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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Rousseau irgend einen Hauptpunkt in seiner beabsichtigten Reform der Erziehungsmethode getroffen? Seine Schriften sind im Grunde alle weit mehr politischer als moralischer Natur. Daß die Frauen ihre Kinder selbst säugen, darum brauchte kein Prophet aufzustehen. Man brauchte deßhalb nur auf die Alten zu verweisen, nicht auf die Thiere *).

Die Alten glaubten, die Tugend könne gelehrt werden. Viele Dialogen des Plato behandeln dieß Thema; beim Plutarch findet sich eine Abhandlung unter dieser Ueberschrift, die aber nicht vollendet ist. Sokrates, der jungen Atheniensern Stöcke zwischen die Beine warf, um sie davon zu überzeugen, daß sie straucheln könnten, machte sich zu weiter keinem Unterrichte anheischig, als dem in der Tugend. Bei uns hat man dieß so verstanden, wie die Medicin ihre Pharmakologie versteht. Ein Kranker leidet am Magen. Er hat zu gleicher Zeit Fieber und Verstopfung. Jetzt raisonnirt die aufgeklärte Arzneikunde unsrer Zeit so: Jch geb' ihm ein Dekokt, worin saure Jngredienzien das Fieber stillen und salzige eine Abführung verursachen. Daß Sauer und Salzig in ihrer Mischung ferner weder sauer noch salzig

*) Die Alten sagten schon: "Eine gemeinschaftliche Nahrung ist sozusagen der Wirbel, das Epitonium der Zuneigung," ein Gleichniß, welches von musikalischen Jnstrumenten hergenommen ist, deren Saiten man durch das Epitonion zur Harmonie aufspannt.

Rousseau irgend einen Hauptpunkt in seiner beabsichtigten Reform der Erziehungsmethode getroffen? Seine Schriften sind im Grunde alle weit mehr politischer als moralischer Natur. Daß die Frauen ihre Kinder selbst säugen, darum brauchte kein Prophet aufzustehen. Man brauchte deßhalb nur auf die Alten zu verweisen, nicht auf die Thiere *).

Die Alten glaubten, die Tugend könne gelehrt werden. Viele Dialogen des Plato behandeln dieß Thema; beim Plutarch findet sich eine Abhandlung unter dieser Ueberschrift, die aber nicht vollendet ist. Sokrates, der jungen Atheniensern Stöcke zwischen die Beine warf, um sie davon zu überzeugen, daß sie straucheln könnten, machte sich zu weiter keinem Unterrichte anheischig, als dem in der Tugend. Bei uns hat man dieß so verstanden, wie die Medicin ihre Pharmakologie versteht. Ein Kranker leidet am Magen. Er hat zu gleicher Zeit Fieber und Verstopfung. Jetzt raisonnirt die aufgeklärte Arzneikunde unsrer Zeit so: Jch geb’ ihm ein Dekokt, worin saure Jngredienzien das Fieber stillen und salzige eine Abführung verursachen. Daß Sauer und Salzig in ihrer Mischung ferner weder sauer noch salzig

*) Die Alten sagten schon: "Eine gemeinschaftliche Nahrung ist sozusagen der Wirbel, das Epitonium der Zuneigung," ein Gleichniß, welches von musikalischen Jnstrumenten hergenommen ist, deren Saiten man durch das Epitonion zur Harmonie aufspannt.
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[379/0407] Rousseau irgend einen Hauptpunkt in seiner beabsichtigten Reform der Erziehungsmethode getroffen? Seine Schriften sind im Grunde alle weit mehr politischer als moralischer Natur. Daß die Frauen ihre Kinder selbst säugen, darum brauchte kein Prophet aufzustehen. Man brauchte deßhalb nur auf die Alten zu verweisen, nicht auf die Thiere *). Die Alten glaubten, die Tugend könne gelehrt werden. Viele Dialogen des Plato behandeln dieß Thema; beim Plutarch findet sich eine Abhandlung unter dieser Ueberschrift, die aber nicht vollendet ist. Sokrates, der jungen Atheniensern Stöcke zwischen die Beine warf, um sie davon zu überzeugen, daß sie straucheln könnten, machte sich zu weiter keinem Unterrichte anheischig, als dem in der Tugend. Bei uns hat man dieß so verstanden, wie die Medicin ihre Pharmakologie versteht. Ein Kranker leidet am Magen. Er hat zu gleicher Zeit Fieber und Verstopfung. Jetzt raisonnirt die aufgeklärte Arzneikunde unsrer Zeit so: Jch geb’ ihm ein Dekokt, worin saure Jngredienzien das Fieber stillen und salzige eine Abführung verursachen. Daß Sauer und Salzig in ihrer Mischung ferner weder sauer noch salzig *) Die Alten sagten schon: "Eine gemeinschaftliche Nahrung ist sozusagen der Wirbel, das Epitonium der Zuneigung," ein Gleichniß, welches von musikalischen Jnstrumenten hergenommen ist, deren Saiten man durch das Epitonion zur Harmonie aufspannt.

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/407>, abgerufen am 22.11.2024.