Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Vaters ist für das Kind verloren. Das Kind muß suchen, es so weit zu bringen, wie es der Vater gebracht hat. Erbrecht ist die Grundlage alles Nationalunglücks. Ein Jeder erhält nach seinen Fähigkeiten und jede Fähigkeit nach ihren Werken. Bis hieher hat die Theorie der St. Simonisten eine Färbung, die allerdings fantastisch, aber durchaus nicht unreell ist. Erst mit dem Bau verschiedener Erwerbsklassen, mit der großen Bevorzugung der Priester, welche zugleich die Civilbeamten der neuern bürgerlichen Gesellschaft sind, beginnt ein Nebulismus, hinter welchen sich der Eigennutz zu verstecken wußte. Denn während die Gelehrten und Künstler grade nicht vorzugsweise bedacht sind, erhalten doch die Priester eine so große Autorität, daß schon ihr Wille für Gesetz gelten soll. Es sind dieß wirklich St. Simonistische Beichtväter, die den ganzen Tag müßig gehen, predigen und lehren und die Harmonie des Ganzen aufrecht halten sollen. Die Priester sind ebensowohl mit der Erziehung der Kinder, als mit der Gesetzgebung für die Männer beauftragt. Wollen dieß aber dieselben Personen seyn, so möchten die idyllisch-naiven Sitten eines St. Simonistischen Gemeinwesens einen so beträchtlichen Rückschritt in der Cultur der Geschichte bezeichnen, daß man Bedenken tragen müßte, sich diesen gesetzgebenden Ammen und Kinderwärtern anzuvertrauen. Denn wer die Natur der Kinder versteht, pflegt selten richtig zu greifen, wenn er Männer belehren will. Vaters ist für das Kind verloren. Das Kind muß suchen, es so weit zu bringen, wie es der Vater gebracht hat. Erbrecht ist die Grundlage alles Nationalunglücks. Ein Jeder erhält nach seinen Fähigkeiten und jede Fähigkeit nach ihren Werken. Bis hieher hat die Theorie der St. Simonisten eine Färbung, die allerdings fantastisch, aber durchaus nicht unreell ist. Erst mit dem Bau verschiedener Erwerbsklassen, mit der großen Bevorzugung der Priester, welche zugleich die Civilbeamten der neuern bürgerlichen Gesellschaft sind, beginnt ein Nebulismus, hinter welchen sich der Eigennutz zu verstecken wußte. Denn während die Gelehrten und Künstler grade nicht vorzugsweise bedacht sind, erhalten doch die Priester eine so große Autorität, daß schon ihr Wille für Gesetz gelten soll. Es sind dieß wirklich St. Simonistische Beichtväter, die den ganzen Tag müßig gehen, predigen und lehren und die Harmonie des Ganzen aufrecht halten sollen. Die Priester sind ebensowohl mit der Erziehung der Kinder, als mit der Gesetzgebung für die Männer beauftragt. Wollen dieß aber dieselben Personen seyn, so möchten die idyllisch-naiven Sitten eines St. Simonistischen Gemeinwesens einen so beträchtlichen Rückschritt in der Cultur der Geschichte bezeichnen, daß man Bedenken tragen müßte, sich diesen gesetzgebenden Ammen und Kinderwärtern anzuvertrauen. Denn wer die Natur der Kinder versteht, pflegt selten richtig zu greifen, wenn er Männer belehren will. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0248" n="220"/> Vaters ist für das Kind verloren. Das Kind muß suchen, es so weit zu bringen, wie es der Vater gebracht hat. Erbrecht ist die Grundlage alles Nationalunglücks. Ein Jeder erhält nach seinen Fähigkeiten und jede Fähigkeit nach ihren Werken.</p> <p>Bis hieher hat die Theorie der St. Simonisten eine Färbung, die allerdings fantastisch, aber durchaus nicht unreell ist. Erst mit dem Bau verschiedener Erwerbsklassen, mit der großen Bevorzugung der Priester, welche zugleich die Civilbeamten der neuern bürgerlichen Gesellschaft sind, beginnt ein Nebulismus, hinter welchen sich der Eigennutz zu verstecken wußte. Denn während die Gelehrten und Künstler grade nicht vorzugsweise bedacht sind, erhalten doch die Priester eine so große Autorität, daß schon ihr Wille für Gesetz gelten soll. Es sind dieß wirklich St. Simonistische Beichtväter, die den ganzen Tag müßig gehen, predigen und lehren und die Harmonie des Ganzen aufrecht halten sollen. Die Priester sind ebensowohl mit der Erziehung der Kinder, als mit der Gesetzgebung für die Männer beauftragt. Wollen dieß aber dieselben Personen seyn, so möchten die idyllisch-naiven Sitten eines St. Simonistischen Gemeinwesens einen so beträchtlichen Rückschritt in der Cultur der Geschichte bezeichnen, daß man Bedenken tragen müßte, sich diesen gesetzgebenden Ammen und Kinderwärtern anzuvertrauen. Denn wer die Natur der Kinder versteht, pflegt selten richtig zu greifen, wenn er Männer belehren will.</p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0248]
Vaters ist für das Kind verloren. Das Kind muß suchen, es so weit zu bringen, wie es der Vater gebracht hat. Erbrecht ist die Grundlage alles Nationalunglücks. Ein Jeder erhält nach seinen Fähigkeiten und jede Fähigkeit nach ihren Werken.
Bis hieher hat die Theorie der St. Simonisten eine Färbung, die allerdings fantastisch, aber durchaus nicht unreell ist. Erst mit dem Bau verschiedener Erwerbsklassen, mit der großen Bevorzugung der Priester, welche zugleich die Civilbeamten der neuern bürgerlichen Gesellschaft sind, beginnt ein Nebulismus, hinter welchen sich der Eigennutz zu verstecken wußte. Denn während die Gelehrten und Künstler grade nicht vorzugsweise bedacht sind, erhalten doch die Priester eine so große Autorität, daß schon ihr Wille für Gesetz gelten soll. Es sind dieß wirklich St. Simonistische Beichtväter, die den ganzen Tag müßig gehen, predigen und lehren und die Harmonie des Ganzen aufrecht halten sollen. Die Priester sind ebensowohl mit der Erziehung der Kinder, als mit der Gesetzgebung für die Männer beauftragt. Wollen dieß aber dieselben Personen seyn, so möchten die idyllisch-naiven Sitten eines St. Simonistischen Gemeinwesens einen so beträchtlichen Rückschritt in der Cultur der Geschichte bezeichnen, daß man Bedenken tragen müßte, sich diesen gesetzgebenden Ammen und Kinderwärtern anzuvertrauen. Denn wer die Natur der Kinder versteht, pflegt selten richtig zu greifen, wenn er Männer belehren will.
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