Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

Bild:
<< vorherige Seite

Kraft zutrauen, sich selbst zu lenken und Recht zu sprechen. Sie wollen das Königthum in seinen Lasten erleichtern. Warum ihnen die Oeffentlichkeit und die Geschwornen nicht lassen, die doch mehr als fünfzig Millionen Menschen in Europa und Amerika als das Bollwerk ihrer Freiheit, als das Unterpfand ihrer Fortschritte ansehen? Wohin die Uebung der Gerechtigkeit nur durch Juristen, wohin das Nivellement der Kabinetsregierungen führt, soll ein Beispiel erläutern.

Es war ein Vorrecht in der germanischen Feudalverfassung, daß der Gutsherr auf seinem Territorium für Recht und Gerechtigkeit sorgen durfte. Die sogenannte Patrimonialgerichtsbarkeit, in ihrem Prinzipe, hat nur Sinn, wenn sie mit dem Geschworneninstitute verbunden ist. Der Standesherr ordne und schütze das gerichtliche Verfahren, er leite es ein, er berufe die Richter, er gebe den Parteien rechtskundige Vertheidiger, er führe später den Spruch der Jury in Vollzug! Dies ist die Grundidee der Patrimonialgerichtsbarkeit, als einer Feudaleinrichtung. Mit der Ueberhandnahme des römischen Rechtes verlor sich jedoch im Volke das Rechtsbewußtseyn. Es konnte, da die Advokaten eine andre Bildung hatten, als eine der seinigen angemessene, nicht mehr zu Gericht sitzen; die Justiz wurde in allen Beziehungen Standesvorrecht: die Beisitzer und Schöffen aus dem Volke blieben aus. So nur kann man auf logische Weise die spätere Gestaltung der Patrimonialgerichtsbarkeit

Kraft zutrauen, sich selbst zu lenken und Recht zu sprechen. Sie wollen das Königthum in seinen Lasten erleichtern. Warum ihnen die Oeffentlichkeit und die Geschwornen nicht lassen, die doch mehr als fünfzig Millionen Menschen in Europa und Amerika als das Bollwerk ihrer Freiheit, als das Unterpfand ihrer Fortschritte ansehen? Wohin die Uebung der Gerechtigkeit nur durch Juristen, wohin das Nivellement der Kabinetsregierungen führt, soll ein Beispiel erläutern.

Es war ein Vorrecht in der germanischen Feudalverfassung, daß der Gutsherr auf seinem Territorium für Recht und Gerechtigkeit sorgen durfte. Die sogenannte Patrimonialgerichtsbarkeit, in ihrem Prinzipe, hat nur Sinn, wenn sie mit dem Geschworneninstitute verbunden ist. Der Standesherr ordne und schütze das gerichtliche Verfahren, er leite es ein, er berufe die Richter, er gebe den Parteien rechtskundige Vertheidiger, er führe später den Spruch der Jury in Vollzug! Dies ist die Grundidee der Patrimonialgerichtsbarkeit, als einer Feudaleinrichtung. Mit der Ueberhandnahme des römischen Rechtes verlor sich jedoch im Volke das Rechtsbewußtseyn. Es konnte, da die Advokaten eine andre Bildung hatten, als eine der seinigen angemessene, nicht mehr zu Gericht sitzen; die Justiz wurde in allen Beziehungen Standesvorrecht: die Beisitzer und Schöffen aus dem Volke blieben aus. So nur kann man auf logische Weise die spätere Gestaltung der Patrimonialgerichtsbarkeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0095" n="93"/>
Kraft zutrauen, sich selbst zu lenken und Recht zu sprechen. Sie wollen das Königthum in seinen Lasten erleichtern. Warum ihnen die Oeffentlichkeit und die Geschwornen nicht lassen, die doch mehr als fünfzig Millionen Menschen in Europa und Amerika als das Bollwerk ihrer Freiheit, als das Unterpfand ihrer Fortschritte ansehen? Wohin die Uebung der Gerechtigkeit <hi rendition="#g">nur</hi> durch Juristen, wohin das Nivellement der Kabinetsregierungen führt, soll ein Beispiel erläutern.</p>
        <p>Es war ein Vorrecht in der germanischen Feudalverfassung, daß der Gutsherr auf seinem Territorium für Recht und Gerechtigkeit sorgen durfte. Die sogenannte Patrimonialgerichtsbarkeit, in ihrem Prinzipe, hat nur Sinn, wenn sie mit dem Geschworneninstitute verbunden ist. Der Standesherr ordne und schütze das gerichtliche Verfahren, <hi rendition="#g">er</hi> leite es ein, <hi rendition="#g">er</hi> berufe die Richter, <hi rendition="#g">er</hi> gebe den Parteien rechtskundige Vertheidiger, <hi rendition="#g">er</hi> führe später den Spruch der Jury in Vollzug! Dies ist die Grundidee der Patrimonialgerichtsbarkeit, als einer Feudaleinrichtung. Mit der Ueberhandnahme des römischen Rechtes verlor sich jedoch im Volke das Rechtsbewußtseyn. Es konnte, da die Advokaten eine andre Bildung hatten, als eine der seinigen angemessene, nicht mehr zu Gericht sitzen; die Justiz wurde in allen Beziehungen Standesvorrecht: die Beisitzer und Schöffen aus dem Volke blieben aus. So nur kann man auf logische Weise die spätere Gestaltung der Patrimonialgerichtsbarkeit
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0095] Kraft zutrauen, sich selbst zu lenken und Recht zu sprechen. Sie wollen das Königthum in seinen Lasten erleichtern. Warum ihnen die Oeffentlichkeit und die Geschwornen nicht lassen, die doch mehr als fünfzig Millionen Menschen in Europa und Amerika als das Bollwerk ihrer Freiheit, als das Unterpfand ihrer Fortschritte ansehen? Wohin die Uebung der Gerechtigkeit nur durch Juristen, wohin das Nivellement der Kabinetsregierungen führt, soll ein Beispiel erläutern. Es war ein Vorrecht in der germanischen Feudalverfassung, daß der Gutsherr auf seinem Territorium für Recht und Gerechtigkeit sorgen durfte. Die sogenannte Patrimonialgerichtsbarkeit, in ihrem Prinzipe, hat nur Sinn, wenn sie mit dem Geschworneninstitute verbunden ist. Der Standesherr ordne und schütze das gerichtliche Verfahren, er leite es ein, er berufe die Richter, er gebe den Parteien rechtskundige Vertheidiger, er führe später den Spruch der Jury in Vollzug! Dies ist die Grundidee der Patrimonialgerichtsbarkeit, als einer Feudaleinrichtung. Mit der Ueberhandnahme des römischen Rechtes verlor sich jedoch im Volke das Rechtsbewußtseyn. Es konnte, da die Advokaten eine andre Bildung hatten, als eine der seinigen angemessene, nicht mehr zu Gericht sitzen; die Justiz wurde in allen Beziehungen Standesvorrecht: die Beisitzer und Schöffen aus dem Volke blieben aus. So nur kann man auf logische Weise die spätere Gestaltung der Patrimonialgerichtsbarkeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-09-13T12:39:16Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-09-13T12:39:16Z)
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-09-13T12:39:16Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/95
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/95>, abgerufen am 21.11.2024.