Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877.

Bild:
<< vorherige Seite

Katzenjammer! entgegnete Raimund. Ja! Ja -! Ihm stand nur die "heruntergekommene", wie er's nannte, einst so hoch thronende Edwina vor Augen.

Das Bereuen vor Andern, fuhr Wolny dringlicher fort, das kann uns gering, selbst unter Umständen verächtlich erscheinen lassen -! Das mag Ihnen die Kirche anrathen. Aber das Bereuen vor uns selbst, das soll uns die Frivolität des Tages nicht umstoßen! Ich nenne Jeden einen Heuchler, einen Großsprecher, der mir sagen will, er hätte nie Ursache gehabt, eine Handlung, eine Aeußerung der Gesinnung zu bereuen! Wer die Bedeutung der Negation im Proceß des Denkens, im philosophischen System anerkennt, muß sie auch für unsere Handlungstriebe gelten lassen, für unsere Ein- und etwaige Umkehr. Ja, lieber Schwager, fuhr der Theilnehmende immer sanft und milde fort, ich verlange die Reue als Material zum Werdeproceß eines normalen Menschen in solchem Grade, daß ich auch Jedem das Recht bestreite, sich in diesen Vorgang im Menschen, wenn derselbe stattfindet, irgendwie einzumischen. Die Religion giebt nur eine Methode der Einkehr an. Ich verwerfe an sich diese Methode. Manchem sagt sie aber zu und sie kann ihm auch nützen. Mir läuft sie auf etwas nur Formelles hinaus, an das man sich anzulehnen hätte. Aber Jeder muß seine eigenste Erhebung für sich

Katzenjammer! entgegnete Raimund. Ja! Ja –! Ihm stand nur die „heruntergekommene“, wie er’s nannte, einst so hoch thronende Edwina vor Augen.

Das Bereuen vor Andern, fuhr Wolny dringlicher fort, das kann uns gering, selbst unter Umständen verächtlich erscheinen lassen –! Das mag Ihnen die Kirche anrathen. Aber das Bereuen vor uns selbst, das soll uns die Frivolität des Tages nicht umstoßen! Ich nenne Jeden einen Heuchler, einen Großsprecher, der mir sagen will, er hätte nie Ursache gehabt, eine Handlung, eine Aeußerung der Gesinnung zu bereuen! Wer die Bedeutung der Negation im Proceß des Denkens, im philosophischen System anerkennt, muß sie auch für unsere Handlungstriebe gelten lassen, für unsere Ein- und etwaige Umkehr. Ja, lieber Schwager, fuhr der Theilnehmende immer sanft und milde fort, ich verlange die Reue als Material zum Werdeproceß eines normalen Menschen in solchem Grade, daß ich auch Jedem das Recht bestreite, sich in diesen Vorgang im Menschen, wenn derselbe stattfindet, irgendwie einzumischen. Die Religion giebt nur eine Methode der Einkehr an. Ich verwerfe an sich diese Methode. Manchem sagt sie aber zu und sie kann ihm auch nützen. Mir läuft sie auf etwas nur Formelles hinaus, an das man sich anzulehnen hätte. Aber Jeder muß seine eigenste Erhebung für sich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0239" n="233"/>
        <p> Katzenjammer! entgegnete Raimund. Ja! Ja &#x2013;! Ihm stand nur die &#x201E;heruntergekommene&#x201C;, wie er&#x2019;s nannte, einst so hoch thronende Edwina vor Augen.</p>
        <p>Das Bereuen vor Andern, fuhr Wolny dringlicher fort, das kann uns gering, selbst unter Umständen verächtlich erscheinen lassen &#x2013;! Das mag Ihnen die Kirche anrathen. Aber das Bereuen vor uns selbst, das soll uns die Frivolität des Tages nicht umstoßen! Ich nenne Jeden einen Heuchler, einen Großsprecher, der mir sagen will, er hätte nie Ursache gehabt, eine Handlung, eine Aeußerung der Gesinnung zu bereuen! Wer die Bedeutung der Negation im Proceß des Denkens, im philosophischen System anerkennt, muß sie auch für unsere Handlungstriebe gelten lassen, für unsere Ein- und etwaige Umkehr. Ja, lieber Schwager, fuhr der Theilnehmende immer sanft und milde fort, ich verlange die Reue als Material zum Werdeproceß eines normalen Menschen in solchem Grade, daß ich auch Jedem das Recht bestreite, sich in diesen Vorgang im Menschen, wenn derselbe stattfindet, irgendwie einzumischen. Die Religion giebt nur eine Methode der Einkehr an. Ich verwerfe an sich diese Methode. Manchem sagt sie aber zu und sie kann ihm auch nützen. Mir läuft sie auf etwas nur Formelles hinaus, an das man sich anzulehnen hätte. Aber Jeder muß seine eigenste Erhebung für sich
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0239] Katzenjammer! entgegnete Raimund. Ja! Ja –! Ihm stand nur die „heruntergekommene“, wie er’s nannte, einst so hoch thronende Edwina vor Augen. Das Bereuen vor Andern, fuhr Wolny dringlicher fort, das kann uns gering, selbst unter Umständen verächtlich erscheinen lassen –! Das mag Ihnen die Kirche anrathen. Aber das Bereuen vor uns selbst, das soll uns die Frivolität des Tages nicht umstoßen! Ich nenne Jeden einen Heuchler, einen Großsprecher, der mir sagen will, er hätte nie Ursache gehabt, eine Handlung, eine Aeußerung der Gesinnung zu bereuen! Wer die Bedeutung der Negation im Proceß des Denkens, im philosophischen System anerkennt, muß sie auch für unsere Handlungstriebe gelten lassen, für unsere Ein- und etwaige Umkehr. Ja, lieber Schwager, fuhr der Theilnehmende immer sanft und milde fort, ich verlange die Reue als Material zum Werdeproceß eines normalen Menschen in solchem Grade, daß ich auch Jedem das Recht bestreite, sich in diesen Vorgang im Menschen, wenn derselbe stattfindet, irgendwie einzumischen. Die Religion giebt nur eine Methode der Einkehr an. Ich verwerfe an sich diese Methode. Manchem sagt sie aber zu und sie kann ihm auch nützen. Mir läuft sie auf etwas nur Formelles hinaus, an das man sich anzulehnen hätte. Aber Jeder muß seine eigenste Erhebung für sich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-02-19T11:57:26Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-02-19T11:57:26Z)
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Yx 17781-3<a>) (2014-02-19T11:57:26Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet
  • Druckfehler: dokumentiert
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet
  • Kustoden: nicht gekennzeichnet
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/239
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die neuen Serapionsbrüder. Bd. 3. Breslau, 1877, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_serapionsbrueder03_1877/239>, abgerufen am 04.12.2024.