Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.Methodik der Morphologie der Organismen. Diese Worte des berühmten comparativen Linguisten, der die na- Die thatsächliche Vereinigung und vollkommene Versöhnung, Schleicher, der diese kleine Schrift in Form eines öffentlichen Sendschrei-
bens an mich publicirte, hierfür bei dieser Gelegenheit öffentlich meinen herz- lichsten Dank abstatte, erlaube ich mir zugleich die Naturforscher, welche sich für die weitere Begründung der Descendenz-Theorie interessiren (und alle Biolo- gen sollten dies thun!) auf die schlagende und überraschende Beweisführung hinzuweisen, welche Schleicher dort zu Gunsten derselben mit seinem lingui- stischen Materiale liefert. In der That treten viele Verhältnisse der natürlichen Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein bei den Sprachen in viel klarerer und einfacherer Weise hervor, als es bei anderen Functionen des Thierleibes der Fall ist. Wenn die vergleichende Sprachforschung erst ihren natürlichen Platz als empirisch-philosophische Naturwissenschaft in der Physiologie des Menschen gefunden haben wird, so wird zweifelsohne dieses wichtige und interessante Ver- hältniss eine gerechtere und allgemeinere Würdigung finden, als es bisher der Fall gewesen ist. Methodik der Morphologie der Organismen. Diese Worte des berühmten comparativen Linguisten, der die na- Die thatsächliche Vereinigung und vollkommene Versöhnung, Schleicher, der diese kleine Schrift in Form eines öffentlichen Sendschrei-
bens an mich publicirte, hierfür bei dieser Gelegenheit öffentlich meinen herz- lichsten Dank abstatte, erlaube ich mir zugleich die Naturforscher, welche sich für die weitere Begründung der Descendenz-Theorie interessiren (und alle Biolo- gen sollten dies thun!) auf die schlagende und überraschende Beweisführung hinzuweisen, welche Schleicher dort zu Gunsten derselben mit seinem lingui- stischen Materiale liefert. In der That treten viele Verhältnisse der natürlichen Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein bei den Sprachen in viel klarerer und einfacherer Weise hervor, als es bei anderen Functionen des Thierleibes der Fall ist. Wenn die vergleichende Sprachforschung erst ihren natürlichen Platz als empirisch-philosophische Naturwissenschaft in der Physiologie des Menschen gefunden haben wird, so wird zweifelsohne dieses wichtige und interessante Ver- hältniss eine gerechtere und allgemeinere Würdigung finden, als es bisher der Fall gewesen ist. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0145" n="106"/> <fw place="top" type="header">Methodik der Morphologie der Organismen.</fw><lb/> <p>Diese Worte des berühmten comparativen Linguisten, der die na-<lb/> turwissenschaftliche Untersuchungsmethode in der <hi rendition="#g">vergleichenden<lb/> Sprachforschung</hi> durchgeführt, und als der Erste von allen Sprach-<lb/> forschern die <hi rendition="#g">Theorie Darwins</hi> mit eben so viel Geist als Erfolg<lb/> auf diesen Theil der vergleichenden Physiologie angewandt hat, be-<lb/> zeichnen mit treffender Wahrheit den unversöhnlichen Gegensatz zwi-<lb/> schen Dualismus und Monismus, der unsere gesammte Naturwissen-<lb/> schaft, wie die ganze Denkthätigkeit unserer Zeit in zwei feindliche<lb/> Heerlager trennt. Wir können nicht umhin, hier am Schlusse unserer<lb/> kritisch-methodologischen Einleitung noch kurz bei einer Betrachtung<lb/> dieses Gegensatzes zu verweilen, obschon die vorhergehenden Ab-<lb/> schnitte zur Genüge gezeigt haben werden, dass wir den Monismus<lb/> in aller Schärfe und in seinem vollen Umfange für die einzig richtige<lb/> Weltanschauung und folglich auch für die einzig richtige Methode in<lb/> der gesammten Naturwissenschaft halten, und dass wir jede dualistische<lb/> Erkenntniss-Methode unbedingt verwerfen.</p><lb/> <p>Die thatsächliche Vereinigung und vollkommene Versöhnung,<lb/> welche in dem Monismus solche scheinbare Gegensätze finden, wie es<lb/> Kraft und Stoff, Geist und Körper, Freiheit und Natur, Wesen und<lb/> Erscheinung sind, ist auf keinem Gebiete des Erkennens mehr hervor-<lb/> zuheben, als auf demjenigen der Biologie, und vor Allem auf dem der<lb/> organischen Morphologie. Denn, wie schon im Vorhergehenden viel-<lb/> fach gezeigt worden ist, hat Nichts so sehr einer gesunden und na-<lb/> türlichen Entwickelung unserer Wissenschaft geschadet, als der künst-<lb/> lich erzeugte Dualismus, durch welchen man bei jeder Beurtheilung<lb/> eines Organismus seiner materiellen körperlichen Erscheinung eine davon<lb/> unabhängige Idee oder einen „Lebenszweck“ entgegensetzte, ein<lb/> Dualismus, welcher sich in der naturwissenschaftlichen Untersuchungs-<lb/> Methode als Gegensatz von Philosophie und Naturwissenschaft, von<lb/><note xml:id="seg2pn_10_2" prev="#seg2pn_10_1" place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Schleicher,</hi> der diese kleine Schrift in Form eines öffentlichen Sendschrei-<lb/> bens an mich publicirte, hierfür bei dieser Gelegenheit öffentlich meinen herz-<lb/> lichsten Dank abstatte, erlaube ich mir zugleich die Naturforscher, welche sich<lb/> für die weitere Begründung der Descendenz-Theorie interessiren (und alle Biolo-<lb/> gen sollten dies thun!) auf die schlagende und überraschende Beweisführung<lb/> hinzuweisen, welche <hi rendition="#g">Schleicher</hi> dort zu Gunsten derselben mit seinem lingui-<lb/> stischen Materiale liefert. In der That treten viele Verhältnisse der natürlichen<lb/> Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein bei den Sprachen in viel klarerer und<lb/> einfacherer Weise hervor, als es bei anderen Functionen des Thierleibes der<lb/> Fall ist. Wenn die vergleichende Sprachforschung erst ihren natürlichen Platz<lb/> als empirisch-philosophische Naturwissenschaft in der Physiologie des Menschen<lb/> gefunden haben wird, so wird zweifelsohne dieses wichtige und interessante Ver-<lb/> hältniss eine gerechtere und allgemeinere Würdigung finden, als es bisher der<lb/> Fall gewesen ist.</note><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0145]
Methodik der Morphologie der Organismen.
Diese Worte des berühmten comparativen Linguisten, der die na-
turwissenschaftliche Untersuchungsmethode in der vergleichenden
Sprachforschung durchgeführt, und als der Erste von allen Sprach-
forschern die Theorie Darwins mit eben so viel Geist als Erfolg
auf diesen Theil der vergleichenden Physiologie angewandt hat, be-
zeichnen mit treffender Wahrheit den unversöhnlichen Gegensatz zwi-
schen Dualismus und Monismus, der unsere gesammte Naturwissen-
schaft, wie die ganze Denkthätigkeit unserer Zeit in zwei feindliche
Heerlager trennt. Wir können nicht umhin, hier am Schlusse unserer
kritisch-methodologischen Einleitung noch kurz bei einer Betrachtung
dieses Gegensatzes zu verweilen, obschon die vorhergehenden Ab-
schnitte zur Genüge gezeigt haben werden, dass wir den Monismus
in aller Schärfe und in seinem vollen Umfange für die einzig richtige
Weltanschauung und folglich auch für die einzig richtige Methode in
der gesammten Naturwissenschaft halten, und dass wir jede dualistische
Erkenntniss-Methode unbedingt verwerfen.
Die thatsächliche Vereinigung und vollkommene Versöhnung,
welche in dem Monismus solche scheinbare Gegensätze finden, wie es
Kraft und Stoff, Geist und Körper, Freiheit und Natur, Wesen und
Erscheinung sind, ist auf keinem Gebiete des Erkennens mehr hervor-
zuheben, als auf demjenigen der Biologie, und vor Allem auf dem der
organischen Morphologie. Denn, wie schon im Vorhergehenden viel-
fach gezeigt worden ist, hat Nichts so sehr einer gesunden und na-
türlichen Entwickelung unserer Wissenschaft geschadet, als der künst-
lich erzeugte Dualismus, durch welchen man bei jeder Beurtheilung
eines Organismus seiner materiellen körperlichen Erscheinung eine davon
unabhängige Idee oder einen „Lebenszweck“ entgegensetzte, ein
Dualismus, welcher sich in der naturwissenschaftlichen Untersuchungs-
Methode als Gegensatz von Philosophie und Naturwissenschaft, von
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1) Schleicher, der diese kleine Schrift in Form eines öffentlichen Sendschrei-
bens an mich publicirte, hierfür bei dieser Gelegenheit öffentlich meinen herz-
lichsten Dank abstatte, erlaube ich mir zugleich die Naturforscher, welche sich
für die weitere Begründung der Descendenz-Theorie interessiren (und alle Biolo-
gen sollten dies thun!) auf die schlagende und überraschende Beweisführung
hinzuweisen, welche Schleicher dort zu Gunsten derselben mit seinem lingui-
stischen Materiale liefert. In der That treten viele Verhältnisse der natürlichen
Zuchtwahl im Kampfe um das Dasein bei den Sprachen in viel klarerer und
einfacherer Weise hervor, als es bei anderen Functionen des Thierleibes der
Fall ist. Wenn die vergleichende Sprachforschung erst ihren natürlichen Platz
als empirisch-philosophische Naturwissenschaft in der Physiologie des Menschen
gefunden haben wird, so wird zweifelsohne dieses wichtige und interessante Ver-
hältniss eine gerechtere und allgemeinere Würdigung finden, als es bisher der
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Zitationshilfe: | Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/145>, abgerufen am 16.02.2025. |