Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

mürbe zu bekehren und sie erst dann, wenn sie es geworden sind, hinzurichten, machen würde, daß sie niemals bereuten, so müßte hier freilich die Todesstrafe von selbst wegfallen; es sey denn, daß mancher Verbrecher nicht lieber vorzöge, abgethan zu werden, als das ewige Predigen und Lehren der Geistlichkeit mit anzuhören.

Weit wichtiger sind nun die beiden anderen Beweggründe gegen die Todesstrafe, nämlich die, daß sie nicht nur Nichts bewirkt, sondern im Gegentheil sogar Böses bewirkt. Die zahllosen Abschreckungen und Armensünderspektakel haben noch immer nicht das Schwert des Nachrichters verrosten lassen, und wenn man sagt, daß ein vollkommenes Aufhören der Kapitalverbrechen nicht erreicht werden könne, sondern daß wir es gerade der Todesstrafe zu danken hätten, nur wenige ihr Verfallene zu sehen, so möchte gerade dieser Meinung wieder jener Jrrthum zum Grunde liegen, als wenn unsere Gesellschaft einzig und allein durch die Furcht vor dem Gesetz gegen den in ihr schlummernden Cannibalismus verwahrt wäre. Nimmermehr! Was uns zusammenhält, ist die Bildung, die eingepflanzte Moral, die christliche Tradition und vor allen Dingen das Jnteresse. Die Furcht vor der Strafe bewirkt Nichts, sondern nur die Furcht vor der Schande; aber in der Schande gibt es keine Stufenleiter. Jst sie größer oder geringer, sie hinterläßt immer denselben Makel, so daß also Der, der

mürbe zu bekehren und sie erst dann, wenn sie es geworden sind, hinzurichten, machen würde, daß sie niemals bereuten, so müßte hier freilich die Todesstrafe von selbst wegfallen; es sey denn, daß mancher Verbrecher nicht lieber vorzöge, abgethan zu werden, als das ewige Predigen und Lehren der Geistlichkeit mit anzuhören.

Weit wichtiger sind nun die beiden anderen Beweggründe gegen die Todesstrafe, nämlich die, daß sie nicht nur Nichts bewirkt, sondern im Gegentheil sogar Böses bewirkt. Die zahllosen Abschreckungen und Armensünderspektakel haben noch immer nicht das Schwert des Nachrichters verrosten lassen, und wenn man sagt, daß ein vollkommenes Aufhören der Kapitalverbrechen nicht erreicht werden könne, sondern daß wir es gerade der Todesstrafe zu danken hätten, nur wenige ihr Verfallene zu sehen, so möchte gerade dieser Meinung wieder jener Jrrthum zum Grunde liegen, als wenn unsere Gesellschaft einzig und allein durch die Furcht vor dem Gesetz gegen den in ihr schlummernden Cannibalismus verwahrt wäre. Nimmermehr! Was uns zusammenhält, ist die Bildung, die eingepflanzte Moral, die christliche Tradition und vor allen Dingen das Jnteresse. Die Furcht vor der Strafe bewirkt Nichts, sondern nur die Furcht vor der Schande; aber in der Schande gibt es keine Stufenleiter. Jst sie größer oder geringer, sie hinterläßt immer denselben Makel, so daß also Der, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="112"/>
mürbe zu bekehren und sie erst dann, wenn sie es geworden sind, hinzurichten, machen würde, daß sie niemals bereuten, so müßte hier freilich die Todesstrafe von selbst wegfallen; es sey denn, daß mancher Verbrecher nicht lieber vorzöge, abgethan zu werden, als das ewige Predigen und Lehren der Geistlichkeit mit anzuhören.</p>
        <p>Weit wichtiger sind nun die beiden anderen Beweggründe gegen die Todesstrafe, nämlich die, daß sie nicht nur Nichts bewirkt, sondern im Gegentheil sogar Böses bewirkt. Die zahllosen Abschreckungen und Armensünderspektakel haben noch immer nicht das Schwert des Nachrichters verrosten lassen, und wenn man sagt, daß ein vollkommenes Aufhören der Kapitalverbrechen nicht erreicht werden könne, sondern daß wir es gerade der Todesstrafe zu danken hätten, nur wenige ihr Verfallene zu sehen, so möchte gerade dieser Meinung wieder jener Jrrthum zum Grunde liegen, als wenn unsere Gesellschaft einzig und allein durch die Furcht vor dem Gesetz gegen den in ihr schlummernden Cannibalismus verwahrt wäre. Nimmermehr! Was uns zusammenhält, ist die Bildung, die eingepflanzte Moral, die christliche Tradition und vor allen Dingen das Jnteresse. Die Furcht vor der Strafe bewirkt Nichts, sondern nur die Furcht vor der Schande; aber in der Schande gibt es keine Stufenleiter. Jst sie größer oder geringer, sie hinterläßt immer denselben Makel, so daß also Der, der
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[112/0114] mürbe zu bekehren und sie erst dann, wenn sie es geworden sind, hinzurichten, machen würde, daß sie niemals bereuten, so müßte hier freilich die Todesstrafe von selbst wegfallen; es sey denn, daß mancher Verbrecher nicht lieber vorzöge, abgethan zu werden, als das ewige Predigen und Lehren der Geistlichkeit mit anzuhören. Weit wichtiger sind nun die beiden anderen Beweggründe gegen die Todesstrafe, nämlich die, daß sie nicht nur Nichts bewirkt, sondern im Gegentheil sogar Böses bewirkt. Die zahllosen Abschreckungen und Armensünderspektakel haben noch immer nicht das Schwert des Nachrichters verrosten lassen, und wenn man sagt, daß ein vollkommenes Aufhören der Kapitalverbrechen nicht erreicht werden könne, sondern daß wir es gerade der Todesstrafe zu danken hätten, nur wenige ihr Verfallene zu sehen, so möchte gerade dieser Meinung wieder jener Jrrthum zum Grunde liegen, als wenn unsere Gesellschaft einzig und allein durch die Furcht vor dem Gesetz gegen den in ihr schlummernden Cannibalismus verwahrt wäre. Nimmermehr! Was uns zusammenhält, ist die Bildung, die eingepflanzte Moral, die christliche Tradition und vor allen Dingen das Jnteresse. Die Furcht vor der Strafe bewirkt Nichts, sondern nur die Furcht vor der Schande; aber in der Schande gibt es keine Stufenleiter. Jst sie größer oder geringer, sie hinterläßt immer denselben Makel, so daß also Der, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/114
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/114>, abgerufen am 16.05.2024.