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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Haus hielt, unter welchem man sich scheue, lange zu verweilen. Jch klagte, daß er mir nun schon seit zehn Jahren nicht geschrieben hätte, und ich in Angst und Sorge lebte, wie ich von ihm würde aufgenommen werden. Statt mir Muth einzusprechen, schwieg meine Schwester; ich glaube, das Pasquill drückte ihr das Herz ab. Jn dem Augenblicke wurde die Thüre geöffnet, und Hilary brachte mit der freudigsten Miene von der Welt ein Packet von 15 bis 20 Briefen. Briefe zu empfangen, ist in der Stadt so angenehm, wie auf dem Lande. Hilary sagte auch: "Nun, Fräulein Cecily, hier ist ein ganzer Briefsteller an Sie angekommen; man möchte glauben, alle Jhre Anbeter befänden sich auf dem Lande und hätten den komischen Einfall gehabt, Jhnen an einem und demselben Tage zu schreiben." Meine älteste Nichte schien ein leidenschaftliches Mädchen zu seyn, das hatt' ich schon an ihrem unsanften Oho wahrgenommen. Als man jedoch sah, daß alle Briefe nur an ihre Adresse gerichtet waren, bemächtigte sich unser aller ein blasser Schreck, denn unmöglich konnte es bei einer solchen Korrespondenz mit richtigen Dingen zugehen. Meine Schwester schoß wie ein Raubvogel vom Sopha auf, erbrach einen der Briefe und ließ ihn mit der Bemerkung fallen: "Jesus, das ist eine Fortsetzung des Satiristen!" Jch hörte diese Bemerkung allein; denn die drei übrigen Schwestern waren in einen jähzornigen Streit gerathen, weil Cecily nicht zugeben wollte, daß eines von den Geschwistern sich herausnähme, ein an sie

Haus hielt, unter welchem man sich scheue, lange zu verweilen. Jch klagte, daß er mir nun schon seit zehn Jahren nicht geschrieben hätte, und ich in Angst und Sorge lebte, wie ich von ihm würde aufgenommen werden. Statt mir Muth einzusprechen, schwieg meine Schwester; ich glaube, das Pasquill drückte ihr das Herz ab. Jn dem Augenblicke wurde die Thüre geöffnet, und Hilary brachte mit der freudigsten Miene von der Welt ein Packet von 15 bis 20 Briefen. Briefe zu empfangen, ist in der Stadt so angenehm, wie auf dem Lande. Hilary sagte auch: "Nun, Fräulein Cecily, hier ist ein ganzer Briefsteller an Sie angekommen; man möchte glauben, alle Jhre Anbeter befänden sich auf dem Lande und hätten den komischen Einfall gehabt, Jhnen an einem und demselben Tage zu schreiben." Meine älteste Nichte schien ein leidenschaftliches Mädchen zu seyn, das hatt’ ich schon an ihrem unsanften Oho wahrgenommen. Als man jedoch sah, daß alle Briefe nur an ihre Adresse gerichtet waren, bemächtigte sich unser aller ein blasser Schreck, denn unmöglich konnte es bei einer solchen Korrespondenz mit richtigen Dingen zugehen. Meine Schwester schoß wie ein Raubvogel vom Sopha auf, erbrach einen der Briefe und ließ ihn mit der Bemerkung fallen: "Jesus, das ist eine Fortsetzung des Satiristen!" Jch hörte diese Bemerkung allein; denn die drei übrigen Schwestern waren in einen jähzornigen Streit gerathen, weil Cecily nicht zugeben wollte, daß eines von den Geschwistern sich herausnähme, ein an sie

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Haus hielt, unter welchem man sich scheue, lange zu verweilen. Jch klagte, daß er mir nun schon seit zehn Jahren nicht geschrieben hätte, und ich in Angst und Sorge lebte, wie ich von ihm würde aufgenommen werden. Statt mir Muth einzusprechen, schwieg meine Schwester; ich glaube, das Pasquill drückte ihr das Herz ab. Jn dem Augenblicke wurde die Thüre geöffnet, und Hilary brachte mit der freudigsten Miene von der Welt ein Packet von 15 bis 20 Briefen. Briefe zu empfangen, ist in der Stadt so angenehm, wie auf dem Lande. Hilary sagte auch: "Nun, Fräulein Cecily, hier ist ein ganzer Briefsteller an Sie angekommen; man möchte glauben, alle Jhre Anbeter befänden sich auf dem Lande und hätten den komischen Einfall gehabt, Jhnen an einem und demselben Tage zu schreiben." Meine älteste Nichte schien ein leidenschaftliches Mädchen zu seyn, das hatt&#x2019; ich schon an ihrem unsanften Oho wahrgenommen. Als man jedoch sah, daß alle Briefe nur an ihre Adresse gerichtet waren, bemächtigte sich unser aller ein blasser Schreck, denn unmöglich konnte es bei einer solchen Korrespondenz mit richtigen Dingen zugehen. Meine Schwester schoß wie ein Raubvogel vom Sopha auf, erbrach einen der Briefe und ließ ihn mit der Bemerkung fallen: "Jesus, das ist eine Fortsetzung des Satiristen!" Jch hörte diese Bemerkung allein; denn die drei übrigen Schwestern waren in einen jähzornigen Streit gerathen, weil Cecily nicht zugeben wollte, daß eines von den Geschwistern sich herausnähme, ein an sie
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[436/0464] Haus hielt, unter welchem man sich scheue, lange zu verweilen. Jch klagte, daß er mir nun schon seit zehn Jahren nicht geschrieben hätte, und ich in Angst und Sorge lebte, wie ich von ihm würde aufgenommen werden. Statt mir Muth einzusprechen, schwieg meine Schwester; ich glaube, das Pasquill drückte ihr das Herz ab. Jn dem Augenblicke wurde die Thüre geöffnet, und Hilary brachte mit der freudigsten Miene von der Welt ein Packet von 15 bis 20 Briefen. Briefe zu empfangen, ist in der Stadt so angenehm, wie auf dem Lande. Hilary sagte auch: "Nun, Fräulein Cecily, hier ist ein ganzer Briefsteller an Sie angekommen; man möchte glauben, alle Jhre Anbeter befänden sich auf dem Lande und hätten den komischen Einfall gehabt, Jhnen an einem und demselben Tage zu schreiben." Meine älteste Nichte schien ein leidenschaftliches Mädchen zu seyn, das hatt’ ich schon an ihrem unsanften Oho wahrgenommen. Als man jedoch sah, daß alle Briefe nur an ihre Adresse gerichtet waren, bemächtigte sich unser aller ein blasser Schreck, denn unmöglich konnte es bei einer solchen Korrespondenz mit richtigen Dingen zugehen. Meine Schwester schoß wie ein Raubvogel vom Sopha auf, erbrach einen der Briefe und ließ ihn mit der Bemerkung fallen: "Jesus, das ist eine Fortsetzung des Satiristen!" Jch hörte diese Bemerkung allein; denn die drei übrigen Schwestern waren in einen jähzornigen Streit gerathen, weil Cecily nicht zugeben wollte, daß eines von den Geschwistern sich herausnähme, ein an sie

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Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 1. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 436. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen01_1842/464>, abgerufen am 29.05.2024.