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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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IV. Einheit der organischen und anorganischen Natur.
lichen Zusammensetzung und der daraus resultirenden körperlichen Form
und functionellen Leistung gezeigt zu haben. Wir fassen die wichtigsten
Vergleichungspunkte hier kurz zusammen.

I) Die chemischen Urstoffe oder unzerlegbaren Elemente, welche die
lebendigen und die leblosen Naturkörper zusammensetzen, sind dieselben
Es giebt kein Element, welches nur in den Organismen vorkäme. Dagegen
ist ein Element, der Kohlenstoff, welches auch in der leblosen Natur als
Krystall-Individuum auftritt (als Diamant, als Graphit), dasjenige, welches
in keinem Organismus fehlt, und welches durch seine ausserordentliche,
keinem anderen Elemente eigene, Neigung zu verwickelteren Verbindungen
mit den anderen Elementen, diejenige unendliche Mannichfaltigkeit der
"organischen Stoffe" erzeugt, welche die unendliche Mannichfaltigkeit der
organischen Formen und Lebenserscheinungen hervorbringen. Eine der
wichtigsten Eigenschaften vieler dieser Kohlenstoff-Verbindungen ist ihre
Fähigkeit, den festflüssigen Aggregatzustand anzunehmen, welcher in den
Anorganen niemals vorkommt. Auf dieser Imbibitionsfähigkeit der organi-
schen Materie, auf ihrer verwickelten atomistischen Zusammensetzung und
auf ihrer leichten Zersetzbarkeit beruhen die sämmtlichen eigenthümlichen
Bewegungs-Vorgänge, welche wir als die charakteristischen Erscheinungen
des Lebens ansehen.
II) Die Organismen treten sämmtlich, die Anorgane theilweise in Form
von räumlich abgeschlossenen Einzelkörpern oder Individuen auf. Die un-
vollkommensten organischen Individuen, die Moneren oder structurlosen
Plasma-Individuen, stimmen mit den vollkommensten anorganischen Indivi-
duen durch die homogene Beschaffenheit ihres structurlosen Körpers mehr
überein, als mit den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zu-
sammengesetzten Organismen. Diese Zusammensetzung des Individuums
aus ungleichartigen Theilen ist allerdings den meisten, aber nicht allen
Organismen eigenthümlich, und desshalb kein absolut unterscheidender
Character von den Krystallen, welche ihrerseits ebenfalls bisweilen in
Mehrzahl zur Bildung von Individuen höherer Ordnung zusammentreten
(Krystallstöcken). In gleicher Weise wie die Organismen besitzen auch die
Krystalle eine innere Structur, und zeigen gesetzmässige Beziehungen der
einzelnen Theile unter einander und zum Ganzen. Die äussere gesetzmässige
Form ist hier wie dort der Ausdruck und das Resultat der inneren Struc-
tur, und hier wie dort durch die Wechselwirkung zweier formbildender
Triebe oder Kräfte bedingt, des inneren Bildungstriebes (der materiellen
Zusammensetzung) und des äusseren Bildungstriebes (der Anpassung). So-
wohl den organischen als den anorganischen Individuen liegt meistens eine
bestimmte stereometrische Grundform zu Grunde, welche bei den Krystallen
meistens prismoid ist. Doch ist die prismoide Grundform der Krystalle
(von ebenen Flächen, geraden Linien und messbaren Ecken begrenzt) nicht
ausschliesslich für die anorganischen Individuen charakteristisch, da dieselbe
sowohl bei vielen niederen Organismen (Radiolarien) vorkommt, als auch bei
anderen anorganischen Individuen (Diamant-Krystallen und anderen krumm-
flächigen Krystallen) fehlt. Wir können also so wenig in der individuellen
Bildung, als in der formellen Zusammensetzung der Individuen, ebensowenig

IV. Einheit der organischen und anorganischen Natur.
lichen Zusammensetzung und der daraus resultirenden körperlichen Form
und functionellen Leistung gezeigt zu haben. Wir fassen die wichtigsten
Vergleichungspunkte hier kurz zusammen.

I) Die chemischen Urstoffe oder unzerlegbaren Elemente, welche die
lebendigen und die leblosen Naturkörper zusammensetzen, sind dieselben
Es giebt kein Element, welches nur in den Organismen vorkäme. Dagegen
ist ein Element, der Kohlenstoff, welches auch in der leblosen Natur als
Krystall-Individuum auftritt (als Diamant, als Graphit), dasjenige, welches
in keinem Organismus fehlt, und welches durch seine ausserordentliche,
keinem anderen Elemente eigene, Neigung zu verwickelteren Verbindungen
mit den anderen Elementen, diejenige unendliche Mannichfaltigkeit der
„organischen Stoffe“ erzeugt, welche die unendliche Mannichfaltigkeit der
organischen Formen und Lebenserscheinungen hervorbringen. Eine der
wichtigsten Eigenschaften vieler dieser Kohlenstoff-Verbindungen ist ihre
Fähigkeit, den festflüssigen Aggregatzustand anzunehmen, welcher in den
Anorganen niemals vorkommt. Auf dieser Imbibitionsfähigkeit der organi-
schen Materie, auf ihrer verwickelten atomistischen Zusammensetzung und
auf ihrer leichten Zersetzbarkeit beruhen die sämmtlichen eigenthümlichen
Bewegungs-Vorgänge, welche wir als die charakteristischen Erscheinungen
des Lebens ansehen.
II) Die Organismen treten sämmtlich, die Anorgane theilweise in Form
von räumlich abgeschlossenen Einzelkörpern oder Individuen auf. Die un-
vollkommensten organischen Individuen, die Moneren oder structurlosen
Plasma-Individuen, stimmen mit den vollkommensten anorganischen Indivi-
duen durch die homogene Beschaffenheit ihres structurlosen Körpers mehr
überein, als mit den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zu-
sammengesetzten Organismen. Diese Zusammensetzung des Individuums
aus ungleichartigen Theilen ist allerdings den meisten, aber nicht allen
Organismen eigenthümlich, und desshalb kein absolut unterscheidender
Character von den Krystallen, welche ihrerseits ebenfalls bisweilen in
Mehrzahl zur Bildung von Individuen höherer Ordnung zusammentreten
(Krystallstöcken). In gleicher Weise wie die Organismen besitzen auch die
Krystalle eine innere Structur, und zeigen gesetzmässige Beziehungen der
einzelnen Theile unter einander und zum Ganzen. Die äussere gesetzmässige
Form ist hier wie dort der Ausdruck und das Resultat der inneren Struc-
tur, und hier wie dort durch die Wechselwirkung zweier formbildender
Triebe oder Kräfte bedingt, des inneren Bildungstriebes (der materiellen
Zusammensetzung) und des äusseren Bildungstriebes (der Anpassung). So-
wohl den organischen als den anorganischen Individuen liegt meistens eine
bestimmte stereometrische Grundform zu Grunde, welche bei den Krystallen
meistens prismoid ist. Doch ist die prismoide Grundform der Krystalle
(von ebenen Flächen, geraden Linien und messbaren Ecken begrenzt) nicht
ausschliesslich für die anorganischen Individuen charakteristisch, da dieselbe
sowohl bei vielen niederen Organismen (Radiolarien) vorkommt, als auch bei
anderen anorganischen Individuen (Diamant-Krystallen und anderen krumm-
flächigen Krystallen) fehlt. Wir können also so wenig in der individuellen
Bildung, als in der formellen Zusammensetzung der Individuen, ebensowenig
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[165/0204] IV. Einheit der organischen und anorganischen Natur. lichen Zusammensetzung und der daraus resultirenden körperlichen Form und functionellen Leistung gezeigt zu haben. Wir fassen die wichtigsten Vergleichungspunkte hier kurz zusammen. I) Die chemischen Urstoffe oder unzerlegbaren Elemente, welche die lebendigen und die leblosen Naturkörper zusammensetzen, sind dieselben Es giebt kein Element, welches nur in den Organismen vorkäme. Dagegen ist ein Element, der Kohlenstoff, welches auch in der leblosen Natur als Krystall-Individuum auftritt (als Diamant, als Graphit), dasjenige, welches in keinem Organismus fehlt, und welches durch seine ausserordentliche, keinem anderen Elemente eigene, Neigung zu verwickelteren Verbindungen mit den anderen Elementen, diejenige unendliche Mannichfaltigkeit der „organischen Stoffe“ erzeugt, welche die unendliche Mannichfaltigkeit der organischen Formen und Lebenserscheinungen hervorbringen. Eine der wichtigsten Eigenschaften vieler dieser Kohlenstoff-Verbindungen ist ihre Fähigkeit, den festflüssigen Aggregatzustand anzunehmen, welcher in den Anorganen niemals vorkommt. Auf dieser Imbibitionsfähigkeit der organi- schen Materie, auf ihrer verwickelten atomistischen Zusammensetzung und auf ihrer leichten Zersetzbarkeit beruhen die sämmtlichen eigenthümlichen Bewegungs-Vorgänge, welche wir als die charakteristischen Erscheinungen des Lebens ansehen. II) Die Organismen treten sämmtlich, die Anorgane theilweise in Form von räumlich abgeschlossenen Einzelkörpern oder Individuen auf. Die un- vollkommensten organischen Individuen, die Moneren oder structurlosen Plasma-Individuen, stimmen mit den vollkommensten anorganischen Indivi- duen durch die homogene Beschaffenheit ihres structurlosen Körpers mehr überein, als mit den höheren, aus Individuen verschiedener Ordnung zu- sammengesetzten Organismen. Diese Zusammensetzung des Individuums aus ungleichartigen Theilen ist allerdings den meisten, aber nicht allen Organismen eigenthümlich, und desshalb kein absolut unterscheidender Character von den Krystallen, welche ihrerseits ebenfalls bisweilen in Mehrzahl zur Bildung von Individuen höherer Ordnung zusammentreten (Krystallstöcken). In gleicher Weise wie die Organismen besitzen auch die Krystalle eine innere Structur, und zeigen gesetzmässige Beziehungen der einzelnen Theile unter einander und zum Ganzen. Die äussere gesetzmässige Form ist hier wie dort der Ausdruck und das Resultat der inneren Struc- tur, und hier wie dort durch die Wechselwirkung zweier formbildender Triebe oder Kräfte bedingt, des inneren Bildungstriebes (der materiellen Zusammensetzung) und des äusseren Bildungstriebes (der Anpassung). So- wohl den organischen als den anorganischen Individuen liegt meistens eine bestimmte stereometrische Grundform zu Grunde, welche bei den Krystallen meistens prismoid ist. Doch ist die prismoide Grundform der Krystalle (von ebenen Flächen, geraden Linien und messbaren Ecken begrenzt) nicht ausschliesslich für die anorganischen Individuen charakteristisch, da dieselbe sowohl bei vielen niederen Organismen (Radiolarien) vorkommt, als auch bei anderen anorganischen Individuen (Diamant-Krystallen und anderen krumm- flächigen Krystallen) fehlt. Wir können also so wenig in der individuellen Bildung, als in der formellen Zusammensetzung der Individuen, ebensowenig

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/204>, abgerufen am 28.11.2024.