Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.wo auf öffentlichen Promenaden die Juden nicht den allgemeinen Bürgersteig betreten durften, sondern durch den Sand des Fahrweges waten mußten. Selbst aufgeklärte Staatsmänner, die den Juden eine Verbesserung ihres Zustands von Herzen gönnen, sehen nicht ein, wie man dabei einen andern Weg, als den einer allmäligen Reform, einschlagen könne. Es wird den Juden mit der Zeit erlaubt, unbewegliches Eigenthum zu haben, sie dürfen Landsitze kaufen, sie dürfen ein Gewerbe treiben und werden hier und da zur Advokatur zugelassen. Allein auch dieses Verfahren ist am wenigsten zu einer Beilegung des Streites geeignet; denn indem die gebildeten Juden einen gewissen Grad von Freiheit erhalten und die süße Gleichheit der Rechte hie und da kosten können, werden ihre Bedürfnisse nur dringender und ihre Wünsche nur lauter werden. Können sie nicht mit Recht sagen: wir erlangen die volle Freiheit nicht für uns Alle, sondern nur für Die, die sich nicht bloß ihrer würdig machen, sondern überhaupt sie ertragen können? Hat man erst den Juden zum Advokaten gemacht, gab man ihm sogar Sitz und Stimme in der Gemeinde, wie sie Montefiore in London hat, dann ist es schwer, Männern von dieser Bevorzugung auch das Uebrige zu versagen; ihre Redlichkeit ist erprobt, ihre Talente sind selten. Wenn man ihnen jezt noch die Pforte zu höheren Terrassen verschließt, dann begeht man eine Ungerechtigkeit, von der ich nicht weiß, ob sie durch einen Rückblick wo auf öffentlichen Promenaden die Juden nicht den allgemeinen Bürgersteig betreten durften, sondern durch den Sand des Fahrweges waten mußten. Selbst aufgeklärte Staatsmänner, die den Juden eine Verbesserung ihres Zustands von Herzen gönnen, sehen nicht ein, wie man dabei einen andern Weg, als den einer allmäligen Reform, einschlagen könne. Es wird den Juden mit der Zeit erlaubt, unbewegliches Eigenthum zu haben, sie dürfen Landsitze kaufen, sie dürfen ein Gewerbe treiben und werden hier und da zur Advokatur zugelassen. Allein auch dieses Verfahren ist am wenigsten zu einer Beilegung des Streites geeignet; denn indem die gebildeten Juden einen gewissen Grad von Freiheit erhalten und die süße Gleichheit der Rechte hie und da kosten können, werden ihre Bedürfnisse nur dringender und ihre Wünsche nur lauter werden. Können sie nicht mit Recht sagen: wir erlangen die volle Freiheit nicht für uns Alle, sondern nur für Die, die sich nicht bloß ihrer würdig machen, sondern überhaupt sie ertragen können? Hat man erst den Juden zum Advokaten gemacht, gab man ihm sogar Sitz und Stimme in der Gemeinde, wie sie Montefiore in London hat, dann ist es schwer, Männern von dieser Bevorzugung auch das Uebrige zu versagen; ihre Redlichkeit ist erprobt, ihre Talente sind selten. Wenn man ihnen jezt noch die Pforte zu höheren Terrassen verschließt, dann begeht man eine Ungerechtigkeit, von der ich nicht weiß, ob sie durch einen Rückblick <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0222" n="220"/> wo auf öffentlichen Promenaden die Juden nicht den allgemeinen Bürgersteig betreten durften, sondern durch den Sand des Fahrweges waten mußten. Selbst aufgeklärte Staatsmänner, die den Juden eine Verbesserung ihres Zustands von Herzen gönnen, sehen nicht ein, wie man dabei einen andern Weg, als den einer allmäligen Reform, einschlagen könne. Es wird den Juden mit der Zeit erlaubt, unbewegliches Eigenthum zu haben, sie dürfen Landsitze kaufen, sie dürfen ein Gewerbe treiben und werden hier und da zur Advokatur zugelassen. Allein auch dieses Verfahren ist am wenigsten zu einer Beilegung des Streites geeignet; denn indem die gebildeten Juden einen gewissen Grad von Freiheit erhalten und die süße Gleichheit der Rechte hie und da kosten können, werden ihre Bedürfnisse nur dringender und ihre Wünsche nur lauter werden. Können sie nicht mit Recht sagen: wir erlangen die volle Freiheit nicht für uns Alle, sondern nur für Die, die sich nicht bloß ihrer würdig machen, sondern überhaupt sie ertragen können? Hat man erst den Juden zum Advokaten gemacht, gab man ihm sogar Sitz und Stimme in der Gemeinde, wie sie <hi rendition="#g">Montefiore</hi> in London hat, dann ist es schwer, Männern von dieser Bevorzugung auch das Uebrige zu versagen; ihre Redlichkeit ist erprobt, ihre Talente sind selten. Wenn man ihnen jezt noch die Pforte zu höheren Terrassen verschließt, dann begeht man eine Ungerechtigkeit, von der ich nicht weiß, ob sie durch einen Rückblick </p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0222]
wo auf öffentlichen Promenaden die Juden nicht den allgemeinen Bürgersteig betreten durften, sondern durch den Sand des Fahrweges waten mußten. Selbst aufgeklärte Staatsmänner, die den Juden eine Verbesserung ihres Zustands von Herzen gönnen, sehen nicht ein, wie man dabei einen andern Weg, als den einer allmäligen Reform, einschlagen könne. Es wird den Juden mit der Zeit erlaubt, unbewegliches Eigenthum zu haben, sie dürfen Landsitze kaufen, sie dürfen ein Gewerbe treiben und werden hier und da zur Advokatur zugelassen. Allein auch dieses Verfahren ist am wenigsten zu einer Beilegung des Streites geeignet; denn indem die gebildeten Juden einen gewissen Grad von Freiheit erhalten und die süße Gleichheit der Rechte hie und da kosten können, werden ihre Bedürfnisse nur dringender und ihre Wünsche nur lauter werden. Können sie nicht mit Recht sagen: wir erlangen die volle Freiheit nicht für uns Alle, sondern nur für Die, die sich nicht bloß ihrer würdig machen, sondern überhaupt sie ertragen können? Hat man erst den Juden zum Advokaten gemacht, gab man ihm sogar Sitz und Stimme in der Gemeinde, wie sie Montefiore in London hat, dann ist es schwer, Männern von dieser Bevorzugung auch das Uebrige zu versagen; ihre Redlichkeit ist erprobt, ihre Talente sind selten. Wenn man ihnen jezt noch die Pforte zu höheren Terrassen verschließt, dann begeht man eine Ungerechtigkeit, von der ich nicht weiß, ob sie durch einen Rückblick
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