Ob ich das Vorige ausstreiche? Fünfmal hab' ich gegen meinen Vorsatz gesündigt, und multiplizire ich die drei vergessenen Stunden mit den fünf vergessenen Tagen, so that ich's fünfzehnmal. Ich schreibe ungern, denn ich denke viel schneller, als mein bleierner Styl folgen kann. Cäsar sagte mir, man müsse die Menschen in ihrem ganzen Wesen anatomiren. Dadurch lerne man und vergnüge sich. Cäsar hat immer Recht.
Ich will einige meiner alten Freundinnen zu schildern suchen. Ich vernachlässige alle; wenn ich sie sehe, zeig' ich ihnen, was ich von ihnen schrieb und daß ich sie doch liebe. Ich will Delphinen charakterisiren, sie ist so verschieden von mir.
Delphine gefällt, ohne schön zu sein. Man kann ihr nicht einmal einen ausgezeichneten Wuchs zugestehen, nur ihre Haltung, ihr schwe¬ bender Gang kann den Mann veranlassen, auf
Ob ich das Vorige ausſtreiche? Fünfmal hab' ich gegen meinen Vorſatz geſündigt, und multiplizire ich die drei vergeſſenen Stunden mit den fünf vergeſſenen Tagen, ſo that ich's fünfzehnmal. Ich ſchreibe ungern, denn ich denke viel ſchneller, als mein bleierner Styl folgen kann. Cäſar ſagte mir, man müſſe die Menſchen in ihrem ganzen Weſen anatomiren. Dadurch lerne man und vergnüge ſich. Cäſar hat immer Recht.
Ich will einige meiner alten Freundinnen zu ſchildern ſuchen. Ich vernachläſſige alle; wenn ich ſie ſehe, zeig' ich ihnen, was ich von ihnen ſchrieb und daß ich ſie doch liebe. Ich will Delphinen charakteriſiren, ſie iſt ſo verſchieden von mir.
Delphine gefällt, ohne ſchön zu ſein. Man kann ihr nicht einmal einen ausgezeichneten Wuchs zugeſtehen, nur ihre Haltung, ihr ſchwe¬ bender Gang kann den Mann veranlaſſen, auf
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0214"n="205"/><p>Ob ich das Vorige ausſtreiche? Fünfmal<lb/>
hab' ich gegen meinen Vorſatz geſündigt, und<lb/>
multiplizire ich die drei vergeſſenen Stunden<lb/>
mit den fünf vergeſſenen Tagen, ſo that ich's<lb/>
fünfzehnmal. Ich ſchreibe ungern, denn ich<lb/>
denke viel ſchneller, als mein bleierner Styl<lb/>
folgen kann. Cäſar ſagte mir, man müſſe die<lb/>
Menſchen in ihrem ganzen Weſen anatomiren.<lb/>
Dadurch lerne man und vergnüge ſich. Cäſar<lb/>
hat immer Recht.</p><lb/><p>Ich will einige meiner alten Freundinnen<lb/>
zu ſchildern ſuchen. Ich vernachläſſige alle;<lb/>
wenn ich ſie ſehe, zeig' ich ihnen, was ich<lb/>
von ihnen ſchrieb und daß ich ſie doch<lb/>
liebe. Ich will Delphinen charakteriſiren, ſie<lb/>
iſt ſo verſchieden von mir.</p><lb/><p>Delphine gefällt, ohne ſchön zu ſein. Man<lb/>
kann ihr nicht einmal einen ausgezeichneten<lb/>
Wuchs zugeſtehen, nur ihre Haltung, ihr ſchwe¬<lb/>
bender Gang kann den Mann veranlaſſen, auf<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[205/0214]
Ob ich das Vorige ausſtreiche? Fünfmal
hab' ich gegen meinen Vorſatz geſündigt, und
multiplizire ich die drei vergeſſenen Stunden
mit den fünf vergeſſenen Tagen, ſo that ich's
fünfzehnmal. Ich ſchreibe ungern, denn ich
denke viel ſchneller, als mein bleierner Styl
folgen kann. Cäſar ſagte mir, man müſſe die
Menſchen in ihrem ganzen Weſen anatomiren.
Dadurch lerne man und vergnüge ſich. Cäſar
hat immer Recht.
Ich will einige meiner alten Freundinnen
zu ſchildern ſuchen. Ich vernachläſſige alle;
wenn ich ſie ſehe, zeig' ich ihnen, was ich
von ihnen ſchrieb und daß ich ſie doch
liebe. Ich will Delphinen charakteriſiren, ſie
iſt ſo verſchieden von mir.
Delphine gefällt, ohne ſchön zu ſein. Man
kann ihr nicht einmal einen ausgezeichneten
Wuchs zugeſtehen, nur ihre Haltung, ihr ſchwe¬
bender Gang kann den Mann veranlaſſen, auf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/214>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.