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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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nur immer von dem Zweck und nicht von dem Mittel, wo sich doch der ganze Gesichtspunkt der Frage verändert?

Ein Philosoph hat, um die Schicklichkeit der Todesstrafe zu beweisen, die Ehre in die Frage mit hineingezogen. Er hat gefragt: Man stelle doch einem Hochverräther einmal die Wahl zwischen dem Tod und der Karre frei! Hat der Verbrecher Ehre, was wird er vorziehen? Ja sogar bei gemeinen Mördern und Räubern ist manchmal das Ehrgefühl so wenig erstickt, daß sie nicht aus Arbeitsscheu, sondern wirklich aus einer Art Heroismus vorziehen würden, lieber hingerichtet, als an die Kette geschmiedet zu werden. Allein so richtig es ist, so ist Das, was man daraus folgern will, am allerwenigsten darin enthalten; nicht die Schicklichkeit der Todesstrafe folgt daraus, sondern noch weit mehr der verfängliche Satz, daß Selbstmord, wenn er einen guten Grund hat, keine Schande ist. Die Gesellschaft sollte gerade in die Grundsätze dieses Philosophen eingehen und es dem Delinquenten überlassen, ob er sterben, d. h. durch sich selbst sterben wolle oder, mit ewiger Schande bedeckt, ein mühevolles Leben dahin schleppen.

Denn gestehen wir es uns nur, daß die Gesellschaft gar kein anderes Recht auf den Verbrecher hat, als ihn von sich auszustoßen und ihn, je nach der Größe seines Vergehens mit mehr oder weniger Schmach zu bedecken. Selbst aufgeklärte Rechtslehrer rufen

nur immer von dem Zweck und nicht von dem Mittel, wo sich doch der ganze Gesichtspunkt der Frage verändert?

Ein Philosoph hat, um die Schicklichkeit der Todesstrafe zu beweisen, die Ehre in die Frage mit hineingezogen. Er hat gefragt: Man stelle doch einem Hochverräther einmal die Wahl zwischen dem Tod und der Karre frei! Hat der Verbrecher Ehre, was wird er vorziehen? Ja sogar bei gemeinen Mördern und Räubern ist manchmal das Ehrgefühl so wenig erstickt, daß sie nicht aus Arbeitsscheu, sondern wirklich aus einer Art Heroismus vorziehen würden, lieber hingerichtet, als an die Kette geschmiedet zu werden. Allein so richtig es ist, so ist Das, was man daraus folgern will, am allerwenigsten darin enthalten; nicht die Schicklichkeit der Todesstrafe folgt daraus, sondern noch weit mehr der verfängliche Satz, daß Selbstmord, wenn er einen guten Grund hat, keine Schande ist. Die Gesellschaft sollte gerade in die Grundsätze dieses Philosophen eingehen und es dem Delinquenten überlassen, ob er sterben, d. h. durch sich selbst sterben wolle oder, mit ewiger Schande bedeckt, ein mühevolles Leben dahin schleppen.

Denn gestehen wir es uns nur, daß die Gesellschaft gar kein anderes Recht auf den Verbrecher hat, als ihn von sich auszustoßen und ihn, je nach der Größe seines Vergehens mit mehr oder weniger Schmach zu bedecken. Selbst aufgeklärte Rechtslehrer rufen

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[108/0110] nur immer von dem Zweck und nicht von dem Mittel, wo sich doch der ganze Gesichtspunkt der Frage verändert? Ein Philosoph hat, um die Schicklichkeit der Todesstrafe zu beweisen, die Ehre in die Frage mit hineingezogen. Er hat gefragt: Man stelle doch einem Hochverräther einmal die Wahl zwischen dem Tod und der Karre frei! Hat der Verbrecher Ehre, was wird er vorziehen? Ja sogar bei gemeinen Mördern und Räubern ist manchmal das Ehrgefühl so wenig erstickt, daß sie nicht aus Arbeitsscheu, sondern wirklich aus einer Art Heroismus vorziehen würden, lieber hingerichtet, als an die Kette geschmiedet zu werden. Allein so richtig es ist, so ist Das, was man daraus folgern will, am allerwenigsten darin enthalten; nicht die Schicklichkeit der Todesstrafe folgt daraus, sondern noch weit mehr der verfängliche Satz, daß Selbstmord, wenn er einen guten Grund hat, keine Schande ist. Die Gesellschaft sollte gerade in die Grundsätze dieses Philosophen eingehen und es dem Delinquenten überlassen, ob er sterben, d. h. durch sich selbst sterben wolle oder, mit ewiger Schande bedeckt, ein mühevolles Leben dahin schleppen. Denn gestehen wir es uns nur, daß die Gesellschaft gar kein anderes Recht auf den Verbrecher hat, als ihn von sich auszustoßen und ihn, je nach der Größe seines Vergehens mit mehr oder weniger Schmach zu bedecken. Selbst aufgeklärte Rechtslehrer rufen

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/110>, abgerufen am 21.11.2024.