Jeronimo hatte früher eine glänzende Woh¬ nung besessen, jetzt mußte er sich einschränken. Er trat in Paris mit all dem Glanze auf, der der Wiederschein seines Vermögens war; jetzt hatte ihn eine unglückliche Leidenschaft so gebeugt, daß er nicht einmal das Schmerzliche seiner gegenwärtigen Lage empfand. Er däm¬ merte in seiner Idee hin. Er gab Alles seinem Bruder, seitdem er keine Bedürfnisse mehr kannte. Sein ganzes Vermögen wurde Luigi verschrie¬ ben. Zuweilen, am frühsten Morgen, wenn noch keine Seele auf der Straße war, besuchte ihn dieser und stieg die vier Treppen hinauf, über denen Jeronimo wohnte. Denn er wollte nicht, daß sein Bruder irgend einen Groll ge¬ gen ihn faßte. Er gab sich immer das Ansehen,
8.
Jeronimo hatte früher eine glänzende Woh¬ nung beſeſſen, jetzt mußte er ſich einſchränken. Er trat in Paris mit all dem Glanze auf, der der Wiederſchein ſeines Vermögens war; jetzt hatte ihn eine unglückliche Leidenſchaft ſo gebeugt, daß er nicht einmal das Schmerzliche ſeiner gegenwärtigen Lage empfand. Er däm¬ merte in ſeiner Idee hin. Er gab Alles ſeinem Bruder, ſeitdem er keine Bedürfniſſe mehr kannte. Sein ganzes Vermögen wurde Luigi verſchrie¬ ben. Zuweilen, am frühſten Morgen, wenn noch keine Seele auf der Straße war, beſuchte ihn dieſer und ſtieg die vier Treppen hinauf, über denen Jeronimo wohnte. Denn er wollte nicht, daß ſein Bruder irgend einen Groll ge¬ gen ihn faßte. Er gab ſich immer das Anſehen,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0180"n="171"/></div><divn="2"><head>8.<lb/></head><p>Jeronimo hatte früher eine glänzende Woh¬<lb/>
nung beſeſſen, jetzt mußte er ſich einſchränken.<lb/>
Er trat in Paris mit all dem Glanze auf,<lb/>
der der Wiederſchein ſeines Vermögens war;<lb/>
jetzt hatte ihn eine unglückliche Leidenſchaft ſo<lb/>
gebeugt, daß er nicht einmal das Schmerzliche<lb/>ſeiner gegenwärtigen Lage empfand. Er däm¬<lb/>
merte in ſeiner Idee hin. Er gab Alles ſeinem<lb/>
Bruder, ſeitdem er keine Bedürfniſſe mehr kannte.<lb/>
Sein ganzes Vermögen wurde Luigi verſchrie¬<lb/>
ben. Zuweilen, am frühſten Morgen, wenn<lb/>
noch keine Seele auf der Straße war, beſuchte<lb/>
ihn dieſer und ſtieg die vier Treppen hinauf,<lb/>
über denen Jeronimo wohnte. Denn er wollte<lb/>
nicht, daß ſein Bruder irgend einen Groll ge¬<lb/>
gen ihn faßte. Er gab ſich immer das Anſehen,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[171/0180]
8.
Jeronimo hatte früher eine glänzende Woh¬
nung beſeſſen, jetzt mußte er ſich einſchränken.
Er trat in Paris mit all dem Glanze auf,
der der Wiederſchein ſeines Vermögens war;
jetzt hatte ihn eine unglückliche Leidenſchaft ſo
gebeugt, daß er nicht einmal das Schmerzliche
ſeiner gegenwärtigen Lage empfand. Er däm¬
merte in ſeiner Idee hin. Er gab Alles ſeinem
Bruder, ſeitdem er keine Bedürfniſſe mehr kannte.
Sein ganzes Vermögen wurde Luigi verſchrie¬
ben. Zuweilen, am frühſten Morgen, wenn
noch keine Seele auf der Straße war, beſuchte
ihn dieſer und ſtieg die vier Treppen hinauf,
über denen Jeronimo wohnte. Denn er wollte
nicht, daß ſein Bruder irgend einen Groll ge¬
gen ihn faßte. Er gab ſich immer das Anſehen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/180>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.