Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.nämlich der Erfahrungsstoff als etwas sich von selbst Verstehendes und als Erfahrung längst Bewiesenes, in einige logische Klammern gezwängt wurde, die bald anfingen (man denke nur an die Philosophie von Wolf!) für sich betrachtet und von der Spekulation belebt zu werden. Seither trennte sich die gelehrte Thätigkeit in die beiden Arme der Empirie und Spekulation. Bloßes Wissen der Ueberlieferung hörte bald auf, für Gelehrsamkeit zu gelten, z. B. in der klassischen Alterthumskunde mußten solche Gelehrte, wie Fabricius, deren ganzes Wissen Gedächtnißsache und Sammlerfleiß war, dem Scharfsinn eines Bentley weichen. Der Flor der Empirie begann mit den Naturwissenschaften zunächst wohl am eifrigsten im Jnteresse der Heilkunde. Die Holländer, deren philologische Bildung noch die Schulen beherrschte, fingen auch die Universitäten an durch ihre Entdeckungen, namentlich in der Physiologie, zu beherrschen. Das Vergrößerungsglas zeigte die noch bisher verborgen gewesene Seite der stetigen Naturbildung; das anatomische Skalpett zerlegte den Menschen in seine feinsten Theile. Die Lehre von den Nerven bekam eine neue Gestalt. Noch war auch der Zwiespalt Spekulation und Empirie nicht so weit ausgedehnt, wie späterhin. Die Werke des Kartesius z. B. beginnen mit seinem unsterblichen Satze: ich denke, - folglich bin ich, und den tiefen, mathematisch-strikten Folgerungen, nämlich der Erfahrungsstoff als etwas sich von selbst Verstehendes und als Erfahrung längst Bewiesenes, in einige logische Klammern gezwängt wurde, die bald anfingen (man denke nur an die Philosophie von Wolf!) für sich betrachtet und von der Spekulation belebt zu werden. Seither trennte sich die gelehrte Thätigkeit in die beiden Arme der Empirie und Spekulation. Bloßes Wissen der Ueberlieferung hörte bald auf, für Gelehrsamkeit zu gelten, z. B. in der klassischen Alterthumskunde mußten solche Gelehrte, wie Fabricius, deren ganzes Wissen Gedächtnißsache und Sammlerfleiß war, dem Scharfsinn eines Bentley weichen. Der Flor der Empirie begann mit den Naturwissenschaften zunächst wohl am eifrigsten im Jnteresse der Heilkunde. Die Holländer, deren philologische Bildung noch die Schulen beherrschte, fingen auch die Universitäten an durch ihre Entdeckungen, namentlich in der Physiologie, zu beherrschen. Das Vergrößerungsglas zeigte die noch bisher verborgen gewesene Seite der stetigen Naturbildung; das anatomische Skalpett zerlegte den Menschen in seine feinsten Theile. Die Lehre von den Nerven bekam eine neue Gestalt. Noch war auch der Zwiespalt Spekulation und Empirie nicht so weit ausgedehnt, wie späterhin. Die Werke des Kartesius z. B. beginnen mit seinem unsterblichen Satze: ich denke, – folglich bin ich, und den tiefen, mathematisch-strikten Folgerungen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0323" n="321"/> nämlich der Erfahrungsstoff als etwas sich von selbst Verstehendes und als Erfahrung längst Bewiesenes, in einige logische Klammern gezwängt wurde, die bald anfingen (man denke nur an die Philosophie von <hi rendition="#g">Wolf</hi>!) für sich betrachtet und von der Spekulation belebt zu werden. Seither trennte sich die gelehrte Thätigkeit in die beiden Arme der Empirie und Spekulation. Bloßes Wissen der Ueberlieferung hörte bald auf, für Gelehrsamkeit zu gelten, z. B. in der klassischen Alterthumskunde mußten solche Gelehrte, wie <hi rendition="#g">Fabricius</hi>, deren ganzes Wissen Gedächtnißsache und Sammlerfleiß war, dem Scharfsinn eines <hi rendition="#g">Bentley</hi> weichen.</p> <p>Der Flor der Empirie begann mit den Naturwissenschaften zunächst wohl am eifrigsten im Jnteresse der Heilkunde. Die Holländer, deren philologische Bildung noch die Schulen beherrschte, fingen auch die Universitäten an durch ihre Entdeckungen, namentlich in der Physiologie, zu beherrschen. Das Vergrößerungsglas zeigte die noch bisher verborgen gewesene Seite der stetigen Naturbildung; das anatomische Skalpett zerlegte den Menschen in seine feinsten Theile. Die Lehre von den Nerven bekam eine neue Gestalt. Noch war auch der Zwiespalt Spekulation und Empirie nicht so weit ausgedehnt, wie späterhin. Die Werke des <hi rendition="#g">Kartesius</hi> z. B. beginnen mit seinem unsterblichen Satze: <hi rendition="#g">ich denke, – folglich bin ich</hi>, und den tiefen, mathematisch-strikten Folgerungen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [321/0323]
nämlich der Erfahrungsstoff als etwas sich von selbst Verstehendes und als Erfahrung längst Bewiesenes, in einige logische Klammern gezwängt wurde, die bald anfingen (man denke nur an die Philosophie von Wolf!) für sich betrachtet und von der Spekulation belebt zu werden. Seither trennte sich die gelehrte Thätigkeit in die beiden Arme der Empirie und Spekulation. Bloßes Wissen der Ueberlieferung hörte bald auf, für Gelehrsamkeit zu gelten, z. B. in der klassischen Alterthumskunde mußten solche Gelehrte, wie Fabricius, deren ganzes Wissen Gedächtnißsache und Sammlerfleiß war, dem Scharfsinn eines Bentley weichen.
Der Flor der Empirie begann mit den Naturwissenschaften zunächst wohl am eifrigsten im Jnteresse der Heilkunde. Die Holländer, deren philologische Bildung noch die Schulen beherrschte, fingen auch die Universitäten an durch ihre Entdeckungen, namentlich in der Physiologie, zu beherrschen. Das Vergrößerungsglas zeigte die noch bisher verborgen gewesene Seite der stetigen Naturbildung; das anatomische Skalpett zerlegte den Menschen in seine feinsten Theile. Die Lehre von den Nerven bekam eine neue Gestalt. Noch war auch der Zwiespalt Spekulation und Empirie nicht so weit ausgedehnt, wie späterhin. Die Werke des Kartesius z. B. beginnen mit seinem unsterblichen Satze: ich denke, – folglich bin ich, und den tiefen, mathematisch-strikten Folgerungen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/323 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/323>, abgerufen am 16.07.2024. |