Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.derjenige Professor, welcher die Kirchengeschichte las und für einen getauften Juden galt. Als ich den Mann zum Erstenmal auf der Straße sah, erstaunte ich über seine Originalität. Er ging am Arme seiner Schwester im nachläßigsten Aufzuge einher. Die Kleider waren alt, oder wenigstens unsauber gehalten; ein weißes Tuch war nachläßig um den Hals gewickelt; der Hut war ohnedies vom vielen Grüßen der vorübergehenden Commilitonen kahl und abgegriffen. Allein trotz dieses abschreckenden Aeußern lag in dem Antlitze des Mannes etwas, das urplötzlich die Theilnahme fesselte. Die blöden Augen und der schlecht rasirte schwarze Bart hinderte nicht, sich an dem Anblick dieser Mienen mit innerer Behaglichkeit zu weiden. Eine heilige Sabbathruhe lag auf ihnen, ein so beglückter Gottesfriede, daß ich mich zweifelnd fragen mußte: "Er ist ein getaufter Jude?" Er war es in der That, er war von dem Jdealismus der christlichen Religion überwältigt worden und schmiegte sich an die poetische Erscheinung Christi mit der Jnnigkeit des ihm der Liebste gewesenen Jüngers an. Er vernachläßigte sich selbst und den Umgang mit der Welt, aus Liebe zu dem großen Religionsstifter, den er nicht anders, als: "der Herr, der Heiland, der Meister," ganz im orientalischen Dufte dieser Wörter nannte. Man konnte nicht sagen, daß er kombinatorisches Talent für die Bereicherung der theologischen Wissenschaft selbst hatte, allein, was ihn den Studenten so derjenige Professor, welcher die Kirchengeschichte las und für einen getauften Juden galt. Als ich den Mann zum Erstenmal auf der Straße sah, erstaunte ich über seine Originalität. Er ging am Arme seiner Schwester im nachläßigsten Aufzuge einher. Die Kleider waren alt, oder wenigstens unsauber gehalten; ein weißes Tuch war nachläßig um den Hals gewickelt; der Hut war ohnedies vom vielen Grüßen der vorübergehenden Commilitonen kahl und abgegriffen. Allein trotz dieses abschreckenden Aeußern lag in dem Antlitze des Mannes etwas, das urplötzlich die Theilnahme fesselte. Die blöden Augen und der schlecht rasirte schwarze Bart hinderte nicht, sich an dem Anblick dieser Mienen mit innerer Behaglichkeit zu weiden. Eine heilige Sabbathruhe lag auf ihnen, ein so beglückter Gottesfriede, daß ich mich zweifelnd fragen mußte: "Er ist ein getaufter Jude?" Er war es in der That, er war von dem Jdealismus der christlichen Religion überwältigt worden und schmiegte sich an die poetische Erscheinung Christi mit der Jnnigkeit des ihm der Liebste gewesenen Jüngers an. Er vernachläßigte sich selbst und den Umgang mit der Welt, aus Liebe zu dem großen Religionsstifter, den er nicht anders, als: "der Herr, der Heiland, der Meister," ganz im orientalischen Dufte dieser Wörter nannte. Man konnte nicht sagen, daß er kombinatorisches Talent für die Bereicherung der theologischen Wissenschaft selbst hatte, allein, was ihn den Studenten so <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0138" n="136"/> derjenige Professor, welcher die Kirchengeschichte las und für einen getauften Juden galt. Als ich den Mann zum Erstenmal auf der Straße sah, erstaunte ich über seine Originalität. Er ging am Arme seiner Schwester im nachläßigsten Aufzuge einher. Die Kleider waren alt, oder wenigstens unsauber gehalten; ein weißes Tuch war nachläßig um den Hals gewickelt; der Hut war ohnedies vom vielen Grüßen der vorübergehenden Commilitonen kahl und abgegriffen. Allein trotz dieses abschreckenden Aeußern lag in dem Antlitze des Mannes etwas, das urplötzlich die Theilnahme fesselte. Die blöden Augen und der schlecht rasirte schwarze Bart hinderte nicht, sich an dem Anblick dieser Mienen mit innerer Behaglichkeit zu weiden. Eine heilige Sabbathruhe lag auf ihnen, ein so beglückter Gottesfriede, daß ich mich zweifelnd fragen mußte: "Er ist ein getaufter Jude?" Er war es in der That, er war von dem Jdealismus der christlichen Religion überwältigt worden und schmiegte sich an die poetische Erscheinung Christi mit der Jnnigkeit des ihm der Liebste gewesenen Jüngers an. Er vernachläßigte sich selbst und den Umgang mit der Welt, aus Liebe zu dem großen Religionsstifter, den er nicht anders, als: "der Herr, der Heiland, der Meister," ganz im orientalischen Dufte dieser Wörter nannte. Man konnte nicht sagen, daß er kombinatorisches Talent für die Bereicherung der theologischen Wissenschaft selbst hatte, allein, was ihn den Studenten so </p> </div> </body> </text> </TEI> [136/0138]
derjenige Professor, welcher die Kirchengeschichte las und für einen getauften Juden galt. Als ich den Mann zum Erstenmal auf der Straße sah, erstaunte ich über seine Originalität. Er ging am Arme seiner Schwester im nachläßigsten Aufzuge einher. Die Kleider waren alt, oder wenigstens unsauber gehalten; ein weißes Tuch war nachläßig um den Hals gewickelt; der Hut war ohnedies vom vielen Grüßen der vorübergehenden Commilitonen kahl und abgegriffen. Allein trotz dieses abschreckenden Aeußern lag in dem Antlitze des Mannes etwas, das urplötzlich die Theilnahme fesselte. Die blöden Augen und der schlecht rasirte schwarze Bart hinderte nicht, sich an dem Anblick dieser Mienen mit innerer Behaglichkeit zu weiden. Eine heilige Sabbathruhe lag auf ihnen, ein so beglückter Gottesfriede, daß ich mich zweifelnd fragen mußte: "Er ist ein getaufter Jude?" Er war es in der That, er war von dem Jdealismus der christlichen Religion überwältigt worden und schmiegte sich an die poetische Erscheinung Christi mit der Jnnigkeit des ihm der Liebste gewesenen Jüngers an. Er vernachläßigte sich selbst und den Umgang mit der Welt, aus Liebe zu dem großen Religionsstifter, den er nicht anders, als: "der Herr, der Heiland, der Meister," ganz im orientalischen Dufte dieser Wörter nannte. Man konnte nicht sagen, daß er kombinatorisches Talent für die Bereicherung der theologischen Wissenschaft selbst hatte, allein, was ihn den Studenten so
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