Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.III. Organische und anorganische Kräfte. nicht allein das Wachsthum der Zellen, sondern auch ihre erste spontaneEntstehung (bei der "freien" Zellbildung in einem Cytoblastem), die Diffe- renzirung von Kern und Kernkörperchen, Plasma und Membran, lassen sich nach Schwann in der einfachsten Weise aus gleichen molekularen Bewe- gungsvorgängen (Anziehung und Abstossung der Moleküle in gewissen Richtungen) ableiten, wie dies bei Erklärung der Krystallbildung möglich ist. Die Theorie der organischen Zellenbildung auf diesem rein mechanischen Wege hat nach Schwann's geistreichem Versuche nicht mehr Schwierigkeit, als die Theorie der anorganischen Krystallbildung. Wir müssen diesen Versuch um so mehr bewundern, als zu jener Zeit (vor 27 Jahren) fast nur die höheren und vollkommeneren Zellformen bekannt waren, als damals noch drei oder vier Bestandtheile, (Kernkörperchen, Kern, Inhalt und Mem- bran) für integrirende Zellbestandtheile galten und als man von den unent- wickelteren Plastiden, den membranlosen Zellen und den kernlosen Cytoden noch keine sicheren Kenntnisse hatte. Durch die Erkenntniss der letzteren, welche (insbesondere die homogenen Gymnocytoden) gewissermaassen un- mittelbare Uebergangsformen von den aus heterogenen Theilen zusammen- gesetzten Zellen zu den homogenen Krystallen bilden, hat die Vergleichung derselben mit "imbibitionsfähigen Krystallen" noch bedeutend an Sicherheit gewonnen. Wir zweifeln mit Schwann nicht daran, dass es lediglich der Unterschied der complicirteren atomistischen Zusammensetzung der orga- nischen Kohlenstoff-Verbindungen und besonders ihr festflüssiger Aggregat- zustand, ihre Imbibitionsfähigkeit ist, welche die organischen Individuen erster Ordnung in Form von Plastiden (Cytoden und Zellen) auftreten lässt, während die binär zusammengesetzte und nicht quellungsfähige anor- ganische Materie ihren individuellen Bildungen die Krystallform giebt. Damit ist aber auch der mechanische Ursprung der Lebenserscheinungen ihrer Imbibitionsfähigkeit ist aber "eine viel innigere Vereinigung derselben möglich, indem hier die neuen Moleküle sich durch Intussusception zwischen die vorhandenen ablagern können." Die Zahl der Moleküle, welche sich in jeder Schicht ablagern können, ist nun hier bei den Zellen nicht bestimmt beschränkt, wie bei den Krystallen. Wenn nun die Ablagerung der Moleküle neben einan- der in einer Schichte, und damit das Wachsthum der Schichte fortdauert, ohne dass sich eine neue Schichte bildet, "so wird die wachsende Schichte zunächst mehr condensirt; d. h. sie nimmt in denselben Raum mehr feste Substanz auf; dann aber wird sie sich ausdehnen und von dem fertigen Theil des Krystalls trennen, so dass zwischen ihr und dem Krystall ein hohler Zwischenraum ent- steht, der sich durch Imbibition mit Flüssigkeit füllt. So erhalten wir also bei imbibitionsfähigen Körpern, statt einer neuen Schichte, die sich an die früher ge- bildeten Theile des Krystalls ansetzt, ein hohles Bläschen," welches durch Im- bibition sehr bald eine rundliche Gestalt annehmen muss (falls es vorher, einem Krystallmantel entsprechend, eckig war). "Allein der früher gebildete Theil des Krystalles besteht ebenfalls aus imbibitionsfähiger Substanz, und es ist dess- halb noch sehr zweifelhaft, ob er überhaupt eine eckige Form haben muss," gleich den meisten anorganischen nicht imbibitionsfähigen Krystallen. Die scharf- sinnige weitere Ausführung dieses sehr wichtigen Vergleiches ist bei Schwann selbst nachzusehen (p. 241--251). 11*
III. Organische und anorganische Kräfte. nicht allein das Wachsthum der Zellen, sondern auch ihre erste spontaneEntstehung (bei der „freien“ Zellbildung in einem Cytoblastem), die Diffe- renzirung von Kern und Kernkörperchen, Plasma und Membran, lassen sich nach Schwann in der einfachsten Weise aus gleichen molekularen Bewe- gungsvorgängen (Anziehung und Abstossung der Moleküle in gewissen Richtungen) ableiten, wie dies bei Erklärung der Krystallbildung möglich ist. Die Theorie der organischen Zellenbildung auf diesem rein mechanischen Wege hat nach Schwann’s geistreichem Versuche nicht mehr Schwierigkeit, als die Theorie der anorganischen Krystallbildung. Wir müssen diesen Versuch um so mehr bewundern, als zu jener Zeit (vor 27 Jahren) fast nur die höheren und vollkommeneren Zellformen bekannt waren, als damals noch drei oder vier Bestandtheile, (Kernkörperchen, Kern, Inhalt und Mem- bran) für integrirende Zellbestandtheile galten und als man von den unent- wickelteren Plastiden, den membranlosen Zellen und den kernlosen Cytoden noch keine sicheren Kenntnisse hatte. Durch die Erkenntniss der letzteren, welche (insbesondere die homogenen Gymnocytoden) gewissermaassen un- mittelbare Uebergangsformen von den aus heterogenen Theilen zusammen- gesetzten Zellen zu den homogenen Krystallen bilden, hat die Vergleichung derselben mit „imbibitionsfähigen Krystallen“ noch bedeutend an Sicherheit gewonnen. Wir zweifeln mit Schwann nicht daran, dass es lediglich der Unterschied der complicirteren atomistischen Zusammensetzung der orga- nischen Kohlenstoff-Verbindungen und besonders ihr festflüssiger Aggregat- zustand, ihre Imbibitionsfähigkeit ist, welche die organischen Individuen erster Ordnung in Form von Plastiden (Cytoden und Zellen) auftreten lässt, während die binär zusammengesetzte und nicht quellungsfähige anor- ganische Materie ihren individuellen Bildungen die Krystallform giebt. Damit ist aber auch der mechanische Ursprung der Lebenserscheinungen ihrer Imbibitionsfähigkeit ist aber „eine viel innigere Vereinigung derselben möglich, indem hier die neuen Moleküle sich durch Intussusception zwischen die vorhandenen ablagern können.“ Die Zahl der Moleküle, welche sich in jeder Schicht ablagern können, ist nun hier bei den Zellen nicht bestimmt beschränkt, wie bei den Krystallen. Wenn nun die Ablagerung der Moleküle neben einan- der in einer Schichte, und damit das Wachsthum der Schichte fortdauert, ohne dass sich eine neue Schichte bildet, „so wird die wachsende Schichte zunächst mehr condensirt; d. h. sie nimmt in denselben Raum mehr feste Substanz auf; dann aber wird sie sich ausdehnen und von dem fertigen Theil des Krystalls trennen, so dass zwischen ihr und dem Krystall ein hohler Zwischenraum ent- steht, der sich durch Imbibition mit Flüssigkeit füllt. So erhalten wir also bei imbibitionsfähigen Körpern, statt einer neuen Schichte, die sich an die früher ge- bildeten Theile des Krystalls ansetzt, ein hohles Bläschen,“ welches durch Im- bibition sehr bald eine rundliche Gestalt annehmen muss (falls es vorher, einem Krystallmantel entsprechend, eckig war). „Allein der früher gebildete Theil des Krystalles besteht ebenfalls aus imbibitionsfähiger Substanz, und es ist dess- halb noch sehr zweifelhaft, ob er überhaupt eine eckige Form haben muss,“ gleich den meisten anorganischen nicht imbibitionsfähigen Krystallen. Die scharf- sinnige weitere Ausführung dieses sehr wichtigen Vergleiches ist bei Schwann selbst nachzusehen (p. 241—251). 11*
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III. Organische und anorganische Kräfte.
nicht allein das Wachsthum der Zellen, sondern auch ihre erste spontane
Entstehung (bei der „freien“ Zellbildung in einem Cytoblastem), die Diffe-
renzirung von Kern und Kernkörperchen, Plasma und Membran, lassen sich
nach Schwann in der einfachsten Weise aus gleichen molekularen Bewe-
gungsvorgängen (Anziehung und Abstossung der Moleküle in gewissen
Richtungen) ableiten, wie dies bei Erklärung der Krystallbildung möglich
ist. Die Theorie der organischen Zellenbildung auf diesem rein mechanischen
Wege hat nach Schwann’s geistreichem Versuche nicht mehr Schwierigkeit,
als die Theorie der anorganischen Krystallbildung. Wir müssen diesen
Versuch um so mehr bewundern, als zu jener Zeit (vor 27 Jahren) fast
nur die höheren und vollkommeneren Zellformen bekannt waren, als damals
noch drei oder vier Bestandtheile, (Kernkörperchen, Kern, Inhalt und Mem-
bran) für integrirende Zellbestandtheile galten und als man von den unent-
wickelteren Plastiden, den membranlosen Zellen und den kernlosen Cytoden
noch keine sicheren Kenntnisse hatte. Durch die Erkenntniss der letzteren,
welche (insbesondere die homogenen Gymnocytoden) gewissermaassen un-
mittelbare Uebergangsformen von den aus heterogenen Theilen zusammen-
gesetzten Zellen zu den homogenen Krystallen bilden, hat die Vergleichung
derselben mit „imbibitionsfähigen Krystallen“ noch bedeutend an Sicherheit
gewonnen. Wir zweifeln mit Schwann nicht daran, dass es lediglich der
Unterschied der complicirteren atomistischen Zusammensetzung der orga-
nischen Kohlenstoff-Verbindungen und besonders ihr festflüssiger Aggregat-
zustand, ihre Imbibitionsfähigkeit ist, welche die organischen Individuen
erster Ordnung in Form von Plastiden (Cytoden und Zellen) auftreten
lässt, während die binär zusammengesetzte und nicht quellungsfähige anor-
ganische Materie ihren individuellen Bildungen die Krystallform giebt.
Damit ist aber auch der mechanische Ursprung der Lebenserscheinungen
1)
1) ihrer Imbibitionsfähigkeit ist aber „eine viel innigere Vereinigung derselben
möglich, indem hier die neuen Moleküle sich durch Intussusception zwischen die
vorhandenen ablagern können.“ Die Zahl der Moleküle, welche sich in jeder
Schicht ablagern können, ist nun hier bei den Zellen nicht bestimmt beschränkt,
wie bei den Krystallen. Wenn nun die Ablagerung der Moleküle neben einan-
der in einer Schichte, und damit das Wachsthum der Schichte fortdauert, ohne
dass sich eine neue Schichte bildet, „so wird die wachsende Schichte zunächst
mehr condensirt; d. h. sie nimmt in denselben Raum mehr feste Substanz auf;
dann aber wird sie sich ausdehnen und von dem fertigen Theil des Krystalls
trennen, so dass zwischen ihr und dem Krystall ein hohler Zwischenraum ent-
steht, der sich durch Imbibition mit Flüssigkeit füllt. So erhalten wir also bei
imbibitionsfähigen Körpern, statt einer neuen Schichte, die sich an die früher ge-
bildeten Theile des Krystalls ansetzt, ein hohles Bläschen,“ welches durch Im-
bibition sehr bald eine rundliche Gestalt annehmen muss (falls es vorher, einem
Krystallmantel entsprechend, eckig war). „Allein der früher gebildete Theil
des Krystalles besteht ebenfalls aus imbibitionsfähiger Substanz, und es ist dess-
halb noch sehr zweifelhaft, ob er überhaupt eine eckige Form haben muss,“
gleich den meisten anorganischen nicht imbibitionsfähigen Krystallen. Die scharf-
sinnige weitere Ausführung dieses sehr wichtigen Vergleiches ist bei Schwann
selbst nachzusehen (p. 241—251).
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