Kammer. Sie hörte diese Serenade, sie wußte Alles, denn sie hatte den Tambour gekannt, ihn bevorzugt, ehe die Trompete kam. Sie zitterte unter der Bettdecke, denn es klang, wie zum Grab so hohl unterm Fenster. Aber die Töne hoben sich, die Schlägel wurden dringender, die abgestoßenen Punkte folgten Schlag auf Schlag: sie mußte aufspringen vor Entsetzen; die ganze Straße schien zu grollen und die Steine dumpf an einander zu schlagen. Man rief: "Feuer!" Sie riß das Fenster auf. Draußen war alles still; der Tambour war nirgends zu sehen; auch beim Appell nicht. Man schiffte seine Trommel bei Mainz an der Rheinbrücke auf: ihn selber einen Tag später auf der nämlichen Stelle."
Wally hatte von dieser Erzählung erwartet, daß sie in einer Beziehung mit Schwalbach stünde und allem, was auf diese Erwartung keine Rücksicht nahm, nur eine oberflächliche Aufmerksamkeit geschenkt. Sie blickte Cäsar mit
Gutzkow's Wally. 5
Kammer. Sie hörte dieſe Serenade, ſie wußte Alles, denn ſie hatte den Tambour gekannt, ihn bevorzugt, ehe die Trompete kam. Sie zitterte unter der Bettdecke, denn es klang, wie zum Grab ſo hohl unterm Fenſter. Aber die Töne hoben ſich, die Schlägel wurden dringender, die abgeſtoßenen Punkte folgten Schlag auf Schlag: ſie mußte aufſpringen vor Entſetzen; die ganze Straße ſchien zu grollen und die Steine dumpf an einander zu ſchlagen. Man rief: „Feuer!“ Sie riß das Fenſter auf. Draußen war alles ſtill; der Tambour war nirgends zu ſehen; auch beim Appell nicht. Man ſchiffte ſeine Trommel bei Mainz an der Rheinbrücke auf: ihn ſelber einen Tag ſpäter auf der nämlichen Stelle.“
Wally hatte von dieſer Erzählung erwartet, daß ſie in einer Beziehung mit Schwalbach ſtünde und allem, was auf dieſe Erwartung keine Rückſicht nahm, nur eine oberflächliche Aufmerkſamkeit geſchenkt. Sie blickte Cäſar mit
Gutzkow's Wally. 5
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Kammer. Sie hörte dieſe Serenade, ſie wußte
Alles, denn ſie hatte den Tambour gekannt, ihn
bevorzugt, ehe die Trompete kam. Sie zitterte
unter der Bettdecke, denn es klang, wie zum
Grab ſo hohl unterm Fenſter. Aber die Töne
hoben ſich, die Schlägel wurden dringender, die
abgeſtoßenen Punkte folgten Schlag auf Schlag:
ſie mußte aufſpringen vor Entſetzen; die ganze
Straße ſchien zu grollen und die Steine dumpf
an einander zu ſchlagen. Man rief: „Feuer!“
Sie riß das Fenſter auf. Draußen war alles
ſtill; der Tambour war nirgends zu ſehen; auch
beim Appell nicht. Man ſchiffte ſeine Trommel
bei Mainz an der Rheinbrücke auf: ihn ſelber
einen Tag ſpäter auf der nämlichen Stelle.“
Wally hatte von dieſer Erzählung erwartet,
daß ſie in einer Beziehung mit Schwalbach
ſtünde und allem, was auf dieſe Erwartung
keine Rückſicht nahm, nur eine oberflächliche
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Gutzkow, Karl: Wally, die Zweiflerin. Mannheim, 1835, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_wally_1835/74>, abgerufen am 21.11.2024.
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