Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

empirische Erfahrung, ist die Erkenntniß des Zunächstliegenden und die Schlußfolgerung von ihm auf das Entferntere. So dicht gedrängt die Erfahrungen im Anfange der Wissenschaft gesäet sind, so spärlich werden sie auf dem höhern Gebiete in der Metaphysik; hier werden ganze Gebiete, welche früher die Philosophie behauptete, preisgegeben, hier zucken die Philosophen die Achseln, beklagen, daß man nichts wisse, finden aber gerade die Wissenschaft darin, zu beweisen, daß man hier nichts wissen könne. Die schottische Philosophie ist daher nur Psychologie. Sie beschäftigt sich mit den Ursachen und Bedingungen unserer Erkenntniß, sie baut ein System von sinnlichen und wohl auch mehr oder weniger geistigen Wahrnehmungen auf, läßt hier und da etwas ahnden oder vermuthen, kehrt aber immer wieder auf den Menschen, als das Maß der gegebenen Dinge zurück. Diese Philosophie, so unvollständig ihr äußeres Aussehen ist, hat doch unstreitig viel wohlthätige Resultate für manche praktische Fragen abgeworfen. Sie hat nicht nur der Theologie nützen können, sondern auch den Naturwissenschaften und besonders jenem Theile der Arzneikunde, welcher den Krankheiten der menschlichen Seele gewidmet ist. Diese Philosophie ist überhaupt nichts, als eine geistige Physiologie, die gerade ebenso, wie die körperliche, durch Erfahrungen geleitet wird, das Verwandte mit einander vergleicht, das Aehnliche vom Täuschenden sondert und etwa sich ergebende

empirische Erfahrung, ist die Erkenntniß des Zunächstliegenden und die Schlußfolgerung von ihm auf das Entferntere. So dicht gedrängt die Erfahrungen im Anfange der Wissenschaft gesäet sind, so spärlich werden sie auf dem höhern Gebiete in der Metaphysik; hier werden ganze Gebiete, welche früher die Philosophie behauptete, preisgegeben, hier zucken die Philosophen die Achseln, beklagen, daß man nichts wisse, finden aber gerade die Wissenschaft darin, zu beweisen, daß man hier nichts wissen könne. Die schottische Philosophie ist daher nur Psychologie. Sie beschäftigt sich mit den Ursachen und Bedingungen unserer Erkenntniß, sie baut ein System von sinnlichen und wohl auch mehr oder weniger geistigen Wahrnehmungen auf, läßt hier und da etwas ahnden oder vermuthen, kehrt aber immer wieder auf den Menschen, als das Maß der gegebenen Dinge zurück. Diese Philosophie, so unvollständig ihr äußeres Aussehen ist, hat doch unstreitig viel wohlthätige Resultate für manche praktische Fragen abgeworfen. Sie hat nicht nur der Theologie nützen können, sondern auch den Naturwissenschaften und besonders jenem Theile der Arzneikunde, welcher den Krankheiten der menschlichen Seele gewidmet ist. Diese Philosophie ist überhaupt nichts, als eine geistige Physiologie, die gerade ebenso, wie die körperliche, durch Erfahrungen geleitet wird, das Verwandte mit einander vergleicht, das Aehnliche vom Täuschenden sondert und etwa sich ergebende

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0350" n="348"/>
empirische Erfahrung, ist die Erkenntniß des Zunächstliegenden und die Schlußfolgerung von ihm auf das Entferntere. So dicht gedrängt die Erfahrungen im Anfange der Wissenschaft gesäet sind, so spärlich werden sie auf dem höhern Gebiete in der Metaphysik; hier werden ganze Gebiete, welche früher die Philosophie behauptete, preisgegeben, hier zucken die Philosophen die Achseln, beklagen, daß man nichts wisse, finden aber gerade die Wissenschaft darin, zu beweisen, daß man hier nichts wissen <hi rendition="#g">könne</hi>. Die schottische Philosophie ist daher nur Psychologie. Sie beschäftigt sich mit den Ursachen und Bedingungen unserer Erkenntniß, sie baut ein System von sinnlichen und wohl auch mehr oder weniger geistigen Wahrnehmungen auf, läßt hier und da etwas ahnden oder vermuthen, kehrt aber immer wieder auf den Menschen, als das Maß der gegebenen Dinge zurück. Diese Philosophie, so unvollständig ihr äußeres Aussehen ist, hat doch unstreitig viel wohlthätige Resultate für manche praktische Fragen abgeworfen. Sie hat nicht nur der Theologie nützen können, sondern auch den Naturwissenschaften und besonders jenem Theile der Arzneikunde, welcher den Krankheiten der menschlichen Seele gewidmet ist. Diese Philosophie ist überhaupt nichts, als eine geistige Physiologie, die gerade ebenso, wie die körperliche, durch Erfahrungen geleitet wird, das Verwandte mit einander vergleicht, das Aehnliche vom Täuschenden sondert und etwa sich ergebende
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[348/0350] empirische Erfahrung, ist die Erkenntniß des Zunächstliegenden und die Schlußfolgerung von ihm auf das Entferntere. So dicht gedrängt die Erfahrungen im Anfange der Wissenschaft gesäet sind, so spärlich werden sie auf dem höhern Gebiete in der Metaphysik; hier werden ganze Gebiete, welche früher die Philosophie behauptete, preisgegeben, hier zucken die Philosophen die Achseln, beklagen, daß man nichts wisse, finden aber gerade die Wissenschaft darin, zu beweisen, daß man hier nichts wissen könne. Die schottische Philosophie ist daher nur Psychologie. Sie beschäftigt sich mit den Ursachen und Bedingungen unserer Erkenntniß, sie baut ein System von sinnlichen und wohl auch mehr oder weniger geistigen Wahrnehmungen auf, läßt hier und da etwas ahnden oder vermuthen, kehrt aber immer wieder auf den Menschen, als das Maß der gegebenen Dinge zurück. Diese Philosophie, so unvollständig ihr äußeres Aussehen ist, hat doch unstreitig viel wohlthätige Resultate für manche praktische Fragen abgeworfen. Sie hat nicht nur der Theologie nützen können, sondern auch den Naturwissenschaften und besonders jenem Theile der Arzneikunde, welcher den Krankheiten der menschlichen Seele gewidmet ist. Diese Philosophie ist überhaupt nichts, als eine geistige Physiologie, die gerade ebenso, wie die körperliche, durch Erfahrungen geleitet wird, das Verwandte mit einander vergleicht, das Aehnliche vom Täuschenden sondert und etwa sich ergebende

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/350
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/350>, abgerufen am 22.11.2024.