Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.anzusehen, stumm und kalt. Nach der Trauung, welcher ein einziger Zeuge beiwohnte, schlief Sophie in ihrer Wohnung (Wilsons Eltern und ihre eigene Mutter waren todt). Wilson schlief bei sich. Es kränkte ihn, daß er keine Wirthschaft hatte und daß es heißen sollte, er wäre zu ihr gezogen. Sie erwartete ihn nicht. Sie hätte ihn von sich gestoßen. Aber die Zeit ist ein Tropfen vom Dache, der zuletzt einen Stein aushöhlt. Sie näherten sich, und beide besitzen jetzt zwei Töchter. Wilson hat viel mit seinem Herzen zu thun gehabt. Er hat die Dinge der Welt übersehen. Er hörte von Napoleon und wurde sein Vertheidiger, weil er ihn ohne Politik, weil er ihn nur aus dem poetischen Gesichtspunkte betrachtete. Für die Reaktionen der Bourbonen und Castlereaghs hatte er keinen Sinn. Auch ist er gegen ein Uebermaß von Freiheit, ohne daß er dieß jemals ausspricht. Er scheint sagen zu wollen, daß ihm eine große politische Freiheit nur denkbar scheine, wenn ihr eine Selbstemanzipation der Jndividuen vorangegangen wäre. Er würde sich recht gern zu einer Republik bereit finden, nur müßte sie aus lauter solchen Philosophen bestehen, wie er einer ist. Cuviers Geschichte der Erdrevolutionen machte mehr Eindruck auf ihn, als die Julirevolution. Es war kurz nach dieser, als ich ihn kennen lernte. Wilson ist den ganzen Tag beschäftigt; doch benutzt er jede Pause, die er erübrigen kann, um irgend eine werthvolle neuere Erscheinung, zu denen er meine Schriften anzusehen, stumm und kalt. Nach der Trauung, welcher ein einziger Zeuge beiwohnte, schlief Sophie in ihrer Wohnung (Wilsons Eltern und ihre eigene Mutter waren todt). Wilson schlief bei sich. Es kränkte ihn, daß er keine Wirthschaft hatte und daß es heißen sollte, er wäre zu ihr gezogen. Sie erwartete ihn nicht. Sie hätte ihn von sich gestoßen. Aber die Zeit ist ein Tropfen vom Dache, der zuletzt einen Stein aushöhlt. Sie näherten sich, und beide besitzen jetzt zwei Töchter. Wilson hat viel mit seinem Herzen zu thun gehabt. Er hat die Dinge der Welt übersehen. Er hörte von Napoleon und wurde sein Vertheidiger, weil er ihn ohne Politik, weil er ihn nur aus dem poetischen Gesichtspunkte betrachtete. Für die Reaktionen der Bourbonen und Castlereaghs hatte er keinen Sinn. Auch ist er gegen ein Uebermaß von Freiheit, ohne daß er dieß jemals ausspricht. Er scheint sagen zu wollen, daß ihm eine große politische Freiheit nur denkbar scheine, wenn ihr eine Selbstemanzipation der Jndividuen vorangegangen wäre. Er würde sich recht gern zu einer Republik bereit finden, nur müßte sie aus lauter solchen Philosophen bestehen, wie er einer ist. Cuviers Geschichte der Erdrevolutionen machte mehr Eindruck auf ihn, als die Julirevolution. Es war kurz nach dieser, als ich ihn kennen lernte. Wilson ist den ganzen Tag beschäftigt; doch benutzt er jede Pause, die er erübrigen kann, um irgend eine werthvolle neuere Erscheinung, zu denen er meine Schriften <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0037" n="9"/> anzusehen, stumm und kalt. Nach der Trauung, welcher ein einziger Zeuge beiwohnte, schlief Sophie in ihrer Wohnung (Wilsons Eltern und ihre eigene Mutter waren todt). Wilson schlief bei sich. Es kränkte ihn, daß er keine Wirthschaft hatte und daß es heißen sollte, er wäre zu ihr gezogen. Sie erwartete ihn nicht. Sie hätte ihn von sich gestoßen. Aber die Zeit ist ein Tropfen vom Dache, der zuletzt einen Stein aushöhlt. Sie näherten sich, und beide besitzen jetzt zwei Töchter.</p> <p>Wilson hat viel mit seinem Herzen zu thun gehabt. Er hat die Dinge der Welt übersehen. Er hörte von Napoleon und wurde sein Vertheidiger, weil er ihn ohne Politik, weil er ihn nur aus dem poetischen Gesichtspunkte betrachtete. Für die Reaktionen der Bourbonen und Castlereaghs hatte er keinen Sinn. Auch ist er gegen ein Uebermaß von Freiheit, ohne daß er dieß jemals ausspricht. Er scheint sagen zu wollen, daß ihm eine große politische Freiheit nur denkbar scheine, wenn ihr eine Selbstemanzipation der Jndividuen vorangegangen wäre. Er würde sich recht gern zu einer Republik bereit finden, nur müßte sie aus lauter solchen Philosophen bestehen, wie er einer ist. Cuviers Geschichte der Erdrevolutionen machte mehr Eindruck auf ihn, als die Julirevolution. Es war kurz nach dieser, als ich ihn kennen lernte.</p> <p>Wilson ist den ganzen Tag beschäftigt; doch benutzt er jede Pause, die er erübrigen kann, um irgend eine werthvolle neuere Erscheinung, zu denen er meine Schriften </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0037]
anzusehen, stumm und kalt. Nach der Trauung, welcher ein einziger Zeuge beiwohnte, schlief Sophie in ihrer Wohnung (Wilsons Eltern und ihre eigene Mutter waren todt). Wilson schlief bei sich. Es kränkte ihn, daß er keine Wirthschaft hatte und daß es heißen sollte, er wäre zu ihr gezogen. Sie erwartete ihn nicht. Sie hätte ihn von sich gestoßen. Aber die Zeit ist ein Tropfen vom Dache, der zuletzt einen Stein aushöhlt. Sie näherten sich, und beide besitzen jetzt zwei Töchter.
Wilson hat viel mit seinem Herzen zu thun gehabt. Er hat die Dinge der Welt übersehen. Er hörte von Napoleon und wurde sein Vertheidiger, weil er ihn ohne Politik, weil er ihn nur aus dem poetischen Gesichtspunkte betrachtete. Für die Reaktionen der Bourbonen und Castlereaghs hatte er keinen Sinn. Auch ist er gegen ein Uebermaß von Freiheit, ohne daß er dieß jemals ausspricht. Er scheint sagen zu wollen, daß ihm eine große politische Freiheit nur denkbar scheine, wenn ihr eine Selbstemanzipation der Jndividuen vorangegangen wäre. Er würde sich recht gern zu einer Republik bereit finden, nur müßte sie aus lauter solchen Philosophen bestehen, wie er einer ist. Cuviers Geschichte der Erdrevolutionen machte mehr Eindruck auf ihn, als die Julirevolution. Es war kurz nach dieser, als ich ihn kennen lernte.
Wilson ist den ganzen Tag beschäftigt; doch benutzt er jede Pause, die er erübrigen kann, um irgend eine werthvolle neuere Erscheinung, zu denen er meine Schriften
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-09-13T12:39:16Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2013-09-13T12:39:16Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |