Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Erleichterung der bürgerlichen Existenz, auf die Vermehrung praktischer und solider Kenntnisse, auf die Popularisirung dessen, was zu wissen allen nützlich seyn kann, hingerichtete Tendenz an. Die Menschen unsrer Zeit, von denen wir noch eben sehen, wie schwer es ihnen ward, Klarheit in ihre Begriffe zu bringen, somnambüle Träumer über Theorien des Staates und der Kirche, halbe Philosophen, deren Jdeen nicht zum Durchbruch kommen konnten - diese erhalten jetzt plötzlich einen Stoß, wo sie die Wahrheit und Einheit der Gesellschaft wie einen Stern aufgehen sehen. Eine merkwürdige, vorher unerhörte Uebereinstimmung beseelt ihre Absichten. Sie durchkreuzen sich nicht mehr, um ihre Jnteressen zu verfolgen, sondern diese Jnteressen selbst verlangen, daß sie Einer des Andern bedürfen, daß sie ihre Arbeit theilen, und daß Jeder, wenn er vom Ganzen Vortheil haben will, nur für seinen Theil Ansprüche, sowie Leistungen einsetzen darf. Diese Erscheinung ist eine Reaktion des Verstandes gegen die Phantasie, eine Reaktion der Natur und der baren Wirklichkeit gegen den überfliegenden Jdealismus. Die Massen, die sich zersetzen wollten, werden wieder geregelt. Durch eine materielle Abführung wird das Gleichgewicht des europäischen Körpers wieder hergestellt. Jch glaube, man wird so lange fortfahren, die materiellen Tendenzen zu verfolgen, bis man mit Schrecken wahrnimmt, daß die moralischen darüber vernachlässigt sind. Wenn die Prosa uns die Poesie erstickt, ist das Erleichterung der bürgerlichen Existenz, auf die Vermehrung praktischer und solider Kenntnisse, auf die Popularisirung dessen, was zu wissen allen nützlich seyn kann, hingerichtete Tendenz an. Die Menschen unsrer Zeit, von denen wir noch eben sehen, wie schwer es ihnen ward, Klarheit in ihre Begriffe zu bringen, somnambüle Träumer über Theorien des Staates und der Kirche, halbe Philosophen, deren Jdeen nicht zum Durchbruch kommen konnten – diese erhalten jetzt plötzlich einen Stoß, wo sie die Wahrheit und Einheit der Gesellschaft wie einen Stern aufgehen sehen. Eine merkwürdige, vorher unerhörte Uebereinstimmung beseelt ihre Absichten. Sie durchkreuzen sich nicht mehr, um ihre Jnteressen zu verfolgen, sondern diese Jnteressen selbst verlangen, daß sie Einer des Andern bedürfen, daß sie ihre Arbeit theilen, und daß Jeder, wenn er vom Ganzen Vortheil haben will, nur für seinen Theil Ansprüche, sowie Leistungen einsetzen darf. Diese Erscheinung ist eine Reaktion des Verstandes gegen die Phantasie, eine Reaktion der Natur und der baren Wirklichkeit gegen den überfliegenden Jdealismus. Die Massen, die sich zersetzen wollten, werden wieder geregelt. Durch eine materielle Abführung wird das Gleichgewicht des europäischen Körpers wieder hergestellt. Jch glaube, man wird so lange fortfahren, die materiellen Tendenzen zu verfolgen, bis man mit Schrecken wahrnimmt, daß die moralischen darüber vernachlässigt sind. Wenn die Prosa uns die Poesie erstickt, ist das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0132" n="104"/> Erleichterung der bürgerlichen Existenz, auf die Vermehrung praktischer und solider Kenntnisse, auf die Popularisirung dessen, was zu wissen allen nützlich seyn kann, hingerichtete Tendenz an. Die Menschen unsrer Zeit, von denen wir noch eben sehen, wie schwer es ihnen ward, Klarheit in ihre Begriffe zu bringen, somnambüle Träumer über Theorien des Staates und der Kirche, halbe Philosophen, deren Jdeen nicht zum Durchbruch kommen konnten – diese erhalten jetzt plötzlich einen Stoß, wo sie die Wahrheit und Einheit der Gesellschaft wie einen Stern aufgehen sehen. Eine merkwürdige, vorher unerhörte Uebereinstimmung beseelt ihre Absichten. Sie durchkreuzen sich nicht mehr, um ihre Jnteressen zu verfolgen, sondern diese Jnteressen selbst verlangen, daß sie Einer des Andern bedürfen, daß sie ihre Arbeit theilen, und daß Jeder, wenn er vom Ganzen Vortheil haben will, nur für seinen Theil Ansprüche, sowie Leistungen einsetzen darf. Diese Erscheinung ist eine Reaktion des Verstandes gegen die Phantasie, eine Reaktion der Natur und der baren Wirklichkeit gegen den überfliegenden Jdealismus. Die Massen, die sich zersetzen wollten, werden wieder geregelt. Durch eine materielle Abführung wird das Gleichgewicht des europäischen Körpers wieder hergestellt.</p> <p>Jch glaube, man wird so lange fortfahren, die materiellen Tendenzen zu verfolgen, bis man mit Schrecken wahrnimmt, daß die moralischen darüber vernachlässigt sind. Wenn die Prosa uns die Poesie erstickt, ist das </p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0132]
Erleichterung der bürgerlichen Existenz, auf die Vermehrung praktischer und solider Kenntnisse, auf die Popularisirung dessen, was zu wissen allen nützlich seyn kann, hingerichtete Tendenz an. Die Menschen unsrer Zeit, von denen wir noch eben sehen, wie schwer es ihnen ward, Klarheit in ihre Begriffe zu bringen, somnambüle Träumer über Theorien des Staates und der Kirche, halbe Philosophen, deren Jdeen nicht zum Durchbruch kommen konnten – diese erhalten jetzt plötzlich einen Stoß, wo sie die Wahrheit und Einheit der Gesellschaft wie einen Stern aufgehen sehen. Eine merkwürdige, vorher unerhörte Uebereinstimmung beseelt ihre Absichten. Sie durchkreuzen sich nicht mehr, um ihre Jnteressen zu verfolgen, sondern diese Jnteressen selbst verlangen, daß sie Einer des Andern bedürfen, daß sie ihre Arbeit theilen, und daß Jeder, wenn er vom Ganzen Vortheil haben will, nur für seinen Theil Ansprüche, sowie Leistungen einsetzen darf. Diese Erscheinung ist eine Reaktion des Verstandes gegen die Phantasie, eine Reaktion der Natur und der baren Wirklichkeit gegen den überfliegenden Jdealismus. Die Massen, die sich zersetzen wollten, werden wieder geregelt. Durch eine materielle Abführung wird das Gleichgewicht des europäischen Körpers wieder hergestellt.
Jch glaube, man wird so lange fortfahren, die materiellen Tendenzen zu verfolgen, bis man mit Schrecken wahrnimmt, daß die moralischen darüber vernachlässigt sind. Wenn die Prosa uns die Poesie erstickt, ist das
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