Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

gerundet und hier so richtig gezeichnet war, wie je¬
der logische Cirkel ihrer tugendhaften Entschlüsse.
Sie kam sich verächtlich vor, seitdem sie fühlte,
daß sie für die höhere Poesie kein Gegenstand
war. So konnte es nicht mehr fehlen, daß sie
sich bald selbst dazu machte.

Wie oft war sie Cäsarn begegnet! Er blickte
stolz! Er hatte eine Moral, die über der ihren
war! Er konnte das Auge erheben, das Ideale
hub es in ihm! Wally konnte nicht stolz sein,
An ihr schien die Reihe der Schaam zu sein.
Sie fürchtete sich vor Cäsar. Ihre ganze Tu¬
gend war armselig, seitdem sie ihm gleichsam
gesagt hatte, die Tugend könne nur in Verhül¬
lungen bestehen, die Tugend könne nicht nackt
sein. Cäsar hatte an ihr den poetischen Reiz
verloren. Er übersah sie.

Ob es wohl Menschen gibt, dachte Cäsar

gerundet und hier ſo richtig gezeichnet war, wie je¬
der logiſche Cirkel ihrer tugendhaften Entſchlüſſe.
Sie kam ſich verächtlich vor, ſeitdem ſie fühlte,
daß ſie für die höhere Poeſie kein Gegenſtand
war. So konnte es nicht mehr fehlen, daß ſie
ſich bald ſelbſt dazu machte.

Wie oft war ſie Cäſarn begegnet! Er blickte
ſtolz! Er hatte eine Moral, die über der ihren
war! Er konnte das Auge erheben, das Ideale
hub es in ihm! Wally konnte nicht ſtolz ſein,
An ihr ſchien die Reihe der Schaam zu ſein.
Sie fürchtete ſich vor Cäſar. Ihre ganze Tu¬
gend war armſelig, ſeitdem ſie ihm gleichſam
geſagt hatte, die Tugend könne nur in Verhül¬
lungen beſtehen, die Tugend könne nicht nackt
ſein. Cäſar hatte an ihr den poetiſchen Reiz
verloren. Er überſah ſie.

Ob es wohl Menſchen gibt, dachte Cäſar

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0134" n="125"/>
gerundet und hier &#x017F;o richtig gezeichnet war, wie je¬<lb/>
der logi&#x017F;che Cirkel ihrer tugendhaften Ent&#x017F;chlü&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Sie kam &#x017F;ich verächtlich vor, &#x017F;eitdem &#x017F;ie fühlte,<lb/>
daß &#x017F;ie für die höhere Poe&#x017F;ie kein Gegen&#x017F;tand<lb/>
war. So konnte es nicht mehr fehlen, daß &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich bald &#x017F;elb&#x017F;t dazu machte.</p><lb/>
          <p>Wie oft war &#x017F;ie Cä&#x017F;arn begegnet! Er blickte<lb/>
&#x017F;tolz! Er hatte eine Moral, die über der ihren<lb/>
war! Er konnte das Auge erheben, das Ideale<lb/>
hub es in ihm! Wally konnte nicht &#x017F;tolz &#x017F;ein,<lb/>
An ihr &#x017F;chien die Reihe der Schaam zu &#x017F;ein.<lb/>
Sie fürchtete &#x017F;ich vor Cä&#x017F;ar. Ihre ganze Tu¬<lb/>
gend war arm&#x017F;elig, &#x017F;eitdem &#x017F;ie ihm gleich&#x017F;am<lb/>
ge&#x017F;agt hatte, die Tugend könne nur in Verhül¬<lb/>
lungen be&#x017F;tehen, die Tugend könne nicht nackt<lb/>
&#x017F;ein. Cä&#x017F;ar hatte an ihr den poeti&#x017F;chen Reiz<lb/>
verloren. Er über&#x017F;ah &#x017F;ie.</p><lb/>
          <p>Ob es wohl Men&#x017F;chen gibt, dachte Cä&#x017F;ar<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0134] gerundet und hier ſo richtig gezeichnet war, wie je¬ der logiſche Cirkel ihrer tugendhaften Entſchlüſſe. Sie kam ſich verächtlich vor, ſeitdem ſie fühlte, daß ſie für die höhere Poeſie kein Gegenſtand war. So konnte es nicht mehr fehlen, daß ſie ſich bald ſelbſt dazu machte. Wie oft war ſie Cäſarn begegnet! Er blickte ſtolz! Er hatte eine Moral, die über der ihren war! Er konnte das Auge erheben, das Ideale hub es in ihm! Wally konnte nicht ſtolz ſein, An ihr ſchien die Reihe der Schaam zu ſein. Sie fürchtete ſich vor Cäſar. Ihre ganze Tu¬ gend war armſelig, ſeitdem ſie ihm gleichſam geſagt hatte, die Tugend könne nur in Verhül¬ lungen beſtehen, die Tugend könne nicht nackt ſein. Cäſar hatte an ihr den poetiſchen Reiz verloren. Er überſah ſie. Ob es wohl Menſchen gibt, dachte Cäſar

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/134
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/134>, abgerufen am 21.11.2024.