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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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V. Characteristik der Stämme und Reiche.
Diagnosen nicht entbehren können, und da wir in der wissenschaft-
lichen Praxis überall die einzelnen Gruppen (Klassen, Arten etc.) scharf
trennen und durch Namen unterscheiden müssen, obwohl wir wissen,
dass sie durch unmerkliche Zwischenformen zusammenhängen, so
wollen wir auch hier den schwierigen und gefährlichen vorläufigen
Versuch wagen, eine künstliche und möglichst (!) scharfe Characteristik
der drei Reiche, unter vorwiegender Berücksichtigung der vollkomme-
neren, am meisten ausgebildeten Formen aufzustellen.

VI. Character des Thierreiches.

Fünf Stämme des Thierreiches: 1. Vertebrata (Pachycardia et Leptocardia).
2. Mollusca (Cephalota et Acephala). 3. Articulata (Arthropoda, Ver-
mes et Infusoria). 4. Echinodermata. 5. Coelenterata.

VI. A. Chemischer Character des Thierreiches.
Aa. Character der chemischen Substrate der Thiere.

Die wichtigsten Substanzen des Thierkörpers (vor Allen das
Plasma oder Protoplasma der Plastiden) sind Eiweiss-Verbindungen
(Albuminate),
durch deren Thätigkeit die meisten anderen Verbin-
dungen des Thierleibes mittelbar oder unmittelbar erzeugt werden.
Die Eiweisskörper der Thiere treten in zahlreichen noch sehr unbe-
kannten Modificationen auf, von denen die wichtigsten das Thiereiweiss
(das beim Erhitzen in Flocken gerinnende Albuminat der Eier, des
Blutserum, des Muskelsaftes), der Thierfaserstoff (Blutfibrin, Muskel-
syntonin etc.) und der Thierkäsestoff (Casein der Milch etc.) sind.
Aus den Eiweiss-Verbindungen der Thierkörper gehen stickstoffhaltige,
meist sauerstoffreichere und kohlenstoffärmere Eiweiss-Derivate her-
vor, welche besonders als Zellenausscheidungen, als Cuticularbildungen
und als Intercellularsubstanzen, eine grosse Rolle spielen, und welche
auch von vielen Protisten, dagegen von den Pflanzen sehr selten, viel-
leicht nie erzeugt werden: Hornsubstanz (der Epithelialgewebe), leim-
gebende Substanz (der Bindegewebe), elastische Substanz und die nah-
verwandte Substanz der Membranen der meisten thierischen Zellen;
ferner die vielerlei Modificationen des Chitins und der verwandten
Substanzen (Fibroin, Conchiolin etc.). Ebenso sind die Thiere aus-
gezeichnet durch die Erzeugung von stickstoffhaltigen Säuren
(Harnsäure, Hippursäure, Inosinsäure etc.), welche den Pflanzen feh-
len, wogegen die stickstofffreien Säuren hier eine sehr viel geringere
Verbreitung und Bedeutung, als bei den Pflanzen haben. Die stick-
stoffhaltigen Basen
der Thiere (Harnstoff, Kreatin, Leucin etc.)
sind schwach alkalisch und fast von constanter Zusammensetzung,

Haeckel, Generelle Morphologie. 14

V. Characteristik der Stämme und Reiche.
Diagnosen nicht entbehren können, und da wir in der wissenschaft-
lichen Praxis überall die einzelnen Gruppen (Klassen, Arten etc.) scharf
trennen und durch Namen unterscheiden müssen, obwohl wir wissen,
dass sie durch unmerkliche Zwischenformen zusammenhängen, so
wollen wir auch hier den schwierigen und gefährlichen vorläufigen
Versuch wagen, eine künstliche und möglichst (!) scharfe Characteristik
der drei Reiche, unter vorwiegender Berücksichtigung der vollkomme-
neren, am meisten ausgebildeten Formen aufzustellen.

VI. Character des Thierreiches.

Fünf Stämme des Thierreiches: 1. Vertebrata (Pachycardia et Leptocardia).
2. Mollusca (Cephalota et Acephala). 3. Articulata (Arthropoda, Ver-
mes et Infusoria). 4. Echinodermata. 5. Coelenterata.

VI. A. Chemischer Character des Thierreiches.
Aa. Character der chemischen Substrate der Thiere.

Die wichtigsten Substanzen des Thierkörpers (vor Allen das
Plasma oder Protoplasma der Plastiden) sind Eiweiss-Verbindungen
(Albuminate),
durch deren Thätigkeit die meisten anderen Verbin-
dungen des Thierleibes mittelbar oder unmittelbar erzeugt werden.
Die Eiweisskörper der Thiere treten in zahlreichen noch sehr unbe-
kannten Modificationen auf, von denen die wichtigsten das Thiereiweiss
(das beim Erhitzen in Flocken gerinnende Albuminat der Eier, des
Blutserum, des Muskelsaftes), der Thierfaserstoff (Blutfibrin, Muskel-
syntonin etc.) und der Thierkäsestoff (Casein der Milch etc.) sind.
Aus den Eiweiss-Verbindungen der Thierkörper gehen stickstoffhaltige,
meist sauerstoffreichere und kohlenstoffärmere Eiweiss-Derivate her-
vor, welche besonders als Zellenausscheidungen, als Cuticularbildungen
und als Intercellularsubstanzen, eine grosse Rolle spielen, und welche
auch von vielen Protisten, dagegen von den Pflanzen sehr selten, viel-
leicht nie erzeugt werden: Hornsubstanz (der Epithelialgewebe), leim-
gebende Substanz (der Bindegewebe), elastische Substanz und die nah-
verwandte Substanz der Membranen der meisten thierischen Zellen;
ferner die vielerlei Modificationen des Chitins und der verwandten
Substanzen (Fibroin, Conchiolin etc.). Ebenso sind die Thiere aus-
gezeichnet durch die Erzeugung von stickstoffhaltigen Säuren
(Harnsäure, Hippursäure, Inosinsäure etc.), welche den Pflanzen feh-
len, wogegen die stickstofffreien Säuren hier eine sehr viel geringere
Verbreitung und Bedeutung, als bei den Pflanzen haben. Die stick-
stoffhaltigen Basen
der Thiere (Harnstoff, Kreatin, Leucin etc.)
sind schwach alkalisch und fast von constanter Zusammensetzung,

Haeckel, Generelle Morphologie. 14
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[209/0248] V. Characteristik der Stämme und Reiche. Diagnosen nicht entbehren können, und da wir in der wissenschaft- lichen Praxis überall die einzelnen Gruppen (Klassen, Arten etc.) scharf trennen und durch Namen unterscheiden müssen, obwohl wir wissen, dass sie durch unmerkliche Zwischenformen zusammenhängen, so wollen wir auch hier den schwierigen und gefährlichen vorläufigen Versuch wagen, eine künstliche und möglichst (!) scharfe Characteristik der drei Reiche, unter vorwiegender Berücksichtigung der vollkomme- neren, am meisten ausgebildeten Formen aufzustellen. VI. Character des Thierreiches. Fünf Stämme des Thierreiches: 1. Vertebrata (Pachycardia et Leptocardia). 2. Mollusca (Cephalota et Acephala). 3. Articulata (Arthropoda, Ver- mes et Infusoria). 4. Echinodermata. 5. Coelenterata. VI. A. Chemischer Character des Thierreiches. Aa. Character der chemischen Substrate der Thiere. Die wichtigsten Substanzen des Thierkörpers (vor Allen das Plasma oder Protoplasma der Plastiden) sind Eiweiss-Verbindungen (Albuminate), durch deren Thätigkeit die meisten anderen Verbin- dungen des Thierleibes mittelbar oder unmittelbar erzeugt werden. Die Eiweisskörper der Thiere treten in zahlreichen noch sehr unbe- kannten Modificationen auf, von denen die wichtigsten das Thiereiweiss (das beim Erhitzen in Flocken gerinnende Albuminat der Eier, des Blutserum, des Muskelsaftes), der Thierfaserstoff (Blutfibrin, Muskel- syntonin etc.) und der Thierkäsestoff (Casein der Milch etc.) sind. Aus den Eiweiss-Verbindungen der Thierkörper gehen stickstoffhaltige, meist sauerstoffreichere und kohlenstoffärmere Eiweiss-Derivate her- vor, welche besonders als Zellenausscheidungen, als Cuticularbildungen und als Intercellularsubstanzen, eine grosse Rolle spielen, und welche auch von vielen Protisten, dagegen von den Pflanzen sehr selten, viel- leicht nie erzeugt werden: Hornsubstanz (der Epithelialgewebe), leim- gebende Substanz (der Bindegewebe), elastische Substanz und die nah- verwandte Substanz der Membranen der meisten thierischen Zellen; ferner die vielerlei Modificationen des Chitins und der verwandten Substanzen (Fibroin, Conchiolin etc.). Ebenso sind die Thiere aus- gezeichnet durch die Erzeugung von stickstoffhaltigen Säuren (Harnsäure, Hippursäure, Inosinsäure etc.), welche den Pflanzen feh- len, wogegen die stickstofffreien Säuren hier eine sehr viel geringere Verbreitung und Bedeutung, als bei den Pflanzen haben. Die stick- stoffhaltigen Basen der Thiere (Harnstoff, Kreatin, Leucin etc.) sind schwach alkalisch und fast von constanter Zusammensetzung, Haeckel, Generelle Morphologie. 14

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/248>, abgerufen am 17.05.2024.