Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
flüssig erscheint, dieselben als zwei verschiedene Arten von Form-In-
dividuen fünften Ranges neben einander zu stellen; die letzteren kann
man Prosopa catenata, die ersteren Prosopa fruticosa nennen.

Wollte man die bisherige Auffassung der Tunicaten- und Bryozoen-
Stöcke und der analogen gliederlosen Pflanzenstöcke (Viscum etc.) als
echte Stöcke oder Cormen beibehalten, so würde dadurch sowohl der
festbestimmte morphologische Character der Person als einer Vielheit
von verbundenen Metameren, als auch der festbestimmte morphologische
Character des Cormus als einer Vielheit von verbundenen Personen
vernichtet werden, und wir würden uns ganz ausser Stande sehen,
denselben durch irgend eine andere, klare und bestimmte Definition
zu ersetzen. Es ist allerdings richtig, dass die sogenannten Stöcke
der Mollusken, von Viscum etc., äusserlich den echten Stöcken der
meisten Phanerogamen und der meisten Coelenteraten weit mehr
gleichen, als den einfachen Sprossen derselben und den Personen der
Articulaten und Vertebraten. Allein diese äussere Aehnlichkeit ist
lediglich durch die gleiche Entstehungsweise, durch die laterale
Knospung bedingt, und muss zurücktreten hinter der viel wichtigeren
morphologischen Aequivalenz aller Personen als Complexen von Meta-
meren. In den Ketten-Personen ist in der Regel der Zusammenhang
der einzelnen Metameren (Zoniten, Internodien) ein viel innigerer als
in den Busch-Personen, wo die einzelnen Metameren weit selbstständiger
erscheinen. Allein bei den niederen Würmern und insbesondere bei
den Cestoden wird auch die physiologische Selbstständigkeit der In-
ternodien so gross, dass man dieselben desshalb irrig als Einzelthier,
äquivalent eine Person, aufgefasst hat. Dieser Umstand zeigt deutlich
wie allein schon die grössere physiologische Selbstständigkeit eines
organischen Individuums dazu verleiten kann, demselben einen höhe-
ren morphologischen Rang zuzuschreiben, als dasselbe wirklich besitzt.

Wir können demnach allgemein zwei verschiedene Formen der
morphologischen Individualität fünfter Ordnung unterscheiden:

I. Ketten-Personen (Prosopa catenata), entstanden
durch terminale Knospenbildung der Metameren:
"Eigent-
liche Individuen" oder Personen der Wirbelthiere, der meisten Glie-
derthiere (aller Arthropoden, Anneliden und vieler niederer Würmer,
Bandwurmketten etc.), aller Echinodermen und der meisten Coelen-
teraten; gegliederte (aus Internodien zusammengesetzte) Sprosse der
Pflanzen (der meisten Phanerogamen und höheren Cryptogamen).

II. Busch-Personen (Prosopa fruticosa), entstanden
durch laterale Knospenbildung der Metameren:
Sogenannte
Stöcke (Pseudo-Cormen) der Mollusken (Tunicaten, Bryozoen), vieler
Coelenteraten (ohne Rumpfgliederung) und einzelner Phanerogamen
(ohne Stengelgliederung) Viscum etc., sowie vieler Cryptogamen.

V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
flüssig erscheint, dieselben als zwei verschiedene Arten von Form-In-
dividuen fünften Ranges neben einander zu stellen; die letzteren kann
man Prosopa catenata, die ersteren Prosopa fruticosa nennen.

Wollte man die bisherige Auffassung der Tunicaten- und Bryozoen-
Stöcke und der analogen gliederlosen Pflanzenstöcke (Viscum etc.) als
echte Stöcke oder Cormen beibehalten, so würde dadurch sowohl der
festbestimmte morphologische Character der Person als einer Vielheit
von verbundenen Metameren, als auch der festbestimmte morphologische
Character des Cormus als einer Vielheit von verbundenen Personen
vernichtet werden, und wir würden uns ganz ausser Stande sehen,
denselben durch irgend eine andere, klare und bestimmte Definition
zu ersetzen. Es ist allerdings richtig, dass die sogenannten Stöcke
der Mollusken, von Viscum etc., äusserlich den echten Stöcken der
meisten Phanerogamen und der meisten Coelenteraten weit mehr
gleichen, als den einfachen Sprossen derselben und den Personen der
Articulaten und Vertebraten. Allein diese äussere Aehnlichkeit ist
lediglich durch die gleiche Entstehungsweise, durch die laterale
Knospung bedingt, und muss zurücktreten hinter der viel wichtigeren
morphologischen Aequivalenz aller Personen als Complexen von Meta-
meren. In den Ketten-Personen ist in der Regel der Zusammenhang
der einzelnen Metameren (Zoniten, Internodien) ein viel innigerer als
in den Busch-Personen, wo die einzelnen Metameren weit selbstständiger
erscheinen. Allein bei den niederen Würmern und insbesondere bei
den Cestoden wird auch die physiologische Selbstständigkeit der In-
ternodien so gross, dass man dieselben desshalb irrig als Einzelthier,
äquivalent eine Person, aufgefasst hat. Dieser Umstand zeigt deutlich
wie allein schon die grössere physiologische Selbstständigkeit eines
organischen Individuums dazu verleiten kann, demselben einen höhe-
ren morphologischen Rang zuzuschreiben, als dasselbe wirklich besitzt.

Wir können demnach allgemein zwei verschiedene Formen der
morphologischen Individualität fünfter Ordnung unterscheiden:

I. Ketten-Personen (Prosopa catenata), entstanden
durch terminale Knospenbildung der Metameren:
„Eigent-
liche Individuen“ oder Personen der Wirbelthiere, der meisten Glie-
derthiere (aller Arthropoden, Anneliden und vieler niederer Würmer,
Bandwurmketten etc.), aller Echinodermen und der meisten Coelen-
teraten; gegliederte (aus Internodien zusammengesetzte) Sprosse der
Pflanzen (der meisten Phanerogamen und höheren Cryptogamen).

II. Busch-Personen (Prosopa fruticosa), entstanden
durch laterale Knospenbildung der Metameren:
Sogenannte
Stöcke (Pseudo-Cormen) der Mollusken (Tunicaten, Bryozoen), vieler
Coelenteraten (ohne Rumpfgliederung) und einzelner Phanerogamen
(ohne Stengelgliederung) Viscum etc., sowie vieler Cryptogamen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0364" n="325"/><fw place="top" type="header">V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.</fw><lb/>
flüssig erscheint, dieselben als zwei verschiedene Arten von Form-In-<lb/>
dividuen fünften Ranges neben einander zu stellen; die letzteren kann<lb/>
man <hi rendition="#g">Prosopa catenata,</hi> die ersteren <hi rendition="#g">Prosopa fruticosa</hi> nennen.</p><lb/>
            <p>Wollte man die bisherige Auffassung der Tunicaten- und Bryozoen-<lb/>
Stöcke und der analogen gliederlosen Pflanzenstöcke (<hi rendition="#i">Viscum</hi> etc.) als<lb/>
echte Stöcke oder Cormen beibehalten, so würde dadurch sowohl der<lb/>
festbestimmte morphologische Character der Person als einer Vielheit<lb/>
von verbundenen Metameren, als auch der festbestimmte morphologische<lb/>
Character des Cormus als einer Vielheit von verbundenen Personen<lb/>
vernichtet werden, und wir würden uns ganz ausser Stande sehen,<lb/>
denselben durch irgend eine andere, klare und bestimmte Definition<lb/>
zu ersetzen. Es ist allerdings richtig, dass die sogenannten Stöcke<lb/>
der Mollusken, von <hi rendition="#i">Viscum</hi> etc., äusserlich den echten Stöcken der<lb/>
meisten Phanerogamen und der meisten Coelenteraten weit mehr<lb/>
gleichen, als den einfachen Sprossen derselben und den Personen der<lb/>
Articulaten und Vertebraten. Allein diese äussere Aehnlichkeit ist<lb/>
lediglich durch die gleiche Entstehungsweise, durch die laterale<lb/>
Knospung bedingt, und muss zurücktreten hinter der viel wichtigeren<lb/>
morphologischen Aequivalenz aller Personen als Complexen von Meta-<lb/>
meren. In den Ketten-Personen ist in der Regel der Zusammenhang<lb/>
der einzelnen Metameren (Zoniten, Internodien) ein viel innigerer als<lb/>
in den Busch-Personen, wo die einzelnen Metameren weit selbstständiger<lb/>
erscheinen. Allein bei den niederen Würmern und insbesondere bei<lb/>
den Cestoden wird auch die physiologische Selbstständigkeit der In-<lb/>
ternodien so gross, dass man dieselben desshalb irrig als Einzelthier,<lb/>
äquivalent eine Person, aufgefasst hat. Dieser Umstand zeigt deutlich<lb/>
wie allein schon die grössere physiologische Selbstständigkeit eines<lb/>
organischen Individuums dazu verleiten kann, demselben einen höhe-<lb/>
ren morphologischen Rang zuzuschreiben, als dasselbe wirklich besitzt.</p><lb/>
            <p>Wir können demnach allgemein zwei verschiedene Formen der<lb/>
morphologischen Individualität fünfter Ordnung unterscheiden:</p><lb/>
            <p>I. <hi rendition="#g">Ketten-Personen (Prosopa catenata), entstanden<lb/>
durch terminale Knospenbildung der Metameren:</hi> &#x201E;Eigent-<lb/>
liche Individuen&#x201C; oder Personen der Wirbelthiere, der meisten Glie-<lb/>
derthiere (aller Arthropoden, Anneliden und vieler niederer Würmer,<lb/>
Bandwurmketten etc.), aller Echinodermen und der meisten Coelen-<lb/>
teraten; gegliederte (aus Internodien zusammengesetzte) Sprosse der<lb/>
Pflanzen (der meisten Phanerogamen und höheren Cryptogamen).</p><lb/>
            <p>II. <hi rendition="#g">Busch-Personen (Prosopa fruticosa), entstanden<lb/>
durch laterale Knospenbildung der Metameren:</hi> Sogenannte<lb/>
Stöcke (Pseudo-Cormen) der Mollusken (Tunicaten, Bryozoen), vieler<lb/>
Coelenteraten (ohne Rumpfgliederung) und einzelner Phanerogamen<lb/>
(ohne Stengelgliederung) <hi rendition="#i">Viscum</hi> etc., sowie vieler Cryptogamen.</p>
          </div><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0364] V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen. flüssig erscheint, dieselben als zwei verschiedene Arten von Form-In- dividuen fünften Ranges neben einander zu stellen; die letzteren kann man Prosopa catenata, die ersteren Prosopa fruticosa nennen. Wollte man die bisherige Auffassung der Tunicaten- und Bryozoen- Stöcke und der analogen gliederlosen Pflanzenstöcke (Viscum etc.) als echte Stöcke oder Cormen beibehalten, so würde dadurch sowohl der festbestimmte morphologische Character der Person als einer Vielheit von verbundenen Metameren, als auch der festbestimmte morphologische Character des Cormus als einer Vielheit von verbundenen Personen vernichtet werden, und wir würden uns ganz ausser Stande sehen, denselben durch irgend eine andere, klare und bestimmte Definition zu ersetzen. Es ist allerdings richtig, dass die sogenannten Stöcke der Mollusken, von Viscum etc., äusserlich den echten Stöcken der meisten Phanerogamen und der meisten Coelenteraten weit mehr gleichen, als den einfachen Sprossen derselben und den Personen der Articulaten und Vertebraten. Allein diese äussere Aehnlichkeit ist lediglich durch die gleiche Entstehungsweise, durch die laterale Knospung bedingt, und muss zurücktreten hinter der viel wichtigeren morphologischen Aequivalenz aller Personen als Complexen von Meta- meren. In den Ketten-Personen ist in der Regel der Zusammenhang der einzelnen Metameren (Zoniten, Internodien) ein viel innigerer als in den Busch-Personen, wo die einzelnen Metameren weit selbstständiger erscheinen. Allein bei den niederen Würmern und insbesondere bei den Cestoden wird auch die physiologische Selbstständigkeit der In- ternodien so gross, dass man dieselben desshalb irrig als Einzelthier, äquivalent eine Person, aufgefasst hat. Dieser Umstand zeigt deutlich wie allein schon die grössere physiologische Selbstständigkeit eines organischen Individuums dazu verleiten kann, demselben einen höhe- ren morphologischen Rang zuzuschreiben, als dasselbe wirklich besitzt. Wir können demnach allgemein zwei verschiedene Formen der morphologischen Individualität fünfter Ordnung unterscheiden: I. Ketten-Personen (Prosopa catenata), entstanden durch terminale Knospenbildung der Metameren: „Eigent- liche Individuen“ oder Personen der Wirbelthiere, der meisten Glie- derthiere (aller Arthropoden, Anneliden und vieler niederer Würmer, Bandwurmketten etc.), aller Echinodermen und der meisten Coelen- teraten; gegliederte (aus Internodien zusammengesetzte) Sprosse der Pflanzen (der meisten Phanerogamen und höheren Cryptogamen). II. Busch-Personen (Prosopa fruticosa), entstanden durch laterale Knospenbildung der Metameren: Sogenannte Stöcke (Pseudo-Cormen) der Mollusken (Tunicaten, Bryozoen), vieler Coelenteraten (ohne Rumpfgliederung) und einzelner Phanerogamen (ohne Stengelgliederung) Viscum etc., sowie vieler Cryptogamen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/364
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/364>, abgerufen am 23.11.2024.