über fürstliche Reisen, über Bälle der Großen, über die dabei entfalteten Toiletten! Der liberale Stolz, sich nicht um dergleichen zu kümmern, hat vollkommen aufgehört. Man buhlt nur um Gunst und flüchtige Ehre. Die deutschen Fürsten, durch den Bundestag schon längst zum Abdanken morsch geworden, sind wie neu befestigt! Dann ist das Judenthum nach langer Absperrung wie mit eingestemmten Armen in die Verkehrswelt eingedrungen und hat in den Gründungen und Consortien mit einem auf germanischem Boden ganz neuen Geschrei und mit seinen Geldmitteln das Unglaublichste geleistet. Das Geglaubte, ob es nun Stimme, wie sie guten Lehrern eigen ist, das mag schwer auf uns Allen ruhen! Ich glaube, unsere Zeit ist gewissenskrank! Meliora probo, deteriora sequor! Das Bessere und Gute ist erkannt, das Schlechte, Falsche wird gepriesen und angenommen. Heute ist Montag, heute erscheinen keine Blätter. Nun kann man ja wohl sagen, wie in dieser viel zu großen Masse von Zeitungen (jedes Local-Ankündigungsblatt wuchs zu einer Zeitung und zuweilen auf Befehl) ein Wust von Thatsachen und Auffassungen gedankenlos nachgedruckt wird, wo man bei jeder Zeile innehalten und sagen möchte: Aber ist denn das nicht Alles erfunden? Oder: Ist das nicht Alles rücksichtsvoll auf Den und Den und Das und Das? Man lese doch nur diese Notizen über fürstliche Reisen, über Bälle der Großen, über die dabei entfalteten Toiletten! Der liberale Stolz, sich nicht um dergleichen zu kümmern, hat vollkommen aufgehört. Man buhlt nur um Gunst und flüchtige Ehre. Die deutschen Fürsten, durch den Bundestag schon längst zum Abdanken morsch geworden, sind wie neu befestigt! Dann ist das Judenthum nach langer Absperrung wie mit eingestemmten Armen in die Verkehrswelt eingedrungen und hat in den Gründungen und Consortien mit einem auf germanischem Boden ganz neuen Geschrei und mit seinen Geldmitteln das Unglaublichste geleistet. Das Geglaubte, ob es nun <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0133" n="127"/> Stimme, wie sie guten Lehrern eigen ist, das mag schwer auf uns Allen ruhen! Ich glaube, unsere Zeit ist gewissenskrank! <hi rendition="#aq"><ref xml:id="TEXTMelioraBISsequor" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLmelioraBISsequor">Meliora probo, deteriora sequor</ref>!</hi> Das Bessere und Gute ist erkannt, das Schlechte, Falsche wird gepriesen und angenommen. Heute ist Montag, heute erscheinen keine Blätter. Nun kann man ja wohl sagen, wie in dieser viel zu großen Masse von Zeitungen (<ref xml:id="TEXTjedesBISBefehl" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLjedesBISBefehl">jedes Local-Ankündigungsblatt wuchs zu einer Zeitung und zuweilen auf Befehl</ref>) ein Wust von Thatsachen und Auffassungen gedankenlos nachgedruckt wird, wo man bei jeder Zeile innehalten und sagen möchte: Aber ist denn das nicht Alles erfunden? Oder: Ist das nicht Alles rücksichtsvoll auf Den und Den und Das und Das? Man lese doch nur diese Notizen über fürstliche Reisen, über Bälle der Großen, über die dabei entfalteten Toiletten! Der liberale Stolz, sich nicht um dergleichen zu kümmern, hat vollkommen aufgehört. Man buhlt nur um Gunst und flüchtige Ehre. Die deutschen Fürsten, <ref xml:id="TEXTdurchdenBISbefestigt" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLdurchdenBISbefestigt">durch den Bundestag schon längst zum Abdanken morsch geworden, sind wie neu befestigt</ref>! <ref xml:id="TEXTDannistBISgeleistet" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLDannistBISgeleistet">Dann ist das Judenthum nach langer Absperrung wie mit eingestemmten Armen in die Verkehrswelt eingedrungen und hat in den Gründungen und Consortien mit einem auf germanischem Boden ganz neuen Geschrei und mit seinen Geldmitteln das Unglaublichste geleistet</ref>. Das Geglaubte, ob es nun </p> </div> </body> </text> </TEI> [127/0133]
Stimme, wie sie guten Lehrern eigen ist, das mag schwer auf uns Allen ruhen! Ich glaube, unsere Zeit ist gewissenskrank! Meliora probo, deteriora sequor! Das Bessere und Gute ist erkannt, das Schlechte, Falsche wird gepriesen und angenommen. Heute ist Montag, heute erscheinen keine Blätter. Nun kann man ja wohl sagen, wie in dieser viel zu großen Masse von Zeitungen (jedes Local-Ankündigungsblatt wuchs zu einer Zeitung und zuweilen auf Befehl) ein Wust von Thatsachen und Auffassungen gedankenlos nachgedruckt wird, wo man bei jeder Zeile innehalten und sagen möchte: Aber ist denn das nicht Alles erfunden? Oder: Ist das nicht Alles rücksichtsvoll auf Den und Den und Das und Das? Man lese doch nur diese Notizen über fürstliche Reisen, über Bälle der Großen, über die dabei entfalteten Toiletten! Der liberale Stolz, sich nicht um dergleichen zu kümmern, hat vollkommen aufgehört. Man buhlt nur um Gunst und flüchtige Ehre. Die deutschen Fürsten, durch den Bundestag schon längst zum Abdanken morsch geworden, sind wie neu befestigt! Dann ist das Judenthum nach langer Absperrung wie mit eingestemmten Armen in die Verkehrswelt eingedrungen und hat in den Gründungen und Consortien mit einem auf germanischem Boden ganz neuen Geschrei und mit seinen Geldmitteln das Unglaublichste geleistet. Das Geglaubte, ob es nun
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