Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Porzia! antwortete Martha, die in diesem Augenblick selbst Porzia war, sich als solche fühlen durfte. Mit demselben hoheitsvollen Auge, derselben klaren Stirn, demselben dunkeln, jetzt von dem weißen Tuch befreiten Haar stand sie da, wie ihre Vorgängerin vor Venedigs Consulta. Schnell war sie zur Hand, um aus einer großen von ihr selbst gestickten geschmackvollen Mappe eine Photographie herauszusuchen. Der Staatsanwalt wollte indeß weiter sprechen, aber der Diener brachte auf einem metallnen Teller einen Brief an die Commerzienräthin, den diese mit krankhaftem Eifer ergriff und mit so auffallender plötzlicher Geistesabwesenheit durchlas, daß sich der Freund des Hauses empfehlen wollte und die endlich gefundene Porzia nur flüchtig und artig gegen "Fräulein Martha" dankend ansah und den Hut ergriff. Ein Anfall - meines Uebels! - hauchte die Commerzienräthin und verließ mit diesen Worten in der That Herrn Stracks, der mit Bedauern nur ein O! sprach, aber seine Rede zu Fräulein Dora so schloß, daß er die Thatsache anwachsen sah, wie sich unter dem Schutz einer falschen Ausbildung des Cultur- und Zeitbewußtseins eine Gefahr zusammenballte, die wie eine Lawine am Splügener Paß, nicht wie ein Schneeklumpen an der Sonne im Stadtpark endigen würde. Porzia! antwortete Martha, die in diesem Augenblick selbst Porzia war, sich als solche fühlen durfte. Mit demselben hoheitsvollen Auge, derselben klaren Stirn, demselben dunkeln, jetzt von dem weißen Tuch befreiten Haar stand sie da, wie ihre Vorgängerin vor Venedigs Consulta. Schnell war sie zur Hand, um aus einer großen von ihr selbst gestickten geschmackvollen Mappe eine Photographie herauszusuchen. Der Staatsanwalt wollte indeß weiter sprechen, aber der Diener brachte auf einem metallnen Teller einen Brief an die Commerzienräthin, den diese mit krankhaftem Eifer ergriff und mit so auffallender plötzlicher Geistesabwesenheit durchlas, daß sich der Freund des Hauses empfehlen wollte und die endlich gefundene Porzia nur flüchtig und artig gegen „Fräulein Martha“ dankend ansah und den Hut ergriff. Ein Anfall – meines Uebels! – hauchte die Commerzienräthin und verließ mit diesen Worten in der That Herrn Stracks, der mit Bedauern nur ein O! sprach, aber seine Rede zu Fräulein Dora so schloß, daß er die Thatsache anwachsen sah, wie sich unter dem Schutz einer falschen Ausbildung des Cultur- und Zeitbewußtseins eine Gefahr zusammenballte, die wie eine Lawine am Splügener Paß, nicht wie ein Schneeklumpen an der Sonne im Stadtpark endigen würde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0154" n="148"/><ref xml:id="TEXTPorziaBISConsulta" type="editorialNote" target="NSer2E.htm#ERLPorziaBISConsulta">Porzia! antwortete Martha, die in diesem Augenblick selbst Porzia war, sich als solche fühlen durfte. Mit demselben hoheitsvollen Auge, derselben klaren Stirn, demselben dunkeln, jetzt von dem weißen Tuch befreiten Haar stand sie da, wie ihre Vorgängerin vor Venedigs Consulta</ref>. </p> <p>Schnell war sie zur Hand, um aus einer großen von ihr selbst gestickten geschmackvollen Mappe eine Photographie herauszusuchen. </p> <p>Der Staatsanwalt wollte indeß weiter sprechen, aber der Diener brachte auf einem metallnen Teller einen Brief an die Commerzienräthin, den diese mit krankhaftem Eifer ergriff und mit so auffallender plötzlicher Geistesabwesenheit durchlas, daß sich der Freund des Hauses empfehlen wollte und die endlich gefundene Porzia nur flüchtig und artig gegen „Fräulein Martha“ dankend ansah und den Hut ergriff. </p> <p>Ein Anfall – meines Uebels! – hauchte die Commerzienräthin und verließ mit diesen Worten in der That Herrn Stracks, der mit Bedauern nur ein O! sprach, aber seine Rede zu Fräulein Dora so schloß, daß er die Thatsache anwachsen sah, wie sich unter dem Schutz einer falschen Ausbildung des Cultur- und Zeitbewußtseins eine Gefahr zusammenballte, die wie eine Lawine am Splügener Paß, nicht wie ein Schneeklumpen an der Sonne im Stadtpark endigen würde. </p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [148/0154]
Porzia! antwortete Martha, die in diesem Augenblick selbst Porzia war, sich als solche fühlen durfte. Mit demselben hoheitsvollen Auge, derselben klaren Stirn, demselben dunkeln, jetzt von dem weißen Tuch befreiten Haar stand sie da, wie ihre Vorgängerin vor Venedigs Consulta.
Schnell war sie zur Hand, um aus einer großen von ihr selbst gestickten geschmackvollen Mappe eine Photographie herauszusuchen.
Der Staatsanwalt wollte indeß weiter sprechen, aber der Diener brachte auf einem metallnen Teller einen Brief an die Commerzienräthin, den diese mit krankhaftem Eifer ergriff und mit so auffallender plötzlicher Geistesabwesenheit durchlas, daß sich der Freund des Hauses empfehlen wollte und die endlich gefundene Porzia nur flüchtig und artig gegen „Fräulein Martha“ dankend ansah und den Hut ergriff.
Ein Anfall – meines Uebels! – hauchte die Commerzienräthin und verließ mit diesen Worten in der That Herrn Stracks, der mit Bedauern nur ein O! sprach, aber seine Rede zu Fräulein Dora so schloß, daß er die Thatsache anwachsen sah, wie sich unter dem Schutz einer falschen Ausbildung des Cultur- und Zeitbewußtseins eine Gefahr zusammenballte, die wie eine Lawine am Splügener Paß, nicht wie ein Schneeklumpen an der Sonne im Stadtpark endigen würde.
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