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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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in's Unendliche spiralförmig empor. Die Lösung einer Frage macht schon wieder eine andere zweifelhaft; wenn wir im Vollgenusse jenes politischen Friedens seyn werden, nach welchem sich alle unserer gegenwärtigen Monotonie überdrüssigen Gemüther sehnen, so brauchen wir uns nur umzublicken, um neue Schaaren gerüsteter Probleme zu erblicken, die auf schnaubenden Rossen in die Schlacht der Discussion geführt seyn wollen. Da werden moralische und religiöse Fragen aus den Nebeln hervorleuchten und auch Minerva mit den Musen wird hervortreten, um Ansprüche zu machen auf Wiedereinsetzung in ihre alten Tempel. Wenn es in irgend einem Bereiche Widersprüche zu lösen, Feindschaften zu versöhnen und keimende Saaten gegen Frost und Ungewitter zu schützen gibt, so ist es in der Literatur; sie schmachtet nach Selbständigkeit, nach Emanzipation von dem Dienstverhältnisse, in welches sie sich durch die Unbill der Zeit begeben mußte; sie will die Traditionen jener goldenen Zeitalter der Antike und der Romantik fortsetzen, die Kunst von einer falschen Zweckbestimmung befreien, und den Gedanken von keinen andern Gesetzen beherrschen lassen, als denen seiner eigenen organischen Entwickelung. Die Literatur unserer Zeit offenbart überall, wo man hinblickt, eine Ahnung des Neuen, aber noch kennt sie die Grundlagen nicht, auf welche sie ihre erträumten Schöpfungen bauen dürfte. So wahr aber Alles, was an die Geschichte

in’s Unendliche spiralförmig empor. Die Lösung einer Frage macht schon wieder eine andere zweifelhaft; wenn wir im Vollgenusse jenes politischen Friedens seyn werden, nach welchem sich alle unserer gegenwärtigen Monotonie überdrüssigen Gemüther sehnen, so brauchen wir uns nur umzublicken, um neue Schaaren gerüsteter Probleme zu erblicken, die auf schnaubenden Rossen in die Schlacht der Discussion geführt seyn wollen. Da werden moralische und religiöse Fragen aus den Nebeln hervorleuchten und auch Minerva mit den Musen wird hervortreten, um Ansprüche zu machen auf Wiedereinsetzung in ihre alten Tempel. Wenn es in irgend einem Bereiche Widersprüche zu lösen, Feindschaften zu versöhnen und keimende Saaten gegen Frost und Ungewitter zu schützen gibt, so ist es in der Literatur; sie schmachtet nach Selbständigkeit, nach Emanzipation von dem Dienstverhältnisse, in welches sie sich durch die Unbill der Zeit begeben mußte; sie will die Traditionen jener goldenen Zeitalter der Antike und der Romantik fortsetzen, die Kunst von einer falschen Zweckbestimmung befreien, und den Gedanken von keinen andern Gesetzen beherrschen lassen, als denen seiner eigenen organischen Entwickelung. Die Literatur unserer Zeit offenbart überall, wo man hinblickt, eine Ahnung des Neuen, aber noch kennt sie die Grundlagen nicht, auf welche sie ihre erträumten Schöpfungen bauen dürfte. So wahr aber Alles, was an die Geschichte

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[439/0441] in’s Unendliche spiralförmig empor. Die Lösung einer Frage macht schon wieder eine andere zweifelhaft; wenn wir im Vollgenusse jenes politischen Friedens seyn werden, nach welchem sich alle unserer gegenwärtigen Monotonie überdrüssigen Gemüther sehnen, so brauchen wir uns nur umzublicken, um neue Schaaren gerüsteter Probleme zu erblicken, die auf schnaubenden Rossen in die Schlacht der Discussion geführt seyn wollen. Da werden moralische und religiöse Fragen aus den Nebeln hervorleuchten und auch Minerva mit den Musen wird hervortreten, um Ansprüche zu machen auf Wiedereinsetzung in ihre alten Tempel. Wenn es in irgend einem Bereiche Widersprüche zu lösen, Feindschaften zu versöhnen und keimende Saaten gegen Frost und Ungewitter zu schützen gibt, so ist es in der Literatur; sie schmachtet nach Selbständigkeit, nach Emanzipation von dem Dienstverhältnisse, in welches sie sich durch die Unbill der Zeit begeben mußte; sie will die Traditionen jener goldenen Zeitalter der Antike und der Romantik fortsetzen, die Kunst von einer falschen Zweckbestimmung befreien, und den Gedanken von keinen andern Gesetzen beherrschen lassen, als denen seiner eigenen organischen Entwickelung. Die Literatur unserer Zeit offenbart überall, wo man hinblickt, eine Ahnung des Neuen, aber noch kennt sie die Grundlagen nicht, auf welche sie ihre erträumten Schöpfungen bauen dürfte. So wahr aber Alles, was an die Geschichte

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 439. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/441>, abgerufen am 24.11.2024.