Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

verzwickte Kunst, wo die Kinder nur zu mauzen, prauzen, pusten, husten und zu zischen brauchen, um nicht nur die Buchstaben, sondern sogar buchstabiren zu lernen. Oder, was sag' ich? Sie buchstabiren nicht mehr, sie syllabiren sogleich und lesen sogar, wenn es sich auch anhört, als wollten sich eigentlich die Kinder übergeben. Dem mag seyn, wie ihm wolle, ist diese Methode nicht für den Magen schädlich, so ist sie es doch für die Zunge; denn ich glaube, das jetzt so häufig verbreitete Stottern kommt von dieser neuen Methode des Lautirens her.

Jch glaube ferner, es war ein sehr großes Unglück, daß sich unsre Großältern so lächerlich trugen. Wären wir weniger gereizt, über sie spotten zu müssen, wir würden weit mehr von ihnen entlehnen können, wir würden zumal ihre pädagogische Gewissenhaftigkeit nicht für Pedantismus ausgeben. Wir betrachten aber unsre Väter, diese ernsten, brummenden und mürrischen Männer, die stundenlang schweigen können; unsre Mütter, von denen die jüngern sehr zärtlich sind und unter den Vätern viel leiden, die ältern aber alle Jndifferentismen der Väter theilen. Wir glauben, daß eine Erziehung, die diese Brummkreisel hervorgebracht hat, das Werk der schlechtesten Pedanterei gewesen seyn müsse. Keinesweges! Die tiefen Baßtöne kamen in unsre Eltern nur durch die Wendung, welche die junge gegen die alte Zeit nahm. Unsre Großältern sind so drollig und liebenswürdig, unsre Eltern so barsch. Dieß liegt in dem Widerspruche der Erziehung, die die letzten empfangen

verzwickte Kunst, wo die Kinder nur zu mauzen, prauzen, pusten, husten und zu zischen brauchen, um nicht nur die Buchstaben, sondern sogar buchstabiren zu lernen. Oder, was sag’ ich? Sie buchstabiren nicht mehr, sie syllabiren sogleich und lesen sogar, wenn es sich auch anhört, als wollten sich eigentlich die Kinder übergeben. Dem mag seyn, wie ihm wolle, ist diese Methode nicht für den Magen schädlich, so ist sie es doch für die Zunge; denn ich glaube, das jetzt so häufig verbreitete Stottern kommt von dieser neuen Methode des Lautirens her.

Jch glaube ferner, es war ein sehr großes Unglück, daß sich unsre Großältern so lächerlich trugen. Wären wir weniger gereizt, über sie spotten zu müssen, wir würden weit mehr von ihnen entlehnen können, wir würden zumal ihre pädagogische Gewissenhaftigkeit nicht für Pedantismus ausgeben. Wir betrachten aber unsre Väter, diese ernsten, brummenden und mürrischen Männer, die stundenlang schweigen können; unsre Mütter, von denen die jüngern sehr zärtlich sind und unter den Vätern viel leiden, die ältern aber alle Jndifferentismen der Väter theilen. Wir glauben, daß eine Erziehung, die diese Brummkreisel hervorgebracht hat, das Werk der schlechtesten Pedanterei gewesen seyn müsse. Keinesweges! Die tiefen Baßtöne kamen in unsre Eltern nur durch die Wendung, welche die junge gegen die alte Zeit nahm. Unsre Großältern sind so drollig und liebenswürdig, unsre Eltern so barsch. Dieß liegt in dem Widerspruche der Erziehung, die die letzten empfangen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0043" n="15"/>
verzwickte Kunst, wo die Kinder nur zu mauzen, prauzen, pusten, husten und zu zischen brauchen, um nicht nur die Buchstaben, sondern sogar buchstabiren zu lernen. Oder, was sag&#x2019; ich? Sie buchstabiren nicht mehr, sie syllabiren sogleich und lesen sogar, wenn es sich auch anhört, als wollten sich eigentlich die Kinder übergeben. Dem mag seyn, wie ihm wolle, ist diese Methode nicht für den Magen schädlich, so ist sie es doch für die Zunge; denn ich glaube, das jetzt so häufig verbreitete Stottern kommt von dieser neuen Methode des Lautirens her.</p>
        <p>Jch glaube ferner, es war ein sehr großes Unglück, daß sich unsre Großältern so lächerlich trugen. Wären wir weniger gereizt, über sie spotten zu müssen, wir würden weit mehr von ihnen entlehnen können, wir würden zumal ihre pädagogische Gewissenhaftigkeit nicht für Pedantismus ausgeben. Wir betrachten aber unsre Väter, diese ernsten, brummenden und mürrischen Männer, die stundenlang schweigen können; unsre Mütter, von denen die jüngern sehr zärtlich sind und unter den Vätern viel leiden, die ältern aber alle Jndifferentismen der Väter theilen. Wir glauben, daß eine Erziehung, die diese Brummkreisel hervorgebracht hat, das Werk der schlechtesten Pedanterei gewesen seyn müsse. Keinesweges! Die tiefen Baßtöne kamen in unsre Eltern nur durch die Wendung, welche die junge gegen die alte Zeit nahm. Unsre Großältern sind so drollig und liebenswürdig, unsre Eltern so barsch. Dieß liegt in dem Widerspruche der Erziehung, die die letzten empfangen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0043] verzwickte Kunst, wo die Kinder nur zu mauzen, prauzen, pusten, husten und zu zischen brauchen, um nicht nur die Buchstaben, sondern sogar buchstabiren zu lernen. Oder, was sag’ ich? Sie buchstabiren nicht mehr, sie syllabiren sogleich und lesen sogar, wenn es sich auch anhört, als wollten sich eigentlich die Kinder übergeben. Dem mag seyn, wie ihm wolle, ist diese Methode nicht für den Magen schädlich, so ist sie es doch für die Zunge; denn ich glaube, das jetzt so häufig verbreitete Stottern kommt von dieser neuen Methode des Lautirens her. Jch glaube ferner, es war ein sehr großes Unglück, daß sich unsre Großältern so lächerlich trugen. Wären wir weniger gereizt, über sie spotten zu müssen, wir würden weit mehr von ihnen entlehnen können, wir würden zumal ihre pädagogische Gewissenhaftigkeit nicht für Pedantismus ausgeben. Wir betrachten aber unsre Väter, diese ernsten, brummenden und mürrischen Männer, die stundenlang schweigen können; unsre Mütter, von denen die jüngern sehr zärtlich sind und unter den Vätern viel leiden, die ältern aber alle Jndifferentismen der Väter theilen. Wir glauben, daß eine Erziehung, die diese Brummkreisel hervorgebracht hat, das Werk der schlechtesten Pedanterei gewesen seyn müsse. Keinesweges! Die tiefen Baßtöne kamen in unsre Eltern nur durch die Wendung, welche die junge gegen die alte Zeit nahm. Unsre Großältern sind so drollig und liebenswürdig, unsre Eltern so barsch. Dieß liegt in dem Widerspruche der Erziehung, die die letzten empfangen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/43
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/43>, abgerufen am 21.11.2024.