Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.gepredigt und viel auf den äußern Anstand gesehen. Die Kinder dürfen nicht auf das Sopha kommen. Sie müssen nach einer kurzen Mahlzeit den Tisch verlassen; das wenigste des zu ihrer Bequemlichkeit Dienenden dürfen sie vom Gesinde verlangen. Das läßt sich Alles hören. Es ist eine strenge puritanische Erziehung. Aber sie wird unvernünftig, wenn die Knaben sich nicht zwei Schritte von den Eltern entfernen dürfen, wenn sie noch in ihrem sechzehnten Jahre kurze Jäckchen und eine breite Tellermütze mit einer Troddel tragen müssen, wenn die Mädchen nichts ansehen dürfen, das nicht vorher von der Mutter mit einem moralischen Gesundheitsschein ausgestattet wurde. Hier ist die englische Erziehung namentlich die beschränkteste unter allen möglichen. Sie macht die Generation so langweilig, wie es unsre Sonntage sind. Wenn man die Furcht kennte, welche das Kind vor der Wissenschaft hat, man würde nicht so eilen, es in sie einzuweihen. Ganz lebhaft schwebt mir noch die Scene vor, als ich zum ersten Male in die Gemeindeschule gebracht wurde. Meine Schwester führte mich hin. Jch war still bis auf die Hälfte des Weges, fing aber da so erbärmlich an zu schreien, daß die Leute still standen und meiner Schwester helfen mußten, um mich nur von der Stelle zu bringen. Betäubt von hundert süßen Versprechungen folgt' ich und kam unter Knaben zu sitzen, die, wenn sie einen Zoll größer waren, als ich, mir wie die Riesen vorkamen. Komisch ist aber gepredigt und viel auf den äußern Anstand gesehen. Die Kinder dürfen nicht auf das Sopha kommen. Sie müssen nach einer kurzen Mahlzeit den Tisch verlassen; das wenigste des zu ihrer Bequemlichkeit Dienenden dürfen sie vom Gesinde verlangen. Das läßt sich Alles hören. Es ist eine strenge puritanische Erziehung. Aber sie wird unvernünftig, wenn die Knaben sich nicht zwei Schritte von den Eltern entfernen dürfen, wenn sie noch in ihrem sechzehnten Jahre kurze Jäckchen und eine breite Tellermütze mit einer Troddel tragen müssen, wenn die Mädchen nichts ansehen dürfen, das nicht vorher von der Mutter mit einem moralischen Gesundheitsschein ausgestattet wurde. Hier ist die englische Erziehung namentlich die beschränkteste unter allen möglichen. Sie macht die Generation so langweilig, wie es unsre Sonntage sind. Wenn man die Furcht kennte, welche das Kind vor der Wissenschaft hat, man würde nicht so eilen, es in sie einzuweihen. Ganz lebhaft schwebt mir noch die Scene vor, als ich zum ersten Male in die Gemeindeschule gebracht wurde. Meine Schwester führte mich hin. Jch war still bis auf die Hälfte des Weges, fing aber da so erbärmlich an zu schreien, daß die Leute still standen und meiner Schwester helfen mußten, um mich nur von der Stelle zu bringen. Betäubt von hundert süßen Versprechungen folgt’ ich und kam unter Knaben zu sitzen, die, wenn sie einen Zoll größer waren, als ich, mir wie die Riesen vorkamen. Komisch ist aber <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0045" n="17"/> gepredigt und viel auf den äußern Anstand gesehen. Die Kinder dürfen nicht auf das Sopha kommen. Sie müssen nach einer kurzen Mahlzeit den Tisch verlassen; das wenigste des zu ihrer Bequemlichkeit Dienenden dürfen sie vom Gesinde verlangen. Das läßt sich Alles hören. Es ist eine strenge puritanische Erziehung. Aber sie wird unvernünftig, wenn die Knaben sich nicht zwei Schritte von den Eltern entfernen dürfen, wenn sie noch in ihrem sechzehnten Jahre kurze Jäckchen und eine breite Tellermütze mit einer Troddel tragen müssen, wenn die Mädchen nichts ansehen dürfen, das nicht vorher von der Mutter mit einem moralischen Gesundheitsschein ausgestattet wurde. Hier ist die englische Erziehung namentlich die beschränkteste unter allen möglichen. Sie macht die Generation so langweilig, wie es unsre Sonntage sind.</p> <p>Wenn man die Furcht kennte, welche das Kind vor der Wissenschaft hat, man würde nicht so eilen, es in sie einzuweihen. Ganz lebhaft schwebt mir noch die Scene vor, als ich zum ersten Male in die Gemeindeschule gebracht wurde. Meine Schwester führte mich hin. Jch war still bis auf die Hälfte des Weges, fing aber da so erbärmlich an zu schreien, daß die Leute still standen und meiner Schwester helfen mußten, um mich nur von der Stelle zu bringen. Betäubt von hundert süßen Versprechungen folgt’ ich und kam unter Knaben zu sitzen, die, wenn sie einen Zoll größer waren, als ich, mir wie die Riesen vorkamen. Komisch ist aber </p> </div> </body> </text> </TEI> [17/0045]
gepredigt und viel auf den äußern Anstand gesehen. Die Kinder dürfen nicht auf das Sopha kommen. Sie müssen nach einer kurzen Mahlzeit den Tisch verlassen; das wenigste des zu ihrer Bequemlichkeit Dienenden dürfen sie vom Gesinde verlangen. Das läßt sich Alles hören. Es ist eine strenge puritanische Erziehung. Aber sie wird unvernünftig, wenn die Knaben sich nicht zwei Schritte von den Eltern entfernen dürfen, wenn sie noch in ihrem sechzehnten Jahre kurze Jäckchen und eine breite Tellermütze mit einer Troddel tragen müssen, wenn die Mädchen nichts ansehen dürfen, das nicht vorher von der Mutter mit einem moralischen Gesundheitsschein ausgestattet wurde. Hier ist die englische Erziehung namentlich die beschränkteste unter allen möglichen. Sie macht die Generation so langweilig, wie es unsre Sonntage sind.
Wenn man die Furcht kennte, welche das Kind vor der Wissenschaft hat, man würde nicht so eilen, es in sie einzuweihen. Ganz lebhaft schwebt mir noch die Scene vor, als ich zum ersten Male in die Gemeindeschule gebracht wurde. Meine Schwester führte mich hin. Jch war still bis auf die Hälfte des Weges, fing aber da so erbärmlich an zu schreien, daß die Leute still standen und meiner Schwester helfen mußten, um mich nur von der Stelle zu bringen. Betäubt von hundert süßen Versprechungen folgt’ ich und kam unter Knaben zu sitzen, die, wenn sie einen Zoll größer waren, als ich, mir wie die Riesen vorkamen. Komisch ist aber
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