Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.in der Oper, als die Deklamation überwiegend, erhält, wenn auch einer der nicht geringsten ihrer Fehler der ist, daß sie das Textbuch als Nebensache betrachtet und nicht selten Sterbescenen mit Walzern begleitet. Rossinis geistreiche Kompositionen werden wir erst jezt vermissen, wo die jüngern Jtaliener in die Opernmusik eine klägliche Kantilene eingeführt haben. Bellini und Donizetti schwelgen in Tonmodulationen, wo nicht nur die Handlung, sondern selbst schon das musikalische Motiv verschwimmen und man nur auf den Tönen sich wie auf einem Kahne schaukelt. Bellini hat viel Melodien geschrieben, aber eine hört sich, wie die andere an. Von neuern deutschen Komponisten ist es nur Weber und Meyerbeer gelungen, eine europäische Berühmtheit zu erhalten. Beide sind gewiß tiefere Musiker, als mancher Franzose; allein sie können nicht aus einem Gusse schaffen. Weber macht alle Augenblick einen Absatz, Meyerbeer alle Augenblick einen neuen Ansatz. Webers Opern haben ein zaghaftes Ansehen, Meyerbeers ein musivisch-zusammengeseztes. Webers Opern wirken kalt, weil gerade in diesem Abbrechen seiner einzelnen Musikstücke und der nur innerlichen Abrundung derselben sogar etwas lyrisch-ängstliches liegt. Diese Lückenhaftigkeit der Weber'schen Komposition veranlaßte Meyerbeer zum entgegengesezten Fehler der Ueberladenheit. Jedes Ritzchen in dem Gebäude seiner Opern wird von ihm mit Noten verstopft; das sorgsamste Studium in der Oper, als die Deklamation überwiegend, erhält, wenn auch einer der nicht geringsten ihrer Fehler der ist, daß sie das Textbuch als Nebensache betrachtet und nicht selten Sterbescenen mit Walzern begleitet. Rossinis geistreiche Kompositionen werden wir erst jezt vermissen, wo die jüngern Jtaliener in die Opernmusik eine klägliche Kantilene eingeführt haben. Bellini und Donizetti schwelgen in Tonmodulationen, wo nicht nur die Handlung, sondern selbst schon das musikalische Motiv verschwimmen und man nur auf den Tönen sich wie auf einem Kahne schaukelt. Bellini hat viel Melodien geschrieben, aber eine hört sich, wie die andere an. Von neuern deutschen Komponisten ist es nur Weber und Meyerbeer gelungen, eine europäische Berühmtheit zu erhalten. Beide sind gewiß tiefere Musiker, als mancher Franzose; allein sie können nicht aus einem Gusse schaffen. Weber macht alle Augenblick einen Absatz, Meyerbeer alle Augenblick einen neuen Ansatz. Webers Opern haben ein zaghaftes Ansehen, Meyerbeers ein musivisch-zusammengeseztes. Webers Opern wirken kalt, weil gerade in diesem Abbrechen seiner einzelnen Musikstücke und der nur innerlichen Abrundung derselben sogar etwas lyrisch-ängstliches liegt. Diese Lückenhaftigkeit der Weber’schen Komposition veranlaßte Meyerbeer zum entgegengesezten Fehler der Ueberladenheit. Jedes Ritzchen in dem Gebäude seiner Opern wird von ihm mit Noten verstopft; das sorgsamste Studium <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0278" n="276"/> in der Oper, als die Deklamation überwiegend, erhält, wenn auch einer der nicht geringsten ihrer Fehler der ist, daß sie das Textbuch als Nebensache betrachtet und nicht selten Sterbescenen mit Walzern begleitet. <hi rendition="#g">Rossinis</hi> geistreiche Kompositionen werden wir erst jezt vermissen, wo die jüngern Jtaliener in die Opernmusik eine klägliche Kantilene eingeführt haben. <hi rendition="#g">Bellini</hi> und <hi rendition="#g">Donizetti</hi> schwelgen in Tonmodulationen, wo nicht nur die Handlung, sondern selbst schon das musikalische Motiv verschwimmen und man nur auf den Tönen sich wie auf einem Kahne schaukelt. <hi rendition="#g">Bellini</hi> hat viel Melodien geschrieben, aber eine hört sich, wie die andere an. Von neuern deutschen Komponisten ist es nur <hi rendition="#g">Weber</hi> und <hi rendition="#g">Meyerbeer</hi> gelungen, eine europäische Berühmtheit zu erhalten. Beide sind gewiß tiefere Musiker, als mancher Franzose; allein sie können nicht aus einem Gusse schaffen. <hi rendition="#g">Weber</hi> macht alle Augenblick einen Absatz, <hi rendition="#g">Meyerbeer</hi> alle Augenblick einen neuen Ansatz. <hi rendition="#g">Webers</hi> Opern haben ein zaghaftes Ansehen, <hi rendition="#g">Meyerbeers</hi> ein musivisch-zusammengeseztes. <hi rendition="#g">Webers</hi> Opern wirken kalt, weil gerade in diesem Abbrechen seiner einzelnen Musikstücke und der nur innerlichen Abrundung derselben sogar etwas lyrisch-ängstliches liegt. Diese Lückenhaftigkeit der <hi rendition="#g">Weber</hi>’schen Komposition veranlaßte <hi rendition="#g">Meyerbeer</hi> zum entgegengesezten Fehler der Ueberladenheit. Jedes Ritzchen in dem Gebäude seiner Opern wird von ihm mit Noten verstopft; das sorgsamste Studium </p> </div> </body> </text> </TEI> [276/0278]
in der Oper, als die Deklamation überwiegend, erhält, wenn auch einer der nicht geringsten ihrer Fehler der ist, daß sie das Textbuch als Nebensache betrachtet und nicht selten Sterbescenen mit Walzern begleitet. Rossinis geistreiche Kompositionen werden wir erst jezt vermissen, wo die jüngern Jtaliener in die Opernmusik eine klägliche Kantilene eingeführt haben. Bellini und Donizetti schwelgen in Tonmodulationen, wo nicht nur die Handlung, sondern selbst schon das musikalische Motiv verschwimmen und man nur auf den Tönen sich wie auf einem Kahne schaukelt. Bellini hat viel Melodien geschrieben, aber eine hört sich, wie die andere an. Von neuern deutschen Komponisten ist es nur Weber und Meyerbeer gelungen, eine europäische Berühmtheit zu erhalten. Beide sind gewiß tiefere Musiker, als mancher Franzose; allein sie können nicht aus einem Gusse schaffen. Weber macht alle Augenblick einen Absatz, Meyerbeer alle Augenblick einen neuen Ansatz. Webers Opern haben ein zaghaftes Ansehen, Meyerbeers ein musivisch-zusammengeseztes. Webers Opern wirken kalt, weil gerade in diesem Abbrechen seiner einzelnen Musikstücke und der nur innerlichen Abrundung derselben sogar etwas lyrisch-ängstliches liegt. Diese Lückenhaftigkeit der Weber’schen Komposition veranlaßte Meyerbeer zum entgegengesezten Fehler der Ueberladenheit. Jedes Ritzchen in dem Gebäude seiner Opern wird von ihm mit Noten verstopft; das sorgsamste Studium
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