Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Strafnothwendigkeit soviel wie möglich von Barbarismus, von mechanischer Zweckbestimmung und ähnlichen Zuthaten lauter erhält, daß man den rein juristischen Gesichtspunkt der Strafe von dem moralischen überwinden ließe. Der moralische Gesichtspunkt der Strafe ist aber die Besserung, und aus diesem ergab sich, daß man aufhörte, über das Maß der Strafe zu sprechen und sich weit mehr mit den sie begleitenden Nebenumständen beschäftigte, namentlich mit den Gefängnissen. Die neuere Philosophie (wo man aber nicht so sehr an Bentham, als im Gegentheil an Berkeley denken muß) hat den Grundsatz der Wiedervergeltung in einen sanfteren und tiefer begründet scheinenden ausgeglättet, in den der Ausgleichung. Jch weiß diese Lehre, welche heutzutage für die geistreiche gilt, nicht anders zu bezeichnen, als durch Bilder. Man denke sich die Fülle des moralischen Lebens einer Nation im Bilde des Meeres. Jede aufschlagende Welle, die ein Verbrechen bedeutet, wird eben so tief stürzen, als sie sich erhoben hat. Für jeden Wellenberg eines Verbrechens soll es auch ein Wellenthal der Strafe geben. Oder wenn man sich die Vorstellung zurückruft, welche die katholische Kirche von der Fülle der guten Werke hat, so soll gleichsam auch in dem moralischen Volksleben ein gewisses Quantum Tugend produzirt werden, wo nun jede Störung dieser Produktion, also jedes Verbrechen, seine mathematische Strafbestimmung Strafnothwendigkeit soviel wie möglich von Barbarismus, von mechanischer Zweckbestimmung und ähnlichen Zuthaten lauter erhält, daß man den rein juristischen Gesichtspunkt der Strafe von dem moralischen überwinden ließe. Der moralische Gesichtspunkt der Strafe ist aber die Besserung, und aus diesem ergab sich, daß man aufhörte, über das Maß der Strafe zu sprechen und sich weit mehr mit den sie begleitenden Nebenumständen beschäftigte, namentlich mit den Gefängnissen. Die neuere Philosophie (wo man aber nicht so sehr an Bentham, als im Gegentheil an Berkeley denken muß) hat den Grundsatz der Wiedervergeltung in einen sanfteren und tiefer begründet scheinenden ausgeglättet, in den der Ausgleichung. Jch weiß diese Lehre, welche heutzutage für die geistreiche gilt, nicht anders zu bezeichnen, als durch Bilder. Man denke sich die Fülle des moralischen Lebens einer Nation im Bilde des Meeres. Jede aufschlagende Welle, die ein Verbrechen bedeutet, wird eben so tief stürzen, als sie sich erhoben hat. Für jeden Wellenberg eines Verbrechens soll es auch ein Wellenthal der Strafe geben. Oder wenn man sich die Vorstellung zurückruft, welche die katholische Kirche von der Fülle der guten Werke hat, so soll gleichsam auch in dem moralischen Volksleben ein gewisses Quantum Tugend produzirt werden, wo nun jede Störung dieser Produktion, also jedes Verbrechen, seine mathematische Strafbestimmung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0065" n="63"/><hi rendition="#g">Strafnothwendigkeit</hi> soviel wie möglich von Barbarismus, von mechanischer Zweckbestimmung und ähnlichen Zuthaten lauter erhält, daß man den rein juristischen Gesichtspunkt der Strafe von dem moralischen überwinden ließe. Der moralische Gesichtspunkt der Strafe ist aber die <hi rendition="#g">Besserung</hi>, und aus diesem ergab sich, daß man aufhörte, über das <hi rendition="#g">Maß</hi> der Strafe zu sprechen und sich weit mehr mit den sie begleitenden Nebenumständen beschäftigte, namentlich mit den Gefängnissen.</p> <p>Die neuere Philosophie (wo man aber nicht so sehr an <hi rendition="#g">Bentham</hi>, als im Gegentheil an <hi rendition="#g">Berkeley</hi> denken muß) hat den Grundsatz der Wiedervergeltung in einen sanfteren und tiefer begründet scheinenden ausgeglättet, in den der Ausgleichung. Jch weiß diese Lehre, welche heutzutage für die geistreiche gilt, nicht anders zu bezeichnen, als durch Bilder. Man denke sich die Fülle des moralischen Lebens einer Nation im Bilde des Meeres. Jede aufschlagende Welle, die ein Verbrechen bedeutet, wird eben so tief stürzen, als sie sich erhoben hat. Für jeden Wellenberg eines Verbrechens soll es auch ein Wellenthal der Strafe geben. Oder wenn man sich die Vorstellung zurückruft, welche die katholische Kirche von der Fülle der guten Werke hat, so soll gleichsam auch in dem moralischen Volksleben ein gewisses Quantum Tugend produzirt werden, wo nun jede Störung dieser Produktion, also jedes Verbrechen, seine mathematische Strafbestimmung </p> </div> </body> </text> </TEI> [63/0065]
Strafnothwendigkeit soviel wie möglich von Barbarismus, von mechanischer Zweckbestimmung und ähnlichen Zuthaten lauter erhält, daß man den rein juristischen Gesichtspunkt der Strafe von dem moralischen überwinden ließe. Der moralische Gesichtspunkt der Strafe ist aber die Besserung, und aus diesem ergab sich, daß man aufhörte, über das Maß der Strafe zu sprechen und sich weit mehr mit den sie begleitenden Nebenumständen beschäftigte, namentlich mit den Gefängnissen.
Die neuere Philosophie (wo man aber nicht so sehr an Bentham, als im Gegentheil an Berkeley denken muß) hat den Grundsatz der Wiedervergeltung in einen sanfteren und tiefer begründet scheinenden ausgeglättet, in den der Ausgleichung. Jch weiß diese Lehre, welche heutzutage für die geistreiche gilt, nicht anders zu bezeichnen, als durch Bilder. Man denke sich die Fülle des moralischen Lebens einer Nation im Bilde des Meeres. Jede aufschlagende Welle, die ein Verbrechen bedeutet, wird eben so tief stürzen, als sie sich erhoben hat. Für jeden Wellenberg eines Verbrechens soll es auch ein Wellenthal der Strafe geben. Oder wenn man sich die Vorstellung zurückruft, welche die katholische Kirche von der Fülle der guten Werke hat, so soll gleichsam auch in dem moralischen Volksleben ein gewisses Quantum Tugend produzirt werden, wo nun jede Störung dieser Produktion, also jedes Verbrechen, seine mathematische Strafbestimmung
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/65>, abgerufen am 16.02.2025. |