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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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II. Schöpfung.

Ist nun schon an sich der Begriff einer solchen immateriellen,
ausserhalb der Materie befindlichen, von ihr unabhängigen, und den-
noch auf sie wirkenden Kraft vollkommen unzulässig und undenkbar,
so wird es in unserem Falle hier die schöpferische Kraft in um so
höherem Maasse, als mit deren Vorstellung sich die unhaltbarsten
teleologischen Vorstellungen und die handgreiflichsten Anthropomor-
phismen verbinden. Denn es ist klar, dass jenes schöpferische im-
materielle Princip, welches bald als Lebenskraft, bald als Schöpfer-
kraft, bald als persönlicher Schöpfer die Organismen "schaffen" soll,
hierbei durchaus in analoger Weise zu Werke gehen soll, wie der
Mensch oder andere Thiere bei "Schöpfung" irgend eines Kunstwerks,
wie z. B. eine Wespe beim Bau ihres kunstvollen Nestes, oder wie
der Schneidervogel beim Zusammennähen der Blätter, oder wie der
Mensch beim Bauen eines Hauses, beim Modelliren einer Statue. Wie
alle diese Thiere hierbei nach einem vorhergehenden Entwurfe ihren
Bau construiren, so soll auch die Schöpferkraft oder der persönliche
Schöpfer nach einem bestimmten Bauplan die Organismen zweckmässig
construiren, und wenn seine Schöpfungsthätigkeit sich auf die Er-
schaffung jener wenigen einfachsten Urwesen beschränkt, aus denen
sich die anderen hervorgebildet haben, so hat er jedem dieser Urwesen
die bestimmten Bewegungserscheinungen verliehen, welche man als
sein "Leben" bezeichnet. In allen diesen teleologischen Vorstellungen,
und gleicherweise in sämmtlichen Schöpfungsgeschichten, welche die
dichterische Phantasie der Menschen producirt hat, liegt der grobe
Anthropomorphismus1) so auf der Hand, dass wir der Einsicht jedes

1) Wie durchgreifend diesen Schöpfungs-Ansichten überall die Vorstellung
des thierischen und insbesondere des menschlichen freiwilligen Handelns nach
einem bestimmten (natürlich causal bedingten) Willens-Impulse zu Grunde liegt,
beweisen schon die allgemein gebräuchlichen Ausdrücke "des Bauplans, der zweck-
mässigen Einrichtung, des künstlichen Baues u. s. w." Offenbar wird hier stets
das zu schaffende oder erschaffene "Geschöpf" als das Product eines vorbe-
dachten Planes betrachtet, welchen der "Schöpfer" in ganz gleicher Weise ent-
worfen, modificirt und ausgeführt hat, wie der Mensch bei Construction seiner
zweckmässigen Maschinen und andere Wirbelthiere bei Ausführung ihrer oft
äusserst künstlichen und zweckmässigen Nester, Bauten etc. thuen. Der Anthropo-
morphismus oder, allgemeiner gesagt: Zoomorphismus, welcher hier zur Vor-
stellung des persönlichen oder individuellen Schöpfers führt, ist um so selt-
samer und auffallender, als dieser Schöpfer dabei zugleich als immaterielles
Wesen oder Geist gedacht wird, also im Grunde, wie Reil in der so eben ci-
tirten Stelle treffend ausführt, als ein gasförmiger oder elastisch-flüssiger Körper,
oder als ein Individuum, welches aus der feineren Materie des schwerelosen oder
unwägbaren Aethers (dem Wärmestoff zwischen den Atomen und Molekülen der
Materie) besteht. Einerseits also wird der die Materie modelnde und formende
Schöpfer nach Art des Menschen oder eines anderen höheren Wirbelthieres
denkend und planausführend, mithin als ein willkührlich bewegliches und mit
II. Schöpfung.

Ist nun schon an sich der Begriff einer solchen immateriellen,
ausserhalb der Materie befindlichen, von ihr unabhängigen, und den-
noch auf sie wirkenden Kraft vollkommen unzulässig und undenkbar,
so wird es in unserem Falle hier die schöpferische Kraft in um so
höherem Maasse, als mit deren Vorstellung sich die unhaltbarsten
teleologischen Vorstellungen und die handgreiflichsten Anthropomor-
phismen verbinden. Denn es ist klar, dass jenes schöpferische im-
materielle Princip, welches bald als Lebenskraft, bald als Schöpfer-
kraft, bald als persönlicher Schöpfer die Organismen „schaffen“ soll,
hierbei durchaus in analoger Weise zu Werke gehen soll, wie der
Mensch oder andere Thiere bei „Schöpfung“ irgend eines Kunstwerks,
wie z. B. eine Wespe beim Bau ihres kunstvollen Nestes, oder wie
der Schneidervogel beim Zusammennähen der Blätter, oder wie der
Mensch beim Bauen eines Hauses, beim Modelliren einer Statue. Wie
alle diese Thiere hierbei nach einem vorhergehenden Entwurfe ihren
Bau construiren, so soll auch die Schöpferkraft oder der persönliche
Schöpfer nach einem bestimmten Bauplan die Organismen zweckmässig
construiren, und wenn seine Schöpfungsthätigkeit sich auf die Er-
schaffung jener wenigen einfachsten Urwesen beschränkt, aus denen
sich die anderen hervorgebildet haben, so hat er jedem dieser Urwesen
die bestimmten Bewegungserscheinungen verliehen, welche man als
sein „Leben“ bezeichnet. In allen diesen teleologischen Vorstellungen,
und gleicherweise in sämmtlichen Schöpfungsgeschichten, welche die
dichterische Phantasie der Menschen producirt hat, liegt der grobe
Anthropomorphismus1) so auf der Hand, dass wir der Einsicht jedes

1) Wie durchgreifend diesen Schöpfungs-Ansichten überall die Vorstellung
des thierischen und insbesondere des menschlichen freiwilligen Handelns nach
einem bestimmten (natürlich causal bedingten) Willens-Impulse zu Grunde liegt,
beweisen schon die allgemein gebräuchlichen Ausdrücke „des Bauplans, der zweck-
mässigen Einrichtung, des künstlichen Baues u. s. w.“ Offenbar wird hier stets
das zu schaffende oder erschaffene „Geschöpf“ als das Product eines vorbe-
dachten Planes betrachtet, welchen der „Schöpfer“ in ganz gleicher Weise ent-
worfen, modificirt und ausgeführt hat, wie der Mensch bei Construction seiner
zweckmässigen Maschinen und andere Wirbelthiere bei Ausführung ihrer oft
äusserst künstlichen und zweckmässigen Nester, Bauten etc. thuen. Der Anthropo-
morphismus oder, allgemeiner gesagt: Zoomorphismus, welcher hier zur Vor-
stellung des persönlichen oder individuellen Schöpfers führt, ist um so selt-
samer und auffallender, als dieser Schöpfer dabei zugleich als immaterielles
Wesen oder Geist gedacht wird, also im Grunde, wie Reil in der so eben ci-
tirten Stelle treffend ausführt, als ein gasförmiger oder elastisch-flüssiger Körper,
oder als ein Individuum, welches aus der feineren Materie des schwerelosen oder
unwägbaren Aethers (dem Wärmestoff zwischen den Atomen und Molekülen der
Materie) besteht. Einerseits also wird der die Materie modelnde und formende
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[173/0212] II. Schöpfung. Ist nun schon an sich der Begriff einer solchen immateriellen, ausserhalb der Materie befindlichen, von ihr unabhängigen, und den- noch auf sie wirkenden Kraft vollkommen unzulässig und undenkbar, so wird es in unserem Falle hier die schöpferische Kraft in um so höherem Maasse, als mit deren Vorstellung sich die unhaltbarsten teleologischen Vorstellungen und die handgreiflichsten Anthropomor- phismen verbinden. Denn es ist klar, dass jenes schöpferische im- materielle Princip, welches bald als Lebenskraft, bald als Schöpfer- kraft, bald als persönlicher Schöpfer die Organismen „schaffen“ soll, hierbei durchaus in analoger Weise zu Werke gehen soll, wie der Mensch oder andere Thiere bei „Schöpfung“ irgend eines Kunstwerks, wie z. B. eine Wespe beim Bau ihres kunstvollen Nestes, oder wie der Schneidervogel beim Zusammennähen der Blätter, oder wie der Mensch beim Bauen eines Hauses, beim Modelliren einer Statue. Wie alle diese Thiere hierbei nach einem vorhergehenden Entwurfe ihren Bau construiren, so soll auch die Schöpferkraft oder der persönliche Schöpfer nach einem bestimmten Bauplan die Organismen zweckmässig construiren, und wenn seine Schöpfungsthätigkeit sich auf die Er- schaffung jener wenigen einfachsten Urwesen beschränkt, aus denen sich die anderen hervorgebildet haben, so hat er jedem dieser Urwesen die bestimmten Bewegungserscheinungen verliehen, welche man als sein „Leben“ bezeichnet. In allen diesen teleologischen Vorstellungen, und gleicherweise in sämmtlichen Schöpfungsgeschichten, welche die dichterische Phantasie der Menschen producirt hat, liegt der grobe Anthropomorphismus 1) so auf der Hand, dass wir der Einsicht jedes 1) Wie durchgreifend diesen Schöpfungs-Ansichten überall die Vorstellung des thierischen und insbesondere des menschlichen freiwilligen Handelns nach einem bestimmten (natürlich causal bedingten) Willens-Impulse zu Grunde liegt, beweisen schon die allgemein gebräuchlichen Ausdrücke „des Bauplans, der zweck- mässigen Einrichtung, des künstlichen Baues u. s. w.“ Offenbar wird hier stets das zu schaffende oder erschaffene „Geschöpf“ als das Product eines vorbe- dachten Planes betrachtet, welchen der „Schöpfer“ in ganz gleicher Weise ent- worfen, modificirt und ausgeführt hat, wie der Mensch bei Construction seiner zweckmässigen Maschinen und andere Wirbelthiere bei Ausführung ihrer oft äusserst künstlichen und zweckmässigen Nester, Bauten etc. thuen. Der Anthropo- morphismus oder, allgemeiner gesagt: Zoomorphismus, welcher hier zur Vor- stellung des persönlichen oder individuellen Schöpfers führt, ist um so selt- samer und auffallender, als dieser Schöpfer dabei zugleich als immaterielles Wesen oder Geist gedacht wird, also im Grunde, wie Reil in der so eben ci- tirten Stelle treffend ausführt, als ein gasförmiger oder elastisch-flüssiger Körper, oder als ein Individuum, welches aus der feineren Materie des schwerelosen oder unwägbaren Aethers (dem Wärmestoff zwischen den Atomen und Molekülen der Materie) besteht. Einerseits also wird der die Materie modelnde und formende Schöpfer nach Art des Menschen oder eines anderen höheren Wirbelthieres denkend und planausführend, mithin als ein willkührlich bewegliches und mit

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/212>, abgerufen am 28.11.2024.