Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Wolny stutzte. Er wußte, daß sich Raimund Ehlerdt rühmte, die Liebe des schönsten und gebildetsten Mädchens, Helene Althing, zu besitzen. Lange hatte man in dem vierten Stock des Parkhauses und in dem tannenumfriedeten Atelier Nachsicht mit den Besuchen des jungen Technikers gehabt. Ottomar erzählte, daß der Freche gestern gekommen sei, als die Eltern zufällig ein wenig ausgegangen. Er wäre so zudringlich gewesen, daß sie den Eltern darüber Nichts hatte sagen wollen, am wenigsten den Vater aufreizen, der sich über die Unmöglichkeit, sich in solchen Fällen durch Ohrfeigen und Zurthürhinauswerfen zu helfen, so ärgern konnte, daß er auf Wochen krank wurde. Ottomar kam auf die Ablehnung eines Gesprächs mit Martha zurück und sagte: Aber warum verläßt denn nicht lieber Fräulein Martha ganz Ihr Haus? Sie könnte doch wohl eine ähnliche Stellung in irgend einer andern Familie finden - Das will die Eifersucht unter keiner Bedingung! entgegnete Wolny. Eifersucht will ihr Opfer immer unter Augen haben, will es beobachten auf Schritt und Tritt, will es zuweilen streicheln wie ein Kätzchen, dann zerreißen; denn das Kätzchen bekommt dann die grünen Augen eines Ungethüms, das sich immer größer aufbläht. O, anonyme Briefe sind die Schwimmflossen meines Daseins! Wolny stutzte. Er wußte, daß sich Raimund Ehlerdt rühmte, die Liebe des schönsten und gebildetsten Mädchens, Helene Althing, zu besitzen. Lange hatte man in dem vierten Stock des Parkhauses und in dem tannenumfriedeten Atelier Nachsicht mit den Besuchen des jungen Technikers gehabt. Ottomar erzählte, daß der Freche gestern gekommen sei, als die Eltern zufällig ein wenig ausgegangen. Er wäre so zudringlich gewesen, daß sie den Eltern darüber Nichts hatte sagen wollen, am wenigsten den Vater aufreizen, der sich über die Unmöglichkeit, sich in solchen Fällen durch Ohrfeigen und Zurthürhinauswerfen zu helfen, so ärgern konnte, daß er auf Wochen krank wurde. Ottomar kam auf die Ablehnung eines Gesprächs mit Martha zurück und sagte: Aber warum verläßt denn nicht lieber Fräulein Martha ganz Ihr Haus? Sie könnte doch wohl eine ähnliche Stellung in irgend einer andern Familie finden – Das will die Eifersucht unter keiner Bedingung! entgegnete Wolny. Eifersucht will ihr Opfer immer unter Augen haben, will es beobachten auf Schritt und Tritt, will es zuweilen streicheln wie ein Kätzchen, dann zerreißen; denn das Kätzchen bekommt dann die grünen Augen eines Ungethüms, das sich immer größer aufbläht. O, anonyme Briefe sind die Schwimmflossen meines Daseins! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0140" n="134"/> Wolny stutzte. Er wußte, daß sich Raimund Ehlerdt rühmte, die Liebe des schönsten und gebildetsten Mädchens, Helene Althing, zu besitzen. Lange hatte man in dem vierten Stock des Parkhauses und in dem tannenumfriedeten Atelier Nachsicht mit den Besuchen des jungen Technikers gehabt. Ottomar erzählte, daß der Freche gestern gekommen sei, als die Eltern zufällig ein wenig ausgegangen. Er wäre so zudringlich gewesen, daß sie den Eltern darüber Nichts hatte sagen wollen, am wenigsten den Vater aufreizen, der sich über die Unmöglichkeit, sich in solchen Fällen durch Ohrfeigen und Zurthürhinauswerfen zu helfen, so ärgern konnte, daß er auf Wochen krank wurde. </p> <p>Ottomar kam auf die Ablehnung eines Gesprächs mit Martha zurück und sagte: Aber warum verläßt denn nicht lieber Fräulein Martha ganz Ihr Haus? Sie könnte doch wohl eine ähnliche Stellung in irgend einer andern Familie finden –</p> <p>Das will die Eifersucht unter keiner Bedingung! entgegnete Wolny. Eifersucht will ihr Opfer immer unter Augen haben, will es beobachten auf Schritt und Tritt, will es zuweilen streicheln wie ein Kätzchen, dann zerreißen; denn das Kätzchen bekommt dann die grünen Augen eines Ungethüms, das sich immer größer aufbläht. O, anonyme Briefe sind die Schwimmflossen meines Daseins! </p> </div> </body> </text> </TEI> [134/0140]
Wolny stutzte. Er wußte, daß sich Raimund Ehlerdt rühmte, die Liebe des schönsten und gebildetsten Mädchens, Helene Althing, zu besitzen. Lange hatte man in dem vierten Stock des Parkhauses und in dem tannenumfriedeten Atelier Nachsicht mit den Besuchen des jungen Technikers gehabt. Ottomar erzählte, daß der Freche gestern gekommen sei, als die Eltern zufällig ein wenig ausgegangen. Er wäre so zudringlich gewesen, daß sie den Eltern darüber Nichts hatte sagen wollen, am wenigsten den Vater aufreizen, der sich über die Unmöglichkeit, sich in solchen Fällen durch Ohrfeigen und Zurthürhinauswerfen zu helfen, so ärgern konnte, daß er auf Wochen krank wurde.
Ottomar kam auf die Ablehnung eines Gesprächs mit Martha zurück und sagte: Aber warum verläßt denn nicht lieber Fräulein Martha ganz Ihr Haus? Sie könnte doch wohl eine ähnliche Stellung in irgend einer andern Familie finden –
Das will die Eifersucht unter keiner Bedingung! entgegnete Wolny. Eifersucht will ihr Opfer immer unter Augen haben, will es beobachten auf Schritt und Tritt, will es zuweilen streicheln wie ein Kätzchen, dann zerreißen; denn das Kätzchen bekommt dann die grünen Augen eines Ungethüms, das sich immer größer aufbläht. O, anonyme Briefe sind die Schwimmflossen meines Daseins!
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/140>, abgerufen am 16.02.2025. |