Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.schlimmer, als wenn das Gegentheil der Fall wäre; denn besäße die Pairskammer Macht, wäre Louis Philipp legitim, so würden sie im Bewußtseyn dessen, was sie haben, und was man ihnen, da es angeboren ist, doch in der Hauptsache nicht nehmen dürfte, eher eine Concession machen, als jetzt, wo sie wissen, daß sie nicht mehr haben, als was sie sich anzueignen den Muth besitzen. Man hat den Grundsatz der Unverletzbarkeit des Königs in Frankreich so entsetzlich oft wiederholt, daß man die Ohnmacht eines Landes beklagen muß, welches eine Verfassung hat, schattenähnliche Minister und einen Premierminister in der Person des Königs, der Alles selbst nach eigenem Gutdünken leitet und sich in jenen Nimbus der Unverletzbarkeit hüllt, welcher nicht nur die Schmeichler, sondern auch aufrichtige Theoretiker um seine Person ziehen muß. Die Deputirtenkammer dient nur dazu pour temperer le pouvoir, c'est-a-dire le pouvoir des ministres, und doch ist der leitende und Alles nach eignem Gefallen ordnende Gedanke der französischen Politik kein andrer, als die Willkür Louis Philipps selbst. Man kann hier freilich sagen: Louis Philipp ist ein Heuchler, er hintergeht ein Volk, das ihn mit so vielem Großmuthe zum König gemacht hat; allein noch richtiger wär' es, wenn man zugäbe, daß die ganze Grundlage der französischen Charte unpraktisch und keineswegs ein Unterpfand der Freiheit ist. Die Deputirtenkammer ist selbst aus aristokratischen Elementen zusammengesetzt. Wie kann sie gegen Angestammtes, gegen Privilegien oder schlimmer, als wenn das Gegentheil der Fall wäre; denn besäße die Pairskammer Macht, wäre Louis Philipp legitim, so würden sie im Bewußtseyn dessen, was sie haben, und was man ihnen, da es angeboren ist, doch in der Hauptsache nicht nehmen dürfte, eher eine Concession machen, als jetzt, wo sie wissen, daß sie nicht mehr haben, als was sie sich anzueignen den Muth besitzen. Man hat den Grundsatz der Unverletzbarkeit des Königs in Frankreich so entsetzlich oft wiederholt, daß man die Ohnmacht eines Landes beklagen muß, welches eine Verfassung hat, schattenähnliche Minister und einen Premierminister in der Person des Königs, der Alles selbst nach eigenem Gutdünken leitet und sich in jenen Nimbus der Unverletzbarkeit hüllt, welcher nicht nur die Schmeichler, sondern auch aufrichtige Theoretiker um seine Person ziehen muß. Die Deputirtenkammer dient nur dazu pour tempérer le pouvoir, c’est-à-dire le pouvoir des ministres, und doch ist der leitende und Alles nach eignem Gefallen ordnende Gedanke der französischen Politik kein andrer, als die Willkür Louis Philipps selbst. Man kann hier freilich sagen: Louis Philipp ist ein Heuchler, er hintergeht ein Volk, das ihn mit so vielem Großmuthe zum König gemacht hat; allein noch richtiger wär’ es, wenn man zugäbe, daß die ganze Grundlage der französischen Charte unpraktisch und keineswegs ein Unterpfand der Freiheit ist. Die Deputirtenkammer ist selbst aus aristokratischen Elementen zusammengesetzt. Wie kann sie gegen Angestammtes, gegen Privilegien oder <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0329" n="301"/> schlimmer, als wenn das Gegentheil der Fall wäre; denn besäße die Pairskammer Macht, wäre Louis Philipp legitim, so würden sie im Bewußtseyn dessen, was sie haben, und was man ihnen, da es angeboren ist, doch in der Hauptsache nicht nehmen dürfte, eher eine Concession machen, als jetzt, wo sie wissen, daß sie nicht mehr haben, als was sie sich anzueignen den Muth besitzen. Man hat den Grundsatz der Unverletzbarkeit des Königs in Frankreich so entsetzlich oft wiederholt, daß man die Ohnmacht eines Landes beklagen muß, welches eine Verfassung hat, schattenähnliche Minister und einen Premierminister in der Person des Königs, der Alles selbst nach eigenem Gutdünken leitet und sich in jenen Nimbus der Unverletzbarkeit hüllt, welcher nicht nur die Schmeichler, sondern auch aufrichtige Theoretiker um seine Person ziehen muß. Die Deputirtenkammer dient nur dazu <hi rendition="#aq">pour tempérer le pouvoir, c’est-à-dire le pouvoir des ministres,</hi> und doch ist der leitende und Alles nach eignem Gefallen ordnende Gedanke der französischen Politik kein andrer, als die Willkür Louis Philipps selbst. Man kann hier freilich sagen: Louis Philipp ist ein Heuchler, er hintergeht ein Volk, das ihn mit so vielem Großmuthe zum König gemacht hat; allein noch richtiger wär’ es, wenn man zugäbe, daß die ganze Grundlage der französischen Charte unpraktisch und keineswegs ein Unterpfand der Freiheit ist. Die Deputirtenkammer ist selbst aus aristokratischen Elementen zusammengesetzt. Wie kann sie gegen Angestammtes, gegen Privilegien oder </p> </div> </body> </text> </TEI> [301/0329]
schlimmer, als wenn das Gegentheil der Fall wäre; denn besäße die Pairskammer Macht, wäre Louis Philipp legitim, so würden sie im Bewußtseyn dessen, was sie haben, und was man ihnen, da es angeboren ist, doch in der Hauptsache nicht nehmen dürfte, eher eine Concession machen, als jetzt, wo sie wissen, daß sie nicht mehr haben, als was sie sich anzueignen den Muth besitzen. Man hat den Grundsatz der Unverletzbarkeit des Königs in Frankreich so entsetzlich oft wiederholt, daß man die Ohnmacht eines Landes beklagen muß, welches eine Verfassung hat, schattenähnliche Minister und einen Premierminister in der Person des Königs, der Alles selbst nach eigenem Gutdünken leitet und sich in jenen Nimbus der Unverletzbarkeit hüllt, welcher nicht nur die Schmeichler, sondern auch aufrichtige Theoretiker um seine Person ziehen muß. Die Deputirtenkammer dient nur dazu pour tempérer le pouvoir, c’est-à-dire le pouvoir des ministres, und doch ist der leitende und Alles nach eignem Gefallen ordnende Gedanke der französischen Politik kein andrer, als die Willkür Louis Philipps selbst. Man kann hier freilich sagen: Louis Philipp ist ein Heuchler, er hintergeht ein Volk, das ihn mit so vielem Großmuthe zum König gemacht hat; allein noch richtiger wär’ es, wenn man zugäbe, daß die ganze Grundlage der französischen Charte unpraktisch und keineswegs ein Unterpfand der Freiheit ist. Die Deputirtenkammer ist selbst aus aristokratischen Elementen zusammengesetzt. Wie kann sie gegen Angestammtes, gegen Privilegien oder
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