Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.diese Offenbarung ihrer Kunstgriffe selber die Betrogenen würden. Wie würde wohl ein Schüler Talleyrands in London auftreten? Gesetzt, er ist ein Franzose, er ist gewandt, fashionable, vermögend, mehr oder weniger abgenutzt, ein Diplomat, der nicht blos die Stutzer seines Vaterlandes, sondern auch die Stützen desselben repräsentiren will. Daß er Bälle gibt, daß er sich im Umgange, wie man zu sagen pflegt, als bon garcon zeigt, daß er von den Frauen bevorzugt wird und wenigstens die weibliche Seite aller Parteien für sich hat, das mögen die unerläßlichen Vorausbedingungen seyn. Fuchsjagden, Wettrennen, zerschmetterte Kabriolets, todtgeschossene Pferde, Hahnenkämpfe, davon braucht aber bei Talleyrand nicht die Rede zu seyn. Talleyrand wird nöthig haben, zuerst das politische Leben Englands zu studiren, er muß wissen, auf wessen Seite sich die Wage der Parteien neigt, er muß auf die Majorität einen Werth legen, der etwas größer ist, als die Majorität der Deputirtenkammer. Jn Frankreich wechseln die Ministerien, ohne daß die Systeme verändert werden; in England wechseln nicht nur die Systeme, sondern eine ganz neue Partei mit neuen Prinzipien und Sympathien ersetzt die gestürzte alte. Muß nun Frankreich nicht Jnteressen haben, welche gegen England unter allen Parteiumständen sich gleich bleiben; oder richtiger ausgedrückt: gibt es in Frankreich ein Jnteresse, daß so gut den Whigs wie den Tories gegenüber aufrecht erhalten werden müßte? diese Offenbarung ihrer Kunstgriffe selber die Betrogenen würden. Wie würde wohl ein Schüler Talleyrands in London auftreten? Gesetzt, er ist ein Franzose, er ist gewandt, fashionable, vermögend, mehr oder weniger abgenutzt, ein Diplomat, der nicht blos die Stutzer seines Vaterlandes, sondern auch die Stützen desselben repräsentiren will. Daß er Bälle gibt, daß er sich im Umgange, wie man zu sagen pflegt, als bon garçon zeigt, daß er von den Frauen bevorzugt wird und wenigstens die weibliche Seite aller Parteien für sich hat, das mögen die unerläßlichen Vorausbedingungen seyn. Fuchsjagden, Wettrennen, zerschmetterte Kabriolets, todtgeschossene Pferde, Hahnenkämpfe, davon braucht aber bei Talleyrand nicht die Rede zu seyn. Talleyrand wird nöthig haben, zuerst das politische Leben Englands zu studiren, er muß wissen, auf wessen Seite sich die Wage der Parteien neigt, er muß auf die Majorität einen Werth legen, der etwas größer ist, als die Majorität der Deputirtenkammer. Jn Frankreich wechseln die Ministerien, ohne daß die Systeme verändert werden; in England wechseln nicht nur die Systeme, sondern eine ganz neue Partei mit neuen Prinzipien und Sympathien ersetzt die gestürzte alte. Muß nun Frankreich nicht Jnteressen haben, welche gegen England unter allen Parteiumständen sich gleich bleiben; oder richtiger ausgedrückt: gibt es in Frankreich ein Jnteresse, daß so gut den Whigs wie den Tories gegenüber aufrecht erhalten werden müßte? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0351" n="323"/> diese Offenbarung ihrer Kunstgriffe selber die Betrogenen würden.</p> <p>Wie würde wohl ein Schüler Talleyrands in London auftreten? Gesetzt, er ist ein Franzose, er ist gewandt, fashionable, vermögend, mehr oder weniger abgenutzt, ein Diplomat, der nicht blos die Stutzer seines Vaterlandes, sondern auch die Stützen desselben repräsentiren will. Daß er Bälle gibt, daß er sich im Umgange, wie man zu sagen pflegt, als <hi rendition="#aq">bon garçon</hi> zeigt, daß er von den Frauen bevorzugt wird und wenigstens die weibliche Seite aller Parteien für sich hat, das mögen die unerläßlichen Vorausbedingungen seyn. Fuchsjagden, Wettrennen, zerschmetterte Kabriolets, todtgeschossene Pferde, Hahnenkämpfe, davon braucht aber bei Talleyrand nicht die Rede zu seyn. Talleyrand wird nöthig haben, zuerst das politische Leben Englands zu studiren, er muß wissen, auf wessen Seite sich die Wage der Parteien neigt, er muß auf die Majorität einen Werth legen, der etwas größer ist, als die Majorität der Deputirtenkammer. Jn Frankreich wechseln die Ministerien, ohne daß die Systeme verändert werden; in England wechseln nicht nur die Systeme, sondern eine ganz neue Partei mit neuen Prinzipien und Sympathien ersetzt die gestürzte alte. Muß nun Frankreich nicht Jnteressen haben, welche gegen England unter allen Parteiumständen sich gleich bleiben; oder richtiger ausgedrückt: gibt es in Frankreich ein Jnteresse, daß so gut den Whigs wie den Tories gegenüber aufrecht erhalten werden müßte? </p> </div> </body> </text> </TEI> [323/0351]
diese Offenbarung ihrer Kunstgriffe selber die Betrogenen würden.
Wie würde wohl ein Schüler Talleyrands in London auftreten? Gesetzt, er ist ein Franzose, er ist gewandt, fashionable, vermögend, mehr oder weniger abgenutzt, ein Diplomat, der nicht blos die Stutzer seines Vaterlandes, sondern auch die Stützen desselben repräsentiren will. Daß er Bälle gibt, daß er sich im Umgange, wie man zu sagen pflegt, als bon garçon zeigt, daß er von den Frauen bevorzugt wird und wenigstens die weibliche Seite aller Parteien für sich hat, das mögen die unerläßlichen Vorausbedingungen seyn. Fuchsjagden, Wettrennen, zerschmetterte Kabriolets, todtgeschossene Pferde, Hahnenkämpfe, davon braucht aber bei Talleyrand nicht die Rede zu seyn. Talleyrand wird nöthig haben, zuerst das politische Leben Englands zu studiren, er muß wissen, auf wessen Seite sich die Wage der Parteien neigt, er muß auf die Majorität einen Werth legen, der etwas größer ist, als die Majorität der Deputirtenkammer. Jn Frankreich wechseln die Ministerien, ohne daß die Systeme verändert werden; in England wechseln nicht nur die Systeme, sondern eine ganz neue Partei mit neuen Prinzipien und Sympathien ersetzt die gestürzte alte. Muß nun Frankreich nicht Jnteressen haben, welche gegen England unter allen Parteiumständen sich gleich bleiben; oder richtiger ausgedrückt: gibt es in Frankreich ein Jnteresse, daß so gut den Whigs wie den Tories gegenüber aufrecht erhalten werden müßte?
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