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Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877.

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Es war erstaunlich, daß man in der frischen Erinnerung der in der Weltgeschichte unerhörten Erfolge über ein sieggewohntes starkes Volk und der Hingebung, die unsern Siegen vorausging, so sprechen, so schweigen konnte. Es trat eine lange Pause ein. Nur ein Lehrer der Schulliteraturgeschichte räusperte sich, begann von Schiller und Goethe und sprach sein Bedauern über Heinrich von Kleist aus, der sich das Leben genommen und gewiß die deutsche Bühne auf Schillerhöhe erhalten haben würde. Er wollte Klopstock, Stabreim, Nibelungen und Aehnliches hochgehalten wissen. Offenbar suchte er Bahn zu brechen, um das politische Thema zu vermeiden.

Ja, warum nahm sich denn Kleist eigentlich das Leben? brauste einer der Oberlehrer auf, die nun gewonnen Spiel hatten. Wegen der Frau Vogel doch nicht? Daß diese ihn noch zum Mörder machte, weil sie von ihm erschossen sein wollte, war die Folge einer falschen Diagnose über dasselbe Uebel, woran neulich Frau Gabriele Wolny gestorben ist! Er hätte ihr den Todesgedanken ausreden können! Aber die wahre Ursache war, wie Herr Schindler ganz richtig bemerkt, man hatte höchsten Orts keinen Sinn für sein Streben! Seinen letzten so schöngeformten, allen Anforderungen der Bühne ruhig und besonnen entgegenkommenden "Prinzen von Homburg" erklärte man nicht für zulässig! Iffland

Es war erstaunlich, daß man in der frischen Erinnerung der in der Weltgeschichte unerhörten Erfolge über ein sieggewohntes starkes Volk und der Hingebung, die unsern Siegen vorausging, so sprechen, so schweigen konnte. Es trat eine lange Pause ein. Nur ein Lehrer der Schulliteraturgeschichte räusperte sich, begann von Schiller und Goethe und sprach sein Bedauern über Heinrich von Kleist aus, der sich das Leben genommen und gewiß die deutsche Bühne auf Schillerhöhe erhalten haben würde. Er wollte Klopstock, Stabreim, Nibelungen und Aehnliches hochgehalten wissen. Offenbar suchte er Bahn zu brechen, um das politische Thema zu vermeiden.

Ja, warum nahm sich denn Kleist eigentlich das Leben? brauste einer der Oberlehrer auf, die nun gewonnen Spiel hatten. Wegen der Frau Vogel doch nicht? Daß diese ihn noch zum Mörder machte, weil sie von ihm erschossen sein wollte, war die Folge einer falschen Diagnose über dasselbe Uebel, woran neulich Frau Gabriele Wolny gestorben ist! Er hätte ihr den Todesgedanken ausreden können! Aber die wahre Ursache war, wie Herr Schindler ganz richtig bemerkt, man hatte höchsten Orts keinen Sinn für sein Streben! Seinen letzten so schöngeformten, allen Anforderungen der Bühne ruhig und besonnen entgegenkommenden „Prinzen von Homburg“ erklärte man nicht für zulässig! Iffland

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[49/0055] Es war erstaunlich, daß man in der frischen Erinnerung der in der Weltgeschichte unerhörten Erfolge über ein sieggewohntes starkes Volk und der Hingebung, die unsern Siegen vorausging, so sprechen, so schweigen konnte. Es trat eine lange Pause ein. Nur ein Lehrer der Schulliteraturgeschichte räusperte sich, begann von Schiller und Goethe und sprach sein Bedauern über Heinrich von Kleist aus, der sich das Leben genommen und gewiß die deutsche Bühne auf Schillerhöhe erhalten haben würde. Er wollte Klopstock, Stabreim, Nibelungen und Aehnliches hochgehalten wissen. Offenbar suchte er Bahn zu brechen, um das politische Thema zu vermeiden. Ja, warum nahm sich denn Kleist eigentlich das Leben? brauste einer der Oberlehrer auf, die nun gewonnen Spiel hatten. Wegen der Frau Vogel doch nicht? Daß diese ihn noch zum Mörder machte, weil sie von ihm erschossen sein wollte, war die Folge einer falschen Diagnose über dasselbe Uebel, woran neulich Frau Gabriele Wolny gestorben ist! Er hätte ihr den Todesgedanken ausreden können! Aber die wahre Ursache war, wie Herr Schindler ganz richtig bemerkt, man hatte höchsten Orts keinen Sinn für sein Streben! Seinen letzten so schöngeformten, allen Anforderungen der Bühne ruhig und besonnen entgegenkommenden „Prinzen von Homburg“ erklärte man nicht für zulässig! Iffland

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 2. Breslau, 1877, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder02_1877/55>, abgerufen am 21.11.2024.