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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Morphologische Individualität der Organismen.
bei den meisten Würmern und bei sehr vielen Dicotyledonen, fünf
bei den meisten Echinodermen und Dicotyledonen, sechs bei den
meisten Anthozoen (Enallonemen, die Rugosen ausgenommen, und
Antipathiden) und bei einigen Medusen (Carmariniden). Sehr selten
im Ganzen genommen ist der Körper aus mehr als sechs Antimeren
zusammengesetzt. Sieben kommen nur ausnahmsweise vor, z. B. bei
Luidia Savignyi unter den Seesternen, bei Trientalis europaea unter
den Phanerogamen. Acht Antimeren finden sich bei allen Ctenopho-
ren und Octactinien (Alcyonarien), dagegen sehr selten bei den Pha-
nerogamen (Mimusops unter den Sapotaceen). Ebenfalls selten treten
neun, zehn, zwölf und zwanzig oder mehr Antimeren zur Bildung des
Körpers zusammen. In der Regel sind die niedrigeren Zahlen der
Antimeren innerhalb der Species constant. Sobald aber mehr als
sechs Antimeren auftreten, wird die Grundzahl (acht ausgenommen)
innerhalb der Species schwankend und um so unbeständiger, je höher
die Zahl steigt. Dasselbe Verhältniss zeigt sich auch bei den Meta-
meren, z. B. wenn man die Insecten (mit wenigen, neun bis dreizehn
Ringen) und die Myriapoden und Arachniden (mit sehr zahlreichen
Metameren) vergleicht. Dies Verhältniss ist sehr wichtig für die Be-
gründung des Bronn'schen Gesetzes der Zahlenreduction gleichnamiger
Theile.

So unwesentlich es vom physiologischen Standpunkte aus
erscheinen mag, ob der ganze Körper (die Person) aus zwei, drei,
vier, fünf oder mehr gleichen Körpertheilen zusammengesetzt ist, von
denen jeder sämmtliche wesentliche Organ-Complexe oder typischen
Organe des Körpers in der gleichen Zahl, Form, Structur und Lage-
rung enthält, und also für sich schon die Species repräsentiren könnte,
so ausserordentlich wichtig ist die homotypische Grundzahl, wie
wir mit Bronn die specifische Antimeren-Zahl nennen können, für
die morphologische Betrachtung des Körpers als Ganzen. Ins-
besondere wird durch die Antimeren jene Summe von Form-Eigenthüm-
lichkeiten bedingt, welche man gewöhnlich als Habitus bezeichnet,
und welche oft eben so schwer zu definiren und näher zu bestimmen
ist, als sie dem geübten Auge characterbestimmend, als physiogno-
misches
Moment entgegentritt.

Freilich ist uns der Causal-Nexus zwischen dem typischen Organi-
sationscharacter und der homotypischen Grundzahl der Organismen
zur Zeit noch vollständig unbekannt. Dass er aber vorhanden ist,
beweist die auffallende Constanz, welche die Antimeren-Zahl inner-
halb der grossen Hauptabtheilungen des Thier- und Pflanzenreiches
zeigt. Ohne Ausnahme sind die Wirbelthiere und Weichthiere nur
aus zwei, die Ctenophoren und Octactinien aus acht Antimeren zu-
sammengesetzt und ganz vorherrschend ist unter den Echinodermen

Morphologische Individualität der Organismen.
bei den meisten Würmern und bei sehr vielen Dicotyledonen, fünf
bei den meisten Echinodermen und Dicotyledonen, sechs bei den
meisten Anthozoen (Enallonemen, die Rugosen ausgenommen, und
Antipathiden) und bei einigen Medusen (Carmariniden). Sehr selten
im Ganzen genommen ist der Körper aus mehr als sechs Antimeren
zusammengesetzt. Sieben kommen nur ausnahmsweise vor, z. B. bei
Luidia Savignyi unter den Seesternen, bei Trientalis europaea unter
den Phanerogamen. Acht Antimeren finden sich bei allen Ctenopho-
ren und Octactinien (Alcyonarien), dagegen sehr selten bei den Pha-
nerogamen (Mimusops unter den Sapotaceen). Ebenfalls selten treten
neun, zehn, zwölf und zwanzig oder mehr Antimeren zur Bildung des
Körpers zusammen. In der Regel sind die niedrigeren Zahlen der
Antimeren innerhalb der Species constant. Sobald aber mehr als
sechs Antimeren auftreten, wird die Grundzahl (acht ausgenommen)
innerhalb der Species schwankend und um so unbeständiger, je höher
die Zahl steigt. Dasselbe Verhältniss zeigt sich auch bei den Meta-
meren, z. B. wenn man die Insecten (mit wenigen, neun bis dreizehn
Ringen) und die Myriapoden und Arachniden (mit sehr zahlreichen
Metameren) vergleicht. Dies Verhältniss ist sehr wichtig für die Be-
gründung des Bronn’schen Gesetzes der Zahlenreduction gleichnamiger
Theile.

So unwesentlich es vom physiologischen Standpunkte aus
erscheinen mag, ob der ganze Körper (die Person) aus zwei, drei,
vier, fünf oder mehr gleichen Körpertheilen zusammengesetzt ist, von
denen jeder sämmtliche wesentliche Organ-Complexe oder typischen
Organe des Körpers in der gleichen Zahl, Form, Structur und Lage-
rung enthält, und also für sich schon die Species repräsentiren könnte,
so ausserordentlich wichtig ist die homotypische Grundzahl, wie
wir mit Bronn die specifische Antimeren-Zahl nennen können, für
die morphologische Betrachtung des Körpers als Ganzen. Ins-
besondere wird durch die Antimeren jene Summe von Form-Eigenthüm-
lichkeiten bedingt, welche man gewöhnlich als Habitus bezeichnet,
und welche oft eben so schwer zu definiren und näher zu bestimmen
ist, als sie dem geübten Auge characterbestimmend, als physiogno-
misches
Moment entgegentritt.

Freilich ist uns der Causal-Nexus zwischen dem typischen Organi-
sationscharacter und der homotypischen Grundzahl der Organismen
zur Zeit noch vollständig unbekannt. Dass er aber vorhanden ist,
beweist die auffallende Constanz, welche die Antimeren-Zahl inner-
halb der grossen Hauptabtheilungen des Thier- und Pflanzenreiches
zeigt. Ohne Ausnahme sind die Wirbelthiere und Weichthiere nur
aus zwei, die Ctenophoren und Octactinien aus acht Antimeren zu-
sammengesetzt und ganz vorherrschend ist unter den Echinodermen

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[306/0345] Morphologische Individualität der Organismen. bei den meisten Würmern und bei sehr vielen Dicotyledonen, fünf bei den meisten Echinodermen und Dicotyledonen, sechs bei den meisten Anthozoen (Enallonemen, die Rugosen ausgenommen, und Antipathiden) und bei einigen Medusen (Carmariniden). Sehr selten im Ganzen genommen ist der Körper aus mehr als sechs Antimeren zusammengesetzt. Sieben kommen nur ausnahmsweise vor, z. B. bei Luidia Savignyi unter den Seesternen, bei Trientalis europaea unter den Phanerogamen. Acht Antimeren finden sich bei allen Ctenopho- ren und Octactinien (Alcyonarien), dagegen sehr selten bei den Pha- nerogamen (Mimusops unter den Sapotaceen). Ebenfalls selten treten neun, zehn, zwölf und zwanzig oder mehr Antimeren zur Bildung des Körpers zusammen. In der Regel sind die niedrigeren Zahlen der Antimeren innerhalb der Species constant. Sobald aber mehr als sechs Antimeren auftreten, wird die Grundzahl (acht ausgenommen) innerhalb der Species schwankend und um so unbeständiger, je höher die Zahl steigt. Dasselbe Verhältniss zeigt sich auch bei den Meta- meren, z. B. wenn man die Insecten (mit wenigen, neun bis dreizehn Ringen) und die Myriapoden und Arachniden (mit sehr zahlreichen Metameren) vergleicht. Dies Verhältniss ist sehr wichtig für die Be- gründung des Bronn’schen Gesetzes der Zahlenreduction gleichnamiger Theile. So unwesentlich es vom physiologischen Standpunkte aus erscheinen mag, ob der ganze Körper (die Person) aus zwei, drei, vier, fünf oder mehr gleichen Körpertheilen zusammengesetzt ist, von denen jeder sämmtliche wesentliche Organ-Complexe oder typischen Organe des Körpers in der gleichen Zahl, Form, Structur und Lage- rung enthält, und also für sich schon die Species repräsentiren könnte, so ausserordentlich wichtig ist die homotypische Grundzahl, wie wir mit Bronn die specifische Antimeren-Zahl nennen können, für die morphologische Betrachtung des Körpers als Ganzen. Ins- besondere wird durch die Antimeren jene Summe von Form-Eigenthüm- lichkeiten bedingt, welche man gewöhnlich als Habitus bezeichnet, und welche oft eben so schwer zu definiren und näher zu bestimmen ist, als sie dem geübten Auge characterbestimmend, als physiogno- misches Moment entgegentritt. Freilich ist uns der Causal-Nexus zwischen dem typischen Organi- sationscharacter und der homotypischen Grundzahl der Organismen zur Zeit noch vollständig unbekannt. Dass er aber vorhanden ist, beweist die auffallende Constanz, welche die Antimeren-Zahl inner- halb der grossen Hauptabtheilungen des Thier- und Pflanzenreiches zeigt. Ohne Ausnahme sind die Wirbelthiere und Weichthiere nur aus zwei, die Ctenophoren und Octactinien aus acht Antimeren zu- sammengesetzt und ganz vorherrschend ist unter den Echinodermen

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/345>, abgerufen am 02.06.2024.