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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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von den ganz homogenen Protamoeben unterscheiden; und in den Arcelliden
haben wir Amoeben, welche trotz dieser Einfachheit im Stande sind, sich
eine complicirte Schale zu bilden. Sobald in diesen homogenen Plasma-
klumpen, wie sie als Moneren isolirt leben, ein Kern auftritt, so ist aus
der Cytode eine Zelle geworden, und wir werden dadurch in das weite
Gebiet der zahlreichen einzelligen Organismen hinübergeführt, von denen aus
nun die Entwickelung der complicirteren mehrzelligen Organismen auf dem
Wege der Differenzirung und der natürlichen Züchtung keine Schwierigkeit
mehr hat.

Nach unserer Ansicht muss nothwendig der erste Ursprung, die
spontan entstandene Stammform aller Organismen, welche jemals die
Erde belebt haben und welche sie noch jetzt beleben, in solchen ein-
fachsten Moneren gesucht werden, formlosen lebenden Eiweissklumpen
von durchaus gleichartiger, homogener Beschaffenheit, gleich den Prot-
amoeben
und Protogeniden, aus denen sich erst später Zellen
durch Differenzirung von innerem Kern und äusserem Plasma entwickelt
haben. Wie wir uns aus einem solchen ganz einfachen imbibi-
tionsfähigen Eiweissklümpchen durch Differenzirung von Kern und
Plasma und späterhin auch von Membran zunächst eine Urzelle, dann
eine Hautzelle hervorgehend denken können, hat bereits Schwann so
trefflich gezeigt, dass wir hier einfach auf seine allbekannte Theorie
von der spontanen Zellenbildung innerhalb des Cytoblastems verweisen
können.

Wir nehmen also an, dass die ältesten, spontan entstandenen Or-
ganismen, aus denen sich alle übrigen im Laufe der Zeit durch Diffe-
renzirung und natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein ent-
wickelt haben (gleich viel, ob es eins oder mehrere oder viele waren),
solche vollkommen homogene, structurlose, formlose Eiweissklumpen
oder Moneren, gleich einer Protamoeba waren, welche aus dem
Urmeere durch Zusammenwirken rein physikalischer und chemischer
Bedingungen, durch molekulare Bewegungen der Materie in ganz
gleicher Weise entstanden, wie der Krystall in seiner Mutterlauge ent-
steht. Rein physikalisch-chemische Ursachen mussten die Bildung einer
quaternären Kohlenstoffverbindung, durch den Zusammentritt von
Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (vielleicht auch noch
Schwefel) bewirken, und diese Verbindung (welche wir aller Analogie
nach als einen Eiweisskörper betrachten müssen) musste sich individua-
lisiren, indem die Cohäsion ihrer imbibitionsfähigen Substanz nur bis
zu einer gewissen Grenze das Wachsthum durch Assimilation gleicher
Substanz (Ernährung) gestattete; sobald diese Grenze überschritten
wurde, bildeten sich in dem durch ein Attractionscentrum zusammen
gehaltenen Individuum zwei oder mehrere Attractionscentra, welche
nun die Ursache zum Zerfall des einen Individuums in mehrere, zu-
Fortpflanzung wurden. Indem der Erblichkeit des Wesens, welche

IV. Selbstzeugung oder Autogonie.
von den ganz homogenen Protamoeben unterscheiden; und in den Arcelliden
haben wir Amoeben, welche trotz dieser Einfachheit im Stande sind, sich
eine complicirte Schale zu bilden. Sobald in diesen homogenen Plasma-
klumpen, wie sie als Moneren isolirt leben, ein Kern auftritt, so ist aus
der Cytode eine Zelle geworden, und wir werden dadurch in das weite
Gebiet der zahlreichen einzelligen Organismen hinübergeführt, von denen aus
nun die Entwickelung der complicirteren mehrzelligen Organismen auf dem
Wege der Differenzirung und der natürlichen Züchtung keine Schwierigkeit
mehr hat.

Nach unserer Ansicht muss nothwendig der erste Ursprung, die
spontan entstandene Stammform aller Organismen, welche jemals die
Erde belebt haben und welche sie noch jetzt beleben, in solchen ein-
fachsten Moneren gesucht werden, formlosen lebenden Eiweissklumpen
von durchaus gleichartiger, homogener Beschaffenheit, gleich den Prot-
amoeben
und Protogeniden, aus denen sich erst später Zellen
durch Differenzirung von innerem Kern und äusserem Plasma entwickelt
haben. Wie wir uns aus einem solchen ganz einfachen imbibi-
tionsfähigen Eiweissklümpchen durch Differenzirung von Kern und
Plasma und späterhin auch von Membran zunächst eine Urzelle, dann
eine Hautzelle hervorgehend denken können, hat bereits Schwann so
trefflich gezeigt, dass wir hier einfach auf seine allbekannte Theorie
von der spontanen Zellenbildung innerhalb des Cytoblastems verweisen
können.

Wir nehmen also an, dass die ältesten, spontan entstandenen Or-
ganismen, aus denen sich alle übrigen im Laufe der Zeit durch Diffe-
renzirung und natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein ent-
wickelt haben (gleich viel, ob es eins oder mehrere oder viele waren),
solche vollkommen homogene, structurlose, formlose Eiweissklumpen
oder Moneren, gleich einer Protamoeba waren, welche aus dem
Urmeere durch Zusammenwirken rein physikalischer und chemischer
Bedingungen, durch molekulare Bewegungen der Materie in ganz
gleicher Weise entstanden, wie der Krystall in seiner Mutterlauge ent-
steht. Rein physikalisch-chemische Ursachen mussten die Bildung einer
quaternären Kohlenstoffverbindung, durch den Zusammentritt von
Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (vielleicht auch noch
Schwefel) bewirken, und diese Verbindung (welche wir aller Analogie
nach als einen Eiweisskörper betrachten müssen) musste sich individua-
lisiren, indem die Cohäsion ihrer imbibitionsfähigen Substanz nur bis
zu einer gewissen Grenze das Wachsthum durch Assimilation gleicher
Substanz (Ernährung) gestattete; sobald diese Grenze überschritten
wurde, bildeten sich in dem durch ein Attractionscentrum zusammen
gehaltenen Individuum zwei oder mehrere Attractionscentra, welche
nun die Ursache zum Zerfall des einen Individuums in mehrere, zu-
Fortpflanzung wurden. Indem der Erblichkeit des Wesens, welche

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[183/0222] IV. Selbstzeugung oder Autogonie. von den ganz homogenen Protamoeben unterscheiden; und in den Arcelliden haben wir Amoeben, welche trotz dieser Einfachheit im Stande sind, sich eine complicirte Schale zu bilden. Sobald in diesen homogenen Plasma- klumpen, wie sie als Moneren isolirt leben, ein Kern auftritt, so ist aus der Cytode eine Zelle geworden, und wir werden dadurch in das weite Gebiet der zahlreichen einzelligen Organismen hinübergeführt, von denen aus nun die Entwickelung der complicirteren mehrzelligen Organismen auf dem Wege der Differenzirung und der natürlichen Züchtung keine Schwierigkeit mehr hat. Nach unserer Ansicht muss nothwendig der erste Ursprung, die spontan entstandene Stammform aller Organismen, welche jemals die Erde belebt haben und welche sie noch jetzt beleben, in solchen ein- fachsten Moneren gesucht werden, formlosen lebenden Eiweissklumpen von durchaus gleichartiger, homogener Beschaffenheit, gleich den Prot- amoeben und Protogeniden, aus denen sich erst später Zellen durch Differenzirung von innerem Kern und äusserem Plasma entwickelt haben. Wie wir uns aus einem solchen ganz einfachen imbibi- tionsfähigen Eiweissklümpchen durch Differenzirung von Kern und Plasma und späterhin auch von Membran zunächst eine Urzelle, dann eine Hautzelle hervorgehend denken können, hat bereits Schwann so trefflich gezeigt, dass wir hier einfach auf seine allbekannte Theorie von der spontanen Zellenbildung innerhalb des Cytoblastems verweisen können. Wir nehmen also an, dass die ältesten, spontan entstandenen Or- ganismen, aus denen sich alle übrigen im Laufe der Zeit durch Diffe- renzirung und natürliche Züchtung im Kampfe um das Dasein ent- wickelt haben (gleich viel, ob es eins oder mehrere oder viele waren), solche vollkommen homogene, structurlose, formlose Eiweissklumpen oder Moneren, gleich einer Protamoeba waren, welche aus dem Urmeere durch Zusammenwirken rein physikalischer und chemischer Bedingungen, durch molekulare Bewegungen der Materie in ganz gleicher Weise entstanden, wie der Krystall in seiner Mutterlauge ent- steht. Rein physikalisch-chemische Ursachen mussten die Bildung einer quaternären Kohlenstoffverbindung, durch den Zusammentritt von Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff (vielleicht auch noch Schwefel) bewirken, und diese Verbindung (welche wir aller Analogie nach als einen Eiweisskörper betrachten müssen) musste sich individua- lisiren, indem die Cohäsion ihrer imbibitionsfähigen Substanz nur bis zu einer gewissen Grenze das Wachsthum durch Assimilation gleicher Substanz (Ernährung) gestattete; sobald diese Grenze überschritten wurde, bildeten sich in dem durch ein Attractionscentrum zusammen gehaltenen Individuum zwei oder mehrere Attractionscentra, welche nun die Ursache zum Zerfall des einen Individuums in mehrere, zu- Fortpflanzung wurden. Indem der Erblichkeit des Wesens, welche

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/222>, abgerufen am 17.05.2024.