Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877.Martha blieb die Antwort schuldig. Ich kann nicht zu Tisch gehen, sagte sie, kann nicht unter den fröhlichen Gästen sitzen, kann meinen Bruder und seine Verführer nicht sehen. Gehen Sie zu meiner Frau und bringen Sie ihr diesen Schlüssel. Es ist der richtige zu jenem Schrank! Vielleicht unterhält es sie, selbst darin zu wühlen - Martha fuhr zurück. Aber Wolny war rasch hinaufgegangen, und sie hatte den Schlüssel in der Hand. Zur Commerzienräthin mußte sie sich ohnehin verfügen. Das lag in ihrer Stellung. Aber sie wußte, wie sie oft angefahren wurde: Kommen Sie, um zu sehen, ob ich im Sterben liege? Und wenn sie dann sagte: Ich bleibe keine Stunde länger im Hause! so erhob sich die heftigste Eifersucht und verlangte, daß sie nirgend anderswo in der Welt athmete, als unter ihren Augen. Ich will Euch Beide sehen! Ich will Eure Blicke beobachten! Oder wollen Sie leugnen, daß Sie meinen Mann lieben -! Solche Scenen und Reden erwartete Martha auch jetzt. Ergeben, einem Schatten gleich, schwebte sie zum Schlafgemach ihrer Gebieterin, unentschlossen, ob sie den Schlüssel abgeben sollte oder nicht. Denn gewiß knüpfte sich daran alles das, was besser zu vermeiden war. Sie erhielt von dem Stubenmädchen die Mittheilung, daß die Commerzienräthin keine Störung wünschte, der Martha blieb die Antwort schuldig. Ich kann nicht zu Tisch gehen, sagte sie, kann nicht unter den fröhlichen Gästen sitzen, kann meinen Bruder und seine Verführer nicht sehen. Gehen Sie zu meiner Frau und bringen Sie ihr diesen Schlüssel. Es ist der richtige zu jenem Schrank! Vielleicht unterhält es sie, selbst darin zu wühlen – Martha fuhr zurück. Aber Wolny war rasch hinaufgegangen, und sie hatte den Schlüssel in der Hand. Zur Commerzienräthin mußte sie sich ohnehin verfügen. Das lag in ihrer Stellung. Aber sie wußte, wie sie oft angefahren wurde: Kommen Sie, um zu sehen, ob ich im Sterben liege? Und wenn sie dann sagte: Ich bleibe keine Stunde länger im Hause! so erhob sich die heftigste Eifersucht und verlangte, daß sie nirgend anderswo in der Welt athmete, als unter ihren Augen. Ich will Euch Beide sehen! Ich will Eure Blicke beobachten! Oder wollen Sie leugnen, daß Sie meinen Mann lieben –! Solche Scenen und Reden erwartete Martha auch jetzt. Ergeben, einem Schatten gleich, schwebte sie zum Schlafgemach ihrer Gebieterin, unentschlossen, ob sie den Schlüssel abgeben sollte oder nicht. Denn gewiß knüpfte sich daran alles das, was besser zu vermeiden war. Sie erhielt von dem Stubenmädchen die Mittheilung, daß die Commerzienräthin keine Störung wünschte, der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0265" n="259"/> Martha blieb die Antwort schuldig. Ich kann nicht zu Tisch gehen, sagte sie, kann nicht unter den fröhlichen Gästen sitzen, kann meinen Bruder und seine Verführer nicht sehen. </p> <p>Gehen Sie zu meiner Frau und bringen Sie ihr diesen Schlüssel. Es ist der richtige zu jenem Schrank! Vielleicht unterhält es sie, selbst darin zu wühlen –</p> <p>Martha fuhr zurück. Aber Wolny war rasch hinaufgegangen, und sie hatte den Schlüssel in der Hand. Zur Commerzienräthin mußte sie sich ohnehin verfügen. Das lag in ihrer Stellung. Aber sie wußte, wie sie oft angefahren wurde: Kommen Sie, um zu sehen, ob ich im Sterben liege? Und wenn sie dann sagte: Ich bleibe keine Stunde länger im Hause! so erhob sich die heftigste Eifersucht und verlangte, daß sie nirgend anderswo in der Welt athmete, als unter ihren Augen. Ich will Euch Beide sehen! Ich will Eure Blicke beobachten! Oder wollen Sie leugnen, daß Sie meinen Mann lieben –! Solche Scenen und Reden erwartete Martha auch jetzt. Ergeben, einem Schatten gleich, schwebte sie zum Schlafgemach ihrer Gebieterin, unentschlossen, ob sie den Schlüssel abgeben sollte oder nicht. Denn gewiß knüpfte sich daran alles das, was besser zu vermeiden war. </p> <p>Sie erhielt von dem Stubenmädchen die Mittheilung, daß die Commerzienräthin keine Störung wünschte, der </p> </div> </body> </text> </TEI> [259/0265]
Martha blieb die Antwort schuldig. Ich kann nicht zu Tisch gehen, sagte sie, kann nicht unter den fröhlichen Gästen sitzen, kann meinen Bruder und seine Verführer nicht sehen.
Gehen Sie zu meiner Frau und bringen Sie ihr diesen Schlüssel. Es ist der richtige zu jenem Schrank! Vielleicht unterhält es sie, selbst darin zu wühlen –
Martha fuhr zurück. Aber Wolny war rasch hinaufgegangen, und sie hatte den Schlüssel in der Hand. Zur Commerzienräthin mußte sie sich ohnehin verfügen. Das lag in ihrer Stellung. Aber sie wußte, wie sie oft angefahren wurde: Kommen Sie, um zu sehen, ob ich im Sterben liege? Und wenn sie dann sagte: Ich bleibe keine Stunde länger im Hause! so erhob sich die heftigste Eifersucht und verlangte, daß sie nirgend anderswo in der Welt athmete, als unter ihren Augen. Ich will Euch Beide sehen! Ich will Eure Blicke beobachten! Oder wollen Sie leugnen, daß Sie meinen Mann lieben –! Solche Scenen und Reden erwartete Martha auch jetzt. Ergeben, einem Schatten gleich, schwebte sie zum Schlafgemach ihrer Gebieterin, unentschlossen, ob sie den Schlüssel abgeben sollte oder nicht. Denn gewiß knüpfte sich daran alles das, was besser zu vermeiden war.
Sie erhielt von dem Stubenmädchen die Mittheilung, daß die Commerzienräthin keine Störung wünschte, der
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 1. Breslau, 1877, S. 259. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder01_1877/265>, abgerufen am 17.07.2024. |