dagewesenen Organismen herrühren. Hierdurch kann niemals die erste Entstehung des Lebens auf der Erde erklärt werden. Die erste spontane Entstehung jener einfachsten, homogenen Urwesen, aus denen sich alle übrigen durch Differenzirung und natürliche Züchtung allmählig entwickelt haben, lässt sich vielmehr einzig und allein durch eine dritte und letzte Urzeugungshypothese erklären, welche den unmittelbaren Uebergang anorga- nischer Substanz in individualisirte organische Substanz behauptet, ein Pro- cess, der der Krystallisation der Anorgane durchaus analog ist. Diese Ur- zeugung, welche also von der gewöhnlich angenommenen Generatio aequi- voca wesentlich verschieden ist, wollen wir als Selbstzeugung oder Autogonie hier besonders in Erwägung ziehen.
IV. Selbstzeugung oder Autogonie.
Die Hypothese der Selbstzeugung oder Autogonie fordert, dass die äusserst einfachen und vollkommen homogenen, structurlosen Or- ganismen (Moneren), welche wir als die Stammformen aller übrigen, durch Differenzirung daraus hervorgegangenen zu betrachten haben, unmittelbar aus dem Zusammentritt von Stoffen der anorganischen Na- tur in ähnlicher Weise sich in einer Flüssigkeit gebildet haben, wie es bei der Bildung von Krystallen in der Mutterlauge der Fall ist.
Von den so eben betrachteten Formen der Urzeugung oder Generatio aequivoca (spontanea etc.) wie sie gewöhnlich vorgestellt und besprochen werden, unterscheidet sich unsere Selbstzeugung oder Autogonie wesentlich dadurch, dass dort organische Materien (compli- cirtere Kohlenstoff-Verbindungen), welche von zersetzten Organismen herrühren, hier dagegen nur sogenannte anorganische Materien (d. h. einfachere Verbindungen) vorausgesetzt werden, aus denen sich zu- nächst verwickeltere Kohlenstoff-Verbindungen, und hieraus unmittel- bar organische Individuen einfachster Art (Moneren) hervorbildeten. Uns erscheint diese Annahme für das Verständniss der gesammten organischen Natur vollkommen unentbehrlich, weil sie die einzige grosse Lücke ausfüllt, welche bisher in der gesammten Entwickelungs- geschichte der Erde und ihrer Bewohner bisher noch bestanden hat. Wir müssen diese Hypothese als die unmittelbare Consequenz und als die nothwendigste Ergänzung der allgemein angenommenen Erdbil- dungs-Theorie von Kant und Laplace hinstellen, und finden hierzu in der Gesammtheit der Naturerscheinungen eine so zwingende logische Nothwendigkeit, dass wir desshalb diese Deduction, die Vielen sehr gewagt erscheinen wird, als unabweisbar bezeichnen müssen.
Bekanntlich behauptet die Erdbildungs-Theorie, welche zuerst Kant in seiner "allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels" auf- stellte, und welche später (unabhängig von Kant) Laplace in seiner "Exposition du systeme du monde" ausführlich begründete, dass unser ge-
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III. Urzeugung oder Generatio spontanea.
dagewesenen Organismen herrühren. Hierdurch kann niemals die erste Entstehung des Lebens auf der Erde erklärt werden. Die erste spontane Entstehung jener einfachsten, homogenen Urwesen, aus denen sich alle übrigen durch Differenzirung und natürliche Züchtung allmählig entwickelt haben, lässt sich vielmehr einzig und allein durch eine dritte und letzte Urzeugungshypothese erklären, welche den unmittelbaren Uebergang anorga- nischer Substanz in individualisirte organische Substanz behauptet, ein Pro- cess, der der Krystallisation der Anorgane durchaus analog ist. Diese Ur- zeugung, welche also von der gewöhnlich angenommenen Generatio aequi- voca wesentlich verschieden ist, wollen wir als Selbstzeugung oder Autogonie hier besonders in Erwägung ziehen.
IV. Selbstzeugung oder Autogonie.
Die Hypothese der Selbstzeugung oder Autogonie fordert, dass die äusserst einfachen und vollkommen homogenen, structurlosen Or- ganismen (Moneren), welche wir als die Stammformen aller übrigen, durch Differenzirung daraus hervorgegangenen zu betrachten haben, unmittelbar aus dem Zusammentritt von Stoffen der anorganischen Na- tur in ähnlicher Weise sich in einer Flüssigkeit gebildet haben, wie es bei der Bildung von Krystallen in der Mutterlauge der Fall ist.
Von den so eben betrachteten Formen der Urzeugung oder Generatio aequivoca (spontanea etc.) wie sie gewöhnlich vorgestellt und besprochen werden, unterscheidet sich unsere Selbstzeugung oder Autogonie wesentlich dadurch, dass dort organische Materien (compli- cirtere Kohlenstoff-Verbindungen), welche von zersetzten Organismen herrühren, hier dagegen nur sogenannte anorganische Materien (d. h. einfachere Verbindungen) vorausgesetzt werden, aus denen sich zu- nächst verwickeltere Kohlenstoff-Verbindungen, und hieraus unmittel- bar organische Individuen einfachster Art (Moneren) hervorbildeten. Uns erscheint diese Annahme für das Verständniss der gesammten organischen Natur vollkommen unentbehrlich, weil sie die einzige grosse Lücke ausfüllt, welche bisher in der gesammten Entwickelungs- geschichte der Erde und ihrer Bewohner bisher noch bestanden hat. Wir müssen diese Hypothese als die unmittelbare Consequenz und als die nothwendigste Ergänzung der allgemein angenommenen Erdbil- dungs-Theorie von Kant und Laplace hinstellen, und finden hierzu in der Gesammtheit der Naturerscheinungen eine so zwingende logische Nothwendigkeit, dass wir desshalb diese Deduction, die Vielen sehr gewagt erscheinen wird, als unabweisbar bezeichnen müssen.
Bekanntlich behauptet die Erdbildungs-Theorie, welche zuerst Kant in seiner „allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ auf- stellte, und welche später (unabhängig von Kant) Laplace in seiner „Exposition du système du monde“ ausführlich begründete, dass unser ge-
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III. Urzeugung oder Generatio spontanea.
dagewesenen Organismen herrühren. Hierdurch kann niemals die erste
Entstehung des Lebens auf der Erde erklärt werden. Die erste spontane
Entstehung jener einfachsten, homogenen Urwesen, aus denen sich alle
übrigen durch Differenzirung und natürliche Züchtung allmählig entwickelt
haben, lässt sich vielmehr einzig und allein durch eine dritte und letzte
Urzeugungshypothese erklären, welche den unmittelbaren Uebergang anorga-
nischer Substanz in individualisirte organische Substanz behauptet, ein Pro-
cess, der der Krystallisation der Anorgane durchaus analog ist. Diese Ur-
zeugung, welche also von der gewöhnlich angenommenen Generatio aequi-
voca wesentlich verschieden ist, wollen wir als Selbstzeugung oder Autogonie
hier besonders in Erwägung ziehen.
IV. Selbstzeugung oder Autogonie.
Die Hypothese der Selbstzeugung oder Autogonie fordert, dass
die äusserst einfachen und vollkommen homogenen, structurlosen Or-
ganismen (Moneren), welche wir als die Stammformen aller übrigen,
durch Differenzirung daraus hervorgegangenen zu betrachten haben,
unmittelbar aus dem Zusammentritt von Stoffen der anorganischen Na-
tur in ähnlicher Weise sich in einer Flüssigkeit gebildet haben, wie es
bei der Bildung von Krystallen in der Mutterlauge der Fall ist.
Von den so eben betrachteten Formen der Urzeugung oder
Generatio aequivoca (spontanea etc.) wie sie gewöhnlich vorgestellt
und besprochen werden, unterscheidet sich unsere Selbstzeugung oder
Autogonie wesentlich dadurch, dass dort organische Materien (compli-
cirtere Kohlenstoff-Verbindungen), welche von zersetzten Organismen
herrühren, hier dagegen nur sogenannte anorganische Materien (d. h.
einfachere Verbindungen) vorausgesetzt werden, aus denen sich zu-
nächst verwickeltere Kohlenstoff-Verbindungen, und hieraus unmittel-
bar organische Individuen einfachster Art (Moneren) hervorbildeten.
Uns erscheint diese Annahme für das Verständniss der gesammten
organischen Natur vollkommen unentbehrlich, weil sie die einzige
grosse Lücke ausfüllt, welche bisher in der gesammten Entwickelungs-
geschichte der Erde und ihrer Bewohner bisher noch bestanden hat.
Wir müssen diese Hypothese als die unmittelbare Consequenz und als
die nothwendigste Ergänzung der allgemein angenommenen Erdbil-
dungs-Theorie von Kant und Laplace hinstellen, und finden hierzu in
der Gesammtheit der Naturerscheinungen eine so zwingende logische
Nothwendigkeit, dass wir desshalb diese Deduction, die Vielen sehr
gewagt erscheinen wird, als unabweisbar bezeichnen müssen.
Bekanntlich behauptet die Erdbildungs-Theorie, welche zuerst Kant
in seiner „allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ auf-
stellte, und welche später (unabhängig von Kant) Laplace in seiner
„Exposition du système du monde“ ausführlich begründete, dass unser ge-
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/218>, abgerufen am 16.07.2024.
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