Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite
III. Induction und Deduction.

Die deductive Methode besteht aus drei Operationen: die
erste ist eine directe Induction, die zweite eine Folgerung,
die dritte eine Bestätigung
. Ich nenne den ersten Schritt in dem
Verfahren eine inductive Operation, weil eine directe Induction als die
Basis des Ganzen vorhanden sein muss, obgleich in vielen besonderen
Untersuchungen die Induction von einer früheren Deduction vertreten
werden kann; die Prämissen dieser früheren Deduction müssen aber
von einer Induction abgeleitet sein. -- Die Gesetze einer jeden be-
sonderen Ursache, die Antheil an der Erzeugung der Wirkung nimmt,
zu ermitteln, ist daher das erste Erforderniss (das erste Stadium) der
deductiven Methode; -- der zweite Theil (das zweite Stadium) der-
selben ist die Bestimmung aus den Gesetzen der Ursachen, welche
Wirkung eine gegebene Combination dieser Ursachen hervorbringen
wird. Dies ist ein Process der Berechnung in dem weitesten Sinne
des Wortes, und schliesst häufig eine Berechnung in dem engeren
Sinne ein. -- Den dritten wesentlichen Bestandtheil (das dritte Sta-
dium) der deductiven Methode, und ohne welchen alle Resultate, die
sie gewähren kann, keinen anderen Werth haben, als den einer Ver-
muthung, bildet die Bestätigung (Verification) oder Probe der Folgerung.
Um das Vertrauen auf die durch Deduction erhaltenen allgemeinen
Schlüsse zu rechtfertigen, müssen diese Schlüsse bei einer sorgfältigen
Vergleichung mit den Resultaten der directen Beobachtung, wo man
sie immer haben kann, übereinstimmend befunden werden." John
Stuart Mill
(die inductive Logik. Braunschweig, 1849; p. 180, 181,
187, 190).

An die Spitze dieses Abschnittes, welcher die höchst wichtige
und nothwendige Wechselwirkung der inductiven und der
deductiven Methode
erläutern soll, stellen wir die Aussprüche zweier
ausgezeichneter Männer, von denen der eine als "Naturforscher", der
andere als "Philosoph" die grössten Verdienste hat. Auf den ersten
Blick scheinen sich vielleicht beide geradezu zu widersprechen. Schlei-
den
preist die inductive, Mill die deductive Methode, welche diametral
von der ersteren verschieden zu sein scheint, als die "allein richtige"
und ausschliesslich zu befolgende Methode der Naturwissenschaft. In-
dessen ergiebt eine genauere Betrachtung ihrer Erklärungen alsbald,
dass dieser Gegensatz nur ein theilweiser, nur insofern vorhanden ist,

welche von Schwierigkeiten begleitet ist, die, wie bereits gezeigt wurde, nur
durch die Deduction allein gelöst werden können. Deduction heisst das
grosse wissenschaftliche Werk unserer und der zukünftigen Zeiten
.
Der Theil, welcher fortan der specifischen Erfahrung bei der Vervollkommnung
der Wissenschaft bewahrt ist, besteht hauptsächlich darin, dass sie dem deducti-
ven Forscher Winke giebt, die er zu verfolgen hat, und in der Bestätigung oder
Einschränkung seiner Schlüsse." John Stuart Mill (l. c.) p. 223, 224.
Haeckel, Generelle Morphologie. 6
III. Induction und Deduction.

Die deductive Methode besteht aus drei Operationen: die
erste ist eine directe Induction, die zweite eine Folgerung,
die dritte eine Bestätigung
. Ich nenne den ersten Schritt in dem
Verfahren eine inductive Operation, weil eine directe Induction als die
Basis des Ganzen vorhanden sein muss, obgleich in vielen besonderen
Untersuchungen die Induction von einer früheren Deduction vertreten
werden kann; die Prämissen dieser früheren Deduction müssen aber
von einer Induction abgeleitet sein. — Die Gesetze einer jeden be-
sonderen Ursache, die Antheil an der Erzeugung der Wirkung nimmt,
zu ermitteln, ist daher das erste Erforderniss (das erste Stadium) der
deductiven Methode; — der zweite Theil (das zweite Stadium) der-
selben ist die Bestimmung aus den Gesetzen der Ursachen, welche
Wirkung eine gegebene Combination dieser Ursachen hervorbringen
wird. Dies ist ein Process der Berechnung in dem weitesten Sinne
des Wortes, und schliesst häufig eine Berechnung in dem engeren
Sinne ein. — Den dritten wesentlichen Bestandtheil (das dritte Sta-
dium) der deductiven Methode, und ohne welchen alle Resultate, die
sie gewähren kann, keinen anderen Werth haben, als den einer Ver-
muthung, bildet die Bestätigung (Verification) oder Probe der Folgerung.
Um das Vertrauen auf die durch Deduction erhaltenen allgemeinen
Schlüsse zu rechtfertigen, müssen diese Schlüsse bei einer sorgfältigen
Vergleichung mit den Resultaten der directen Beobachtung, wo man
sie immer haben kann, übereinstimmend befunden werden.“ John
Stuart Mill
(die inductive Logik. Braunschweig, 1849; p. 180, 181,
187, 190).

An die Spitze dieses Abschnittes, welcher die höchst wichtige
und nothwendige Wechselwirkung der inductiven und der
deductiven Methode
erläutern soll, stellen wir die Aussprüche zweier
ausgezeichneter Männer, von denen der eine als „Naturforscher“, der
andere als „Philosoph“ die grössten Verdienste hat. Auf den ersten
Blick scheinen sich vielleicht beide geradezu zu widersprechen. Schlei-
den
preist die inductive, Mill die deductive Methode, welche diametral
von der ersteren verschieden zu sein scheint, als die „allein richtige“
und ausschliesslich zu befolgende Methode der Naturwissenschaft. In-
dessen ergiebt eine genauere Betrachtung ihrer Erklärungen alsbald,
dass dieser Gegensatz nur ein theilweiser, nur insofern vorhanden ist,

welche von Schwierigkeiten begleitet ist, die, wie bereits gezeigt wurde, nur
durch die Deduction allein gelöst werden können. Deduction heisst das
grosse wissenschaftliche Werk unserer und der zukünftigen Zeiten
.
Der Theil, welcher fortan der specifischen Erfahrung bei der Vervollkommnung
der Wissenschaft bewahrt ist, besteht hauptsächlich darin, dass sie dem deducti-
ven Forscher Winke giebt, die er zu verfolgen hat, und in der Bestätigung oder
Einschränkung seiner Schlüsse.“ John Stuart Mill (l. c.) p. 223, 224.
Haeckel, Generelle Morphologie. 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0120" n="81"/>
              <fw place="top" type="header">III. Induction und Deduction.</fw><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Die deductive Methode besteht aus drei Operationen: die<lb/>
erste ist eine directe Induction, die zweite eine Folgerung,<lb/>
die dritte eine Bestätigung</hi>. Ich nenne den ersten Schritt in dem<lb/>
Verfahren eine inductive Operation, weil eine directe Induction als die<lb/>
Basis des Ganzen vorhanden sein muss, obgleich in vielen besonderen<lb/>
Untersuchungen die Induction von einer früheren Deduction vertreten<lb/>
werden kann; die Prämissen dieser früheren Deduction müssen aber<lb/>
von einer Induction abgeleitet sein. &#x2014; Die Gesetze einer jeden be-<lb/>
sonderen Ursache, die Antheil an der Erzeugung der Wirkung nimmt,<lb/>
zu ermitteln, ist daher das erste Erforderniss (das erste Stadium) der<lb/>
deductiven Methode; &#x2014; der zweite Theil (das zweite Stadium) der-<lb/>
selben ist die Bestimmung aus den Gesetzen der Ursachen, welche<lb/>
Wirkung eine gegebene Combination dieser Ursachen hervorbringen<lb/>
wird. Dies ist ein Process der Berechnung in dem weitesten Sinne<lb/>
des Wortes, und schliesst häufig eine Berechnung in dem engeren<lb/>
Sinne ein. &#x2014; Den dritten wesentlichen Bestandtheil (das dritte Sta-<lb/>
dium) der deductiven Methode, und ohne welchen alle Resultate, die<lb/>
sie gewähren kann, keinen anderen Werth haben, als den einer Ver-<lb/>
muthung, bildet die Bestätigung (Verification) oder Probe der Folgerung.<lb/>
Um das Vertrauen auf die durch Deduction erhaltenen allgemeinen<lb/>
Schlüsse zu rechtfertigen, müssen diese Schlüsse bei einer sorgfältigen<lb/>
Vergleichung mit den Resultaten der directen Beobachtung, wo man<lb/>
sie immer haben kann, übereinstimmend befunden werden.&#x201C; <hi rendition="#g">John<lb/>
Stuart Mill</hi> (die inductive Logik. Braunschweig, 1849; p. 180, 181,<lb/>
187, 190).</p><lb/>
              <p>An die Spitze dieses Abschnittes, welcher die <hi rendition="#g">höchst wichtige<lb/>
und nothwendige Wechselwirkung der inductiven und der<lb/>
deductiven Methode</hi> erläutern soll, stellen wir die Aussprüche zweier<lb/>
ausgezeichneter Männer, von denen der eine als &#x201E;Naturforscher&#x201C;, der<lb/>
andere als &#x201E;Philosoph&#x201C; die grössten Verdienste hat. Auf den ersten<lb/>
Blick scheinen sich vielleicht beide geradezu zu widersprechen. <hi rendition="#g">Schlei-<lb/>
den</hi> preist die inductive, <hi rendition="#g">Mill</hi> die deductive Methode, welche diametral<lb/>
von der ersteren verschieden zu sein scheint, als die &#x201E;allein richtige&#x201C;<lb/>
und ausschliesslich zu befolgende Methode der Naturwissenschaft. In-<lb/>
dessen ergiebt eine genauere Betrachtung ihrer Erklärungen alsbald,<lb/>
dass dieser Gegensatz nur ein theilweiser, nur insofern vorhanden ist,<lb/><note xml:id="seg2pn_5_2" prev="#seg2pn_5_1" place="foot" n="1)">welche von Schwierigkeiten begleitet ist, die, wie bereits gezeigt wurde, nur<lb/>
durch die Deduction allein gelöst werden können. <hi rendition="#g">Deduction heisst das<lb/>
grosse wissenschaftliche Werk unserer und der zukünftigen Zeiten</hi>.<lb/>
Der Theil, welcher fortan der specifischen Erfahrung bei der Vervollkommnung<lb/>
der Wissenschaft bewahrt ist, besteht hauptsächlich darin, dass sie dem deducti-<lb/>
ven Forscher Winke giebt, die er zu verfolgen hat, und in der Bestätigung oder<lb/>
Einschränkung seiner Schlüsse.&#x201C; <hi rendition="#g">John Stuart Mill</hi> (l. c.) p. 223, 224.</note><lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Haeckel,</hi> Generelle Morphologie. 6</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[81/0120] III. Induction und Deduction. Die deductive Methode besteht aus drei Operationen: die erste ist eine directe Induction, die zweite eine Folgerung, die dritte eine Bestätigung. Ich nenne den ersten Schritt in dem Verfahren eine inductive Operation, weil eine directe Induction als die Basis des Ganzen vorhanden sein muss, obgleich in vielen besonderen Untersuchungen die Induction von einer früheren Deduction vertreten werden kann; die Prämissen dieser früheren Deduction müssen aber von einer Induction abgeleitet sein. — Die Gesetze einer jeden be- sonderen Ursache, die Antheil an der Erzeugung der Wirkung nimmt, zu ermitteln, ist daher das erste Erforderniss (das erste Stadium) der deductiven Methode; — der zweite Theil (das zweite Stadium) der- selben ist die Bestimmung aus den Gesetzen der Ursachen, welche Wirkung eine gegebene Combination dieser Ursachen hervorbringen wird. Dies ist ein Process der Berechnung in dem weitesten Sinne des Wortes, und schliesst häufig eine Berechnung in dem engeren Sinne ein. — Den dritten wesentlichen Bestandtheil (das dritte Sta- dium) der deductiven Methode, und ohne welchen alle Resultate, die sie gewähren kann, keinen anderen Werth haben, als den einer Ver- muthung, bildet die Bestätigung (Verification) oder Probe der Folgerung. Um das Vertrauen auf die durch Deduction erhaltenen allgemeinen Schlüsse zu rechtfertigen, müssen diese Schlüsse bei einer sorgfältigen Vergleichung mit den Resultaten der directen Beobachtung, wo man sie immer haben kann, übereinstimmend befunden werden.“ John Stuart Mill (die inductive Logik. Braunschweig, 1849; p. 180, 181, 187, 190). An die Spitze dieses Abschnittes, welcher die höchst wichtige und nothwendige Wechselwirkung der inductiven und der deductiven Methode erläutern soll, stellen wir die Aussprüche zweier ausgezeichneter Männer, von denen der eine als „Naturforscher“, der andere als „Philosoph“ die grössten Verdienste hat. Auf den ersten Blick scheinen sich vielleicht beide geradezu zu widersprechen. Schlei- den preist die inductive, Mill die deductive Methode, welche diametral von der ersteren verschieden zu sein scheint, als die „allein richtige“ und ausschliesslich zu befolgende Methode der Naturwissenschaft. In- dessen ergiebt eine genauere Betrachtung ihrer Erklärungen alsbald, dass dieser Gegensatz nur ein theilweiser, nur insofern vorhanden ist, 1) 1) welche von Schwierigkeiten begleitet ist, die, wie bereits gezeigt wurde, nur durch die Deduction allein gelöst werden können. Deduction heisst das grosse wissenschaftliche Werk unserer und der zukünftigen Zeiten. Der Theil, welcher fortan der specifischen Erfahrung bei der Vervollkommnung der Wissenschaft bewahrt ist, besteht hauptsächlich darin, dass sie dem deducti- ven Forscher Winke giebt, die er zu verfolgen hat, und in der Bestätigung oder Einschränkung seiner Schlüsse.“ John Stuart Mill (l. c.) p. 223, 224. Haeckel, Generelle Morphologie. 6

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/120
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/120>, abgerufen am 21.11.2024.