Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

Bild:
<< vorherige Seite

II. Die Organe als Bionten.
wesentlich negative Begriffsbestimmung durch eine allgemein gültige
positive zu ersetzen. Vielmehr müssen wir jeden Plastiden-Complex,
also jede aus zwei oder mehr Plastiden zusammengesetzte Formeinheit
von bestimmter Grösse und Zusammensetzung ein Organ nennen, so-
bald dieselbe nicht den bestimmten Form-Character eines Individuums
dritter oder höherer Ordnung trägt.

In jedem Organismus, welcher einer höheren Ordnung angehört, ist es
leicht, die untergeordneten Individualitäten als solche zu erkennen, die Me-
tameren, Antimeren und Plastiden zu bestimmen. Organe werden wir hier
also alle diejenigen einheitlichen Gestalterscheinungen nennen, welche keiner
der fünf anderen Individualitäts-Ordnungen angehören. In den tectologisch
so bestimmt differenzirten Phanerogamen, Wirbelthieren, Articulaten etc.
werden wir daher niemals in Zweifel sein, welche Theile wir als Organe zu
betrachten haben, und welche nicht. Schwieriger wird diese Unterschei-
dung aber bei vielen niederen Formen beider Reiche, besonders den Crypto-
gamen, und kaum möglich erscheint sie oft bei den Protisten. Hier kommt
nun Alles darauf an, den morphologischen und den physiologischen Begriff
des Organs scharf zu sondern. Lediglich der erstere giebt uns das Form-
Individuum zweiter Ordnung.

Das Organ als physiologische Einheit kann ein integrirender
Bestandtheil von Form-Individuen aller sechs Ordnungen sein, und bedeutet
weiter nichts als einen Körpertheil, welcher eine bestimmte Verrichtung
leistet. So ist z. B. an einer Flimmerzelle das Flimmerhaar ein Organ der
Plastide, und ebenso an einer Nesselzelle die Nesselkapsel und der Nessel-
faden. An jedem zusammengesetzten Organe sind die untergeordneten
Theile, welche Plastiden-Complexe sind, zugleich "Organe des Organs."
(Hierauf beruht die oben angeführte Unterscheidung der Organe von fünf
verschiedenen Ordnungen). Jedes Antimer ist aus mehreren Organen zu-
sammengesetzt, kann aber selbst als "Organ" einer Person erscheinen (z. B.
die Arme der Seesterne). Ebenso kann man die Metameren vom physio-
logischen Gesichtspunkte aus als "Organe der Person", und die Personen
als "Organe des Stockes" bezeichnen, wie z. B. ersteres bei den Glieder-
würmern, letzteres bei den Siphonophoren sehr häufig geschieht. In allen
diesen Fällen leitet beim Gebrauche des Wortes Organ die Vorstellung
von der physiologischen Leistung, welche dasselbe als integrirender Bestand-
theil eines anderen Körpers ausführt.

Ganz anders verhält es sich mit dem morphologischen Begriffe
des Organs.
Dieser bedeutet stets nur eine solche untheilbare Formein-
heit von constanter Grösse und Zusammensetzung, welche eine Mehrheit
von Plastiden umfasst, und welche weder als Antimer, noch als Metamer,
weder als Person, noch als Stock betrachtet werden kann. Solche Form-
einheiten kommen nun in der That nicht nur ganz allgemein als constituirende
Bestandtheile aller morphologischen Individuen dritter bis sechster Ordnung
vor, sondern dieselben treten auch als physiologische Individuen vollkom-
men selbstständig auf, seltener freilich als actuelle, sehr allgemein aber als
virtuelle und bisweilen in sehr auffallender Form als partielle Bionten.

II. Die Organe als Bionten.
wesentlich negative Begriffsbestimmung durch eine allgemein gültige
positive zu ersetzen. Vielmehr müssen wir jeden Plastiden-Complex,
also jede aus zwei oder mehr Plastiden zusammengesetzte Formeinheit
von bestimmter Grösse und Zusammensetzung ein Organ nennen, so-
bald dieselbe nicht den bestimmten Form-Character eines Individuums
dritter oder höherer Ordnung trägt.

In jedem Organismus, welcher einer höheren Ordnung angehört, ist es
leicht, die untergeordneten Individualitäten als solche zu erkennen, die Me-
tameren, Antimeren und Plastiden zu bestimmen. Organe werden wir hier
also alle diejenigen einheitlichen Gestalterscheinungen nennen, welche keiner
der fünf anderen Individualitäts-Ordnungen angehören. In den tectologisch
so bestimmt differenzirten Phanerogamen, Wirbelthieren, Articulaten etc.
werden wir daher niemals in Zweifel sein, welche Theile wir als Organe zu
betrachten haben, und welche nicht. Schwieriger wird diese Unterschei-
dung aber bei vielen niederen Formen beider Reiche, besonders den Crypto-
gamen, und kaum möglich erscheint sie oft bei den Protisten. Hier kommt
nun Alles darauf an, den morphologischen und den physiologischen Begriff
des Organs scharf zu sondern. Lediglich der erstere giebt uns das Form-
Individuum zweiter Ordnung.

Das Organ als physiologische Einheit kann ein integrirender
Bestandtheil von Form-Individuen aller sechs Ordnungen sein, und bedeutet
weiter nichts als einen Körpertheil, welcher eine bestimmte Verrichtung
leistet. So ist z. B. an einer Flimmerzelle das Flimmerhaar ein Organ der
Plastide, und ebenso an einer Nesselzelle die Nesselkapsel und der Nessel-
faden. An jedem zusammengesetzten Organe sind die untergeordneten
Theile, welche Plastiden-Complexe sind, zugleich „Organe des Organs.“
(Hierauf beruht die oben angeführte Unterscheidung der Organe von fünf
verschiedenen Ordnungen). Jedes Antimer ist aus mehreren Organen zu-
sammengesetzt, kann aber selbst als „Organ“ einer Person erscheinen (z. B.
die Arme der Seesterne). Ebenso kann man die Metameren vom physio-
logischen Gesichtspunkte aus als „Organe der Person“, und die Personen
als „Organe des Stockes“ bezeichnen, wie z. B. ersteres bei den Glieder-
würmern, letzteres bei den Siphonophoren sehr häufig geschieht. In allen
diesen Fällen leitet beim Gebrauche des Wortes Organ die Vorstellung
von der physiologischen Leistung, welche dasselbe als integrirender Bestand-
theil eines anderen Körpers ausführt.

Ganz anders verhält es sich mit dem morphologischen Begriffe
des Organs.
Dieser bedeutet stets nur eine solche untheilbare Formein-
heit von constanter Grösse und Zusammensetzung, welche eine Mehrheit
von Plastiden umfasst, und welche weder als Antimer, noch als Metamer,
weder als Person, noch als Stock betrachtet werden kann. Solche Form-
einheiten kommen nun in der That nicht nur ganz allgemein als constituirende
Bestandtheile aller morphologischen Individuen dritter bis sechster Ordnung
vor, sondern dieselben treten auch als physiologische Individuen vollkom-
men selbstständig auf, seltener freilich als actuelle, sehr allgemein aber als
virtuelle und bisweilen in sehr auffallender Form als partielle Bionten.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0380" n="341"/><fw place="top" type="header">II. Die Organe als Bionten.</fw><lb/>
wesentlich negative Begriffsbestimmung durch eine allgemein gültige<lb/>
positive zu ersetzen. Vielmehr müssen wir jeden Plastiden-Complex,<lb/>
also jede aus zwei oder mehr Plastiden zusammengesetzte Formeinheit<lb/>
von bestimmter Grösse und Zusammensetzung ein Organ nennen, so-<lb/>
bald dieselbe nicht den bestimmten Form-Character eines Individuums<lb/>
dritter oder höherer Ordnung trägt.</p><lb/>
            <p>In jedem Organismus, welcher einer höheren Ordnung angehört, ist es<lb/>
leicht, die untergeordneten Individualitäten als solche zu erkennen, die Me-<lb/>
tameren, Antimeren und Plastiden zu bestimmen. Organe werden wir hier<lb/>
also alle diejenigen einheitlichen Gestalterscheinungen nennen, welche keiner<lb/>
der fünf anderen Individualitäts-Ordnungen angehören. In den tectologisch<lb/>
so bestimmt differenzirten Phanerogamen, Wirbelthieren, Articulaten etc.<lb/>
werden wir daher niemals in Zweifel sein, welche Theile wir als Organe zu<lb/>
betrachten haben, und welche nicht. Schwieriger wird diese Unterschei-<lb/>
dung aber bei vielen niederen Formen beider Reiche, besonders den Crypto-<lb/>
gamen, und kaum möglich erscheint sie oft bei den Protisten. Hier kommt<lb/>
nun Alles darauf an, den morphologischen und den physiologischen Begriff<lb/>
des Organs scharf zu sondern. Lediglich der erstere giebt uns das Form-<lb/>
Individuum zweiter Ordnung.</p><lb/>
            <p>Das <hi rendition="#g">Organ als physiologische Einheit</hi> kann ein integrirender<lb/>
Bestandtheil von Form-Individuen aller sechs Ordnungen sein, und bedeutet<lb/>
weiter nichts als einen Körpertheil, welcher eine bestimmte Verrichtung<lb/>
leistet. So ist z. B. an einer Flimmerzelle das Flimmerhaar ein Organ der<lb/>
Plastide, und ebenso an einer Nesselzelle die Nesselkapsel und der Nessel-<lb/>
faden. An jedem zusammengesetzten Organe sind die untergeordneten<lb/>
Theile, welche Plastiden-Complexe sind, zugleich &#x201E;Organe des Organs.&#x201C;<lb/>
(Hierauf beruht die oben angeführte Unterscheidung der Organe von fünf<lb/>
verschiedenen Ordnungen). Jedes Antimer ist aus mehreren Organen zu-<lb/>
sammengesetzt, kann aber selbst als &#x201E;Organ&#x201C; einer Person erscheinen (z. B.<lb/>
die Arme der Seesterne). Ebenso kann man die Metameren vom physio-<lb/>
logischen Gesichtspunkte aus als &#x201E;Organe der Person&#x201C;, und die Personen<lb/>
als &#x201E;Organe des Stockes&#x201C; bezeichnen, wie z. B. ersteres bei den Glieder-<lb/>
würmern, letzteres bei den Siphonophoren sehr häufig geschieht. In allen<lb/>
diesen Fällen leitet beim Gebrauche des Wortes Organ die Vorstellung<lb/>
von der physiologischen Leistung, welche dasselbe als integrirender Bestand-<lb/>
theil eines anderen Körpers ausführt.</p><lb/>
            <p>Ganz anders verhält es sich mit dem <hi rendition="#g">morphologischen Begriffe<lb/>
des Organs.</hi> Dieser bedeutet stets nur eine solche untheilbare Formein-<lb/>
heit von constanter Grösse und Zusammensetzung, welche eine Mehrheit<lb/>
von Plastiden umfasst, und welche weder als Antimer, noch als Metamer,<lb/>
weder als Person, noch als Stock betrachtet werden kann. Solche Form-<lb/>
einheiten kommen nun in der That nicht nur ganz allgemein als constituirende<lb/>
Bestandtheile aller morphologischen Individuen dritter bis sechster Ordnung<lb/>
vor, sondern dieselben treten auch als physiologische Individuen vollkom-<lb/>
men selbstständig auf, seltener freilich als actuelle, sehr allgemein aber als<lb/>
virtuelle und bisweilen in sehr auffallender Form als partielle Bionten.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[341/0380] II. Die Organe als Bionten. wesentlich negative Begriffsbestimmung durch eine allgemein gültige positive zu ersetzen. Vielmehr müssen wir jeden Plastiden-Complex, also jede aus zwei oder mehr Plastiden zusammengesetzte Formeinheit von bestimmter Grösse und Zusammensetzung ein Organ nennen, so- bald dieselbe nicht den bestimmten Form-Character eines Individuums dritter oder höherer Ordnung trägt. In jedem Organismus, welcher einer höheren Ordnung angehört, ist es leicht, die untergeordneten Individualitäten als solche zu erkennen, die Me- tameren, Antimeren und Plastiden zu bestimmen. Organe werden wir hier also alle diejenigen einheitlichen Gestalterscheinungen nennen, welche keiner der fünf anderen Individualitäts-Ordnungen angehören. In den tectologisch so bestimmt differenzirten Phanerogamen, Wirbelthieren, Articulaten etc. werden wir daher niemals in Zweifel sein, welche Theile wir als Organe zu betrachten haben, und welche nicht. Schwieriger wird diese Unterschei- dung aber bei vielen niederen Formen beider Reiche, besonders den Crypto- gamen, und kaum möglich erscheint sie oft bei den Protisten. Hier kommt nun Alles darauf an, den morphologischen und den physiologischen Begriff des Organs scharf zu sondern. Lediglich der erstere giebt uns das Form- Individuum zweiter Ordnung. Das Organ als physiologische Einheit kann ein integrirender Bestandtheil von Form-Individuen aller sechs Ordnungen sein, und bedeutet weiter nichts als einen Körpertheil, welcher eine bestimmte Verrichtung leistet. So ist z. B. an einer Flimmerzelle das Flimmerhaar ein Organ der Plastide, und ebenso an einer Nesselzelle die Nesselkapsel und der Nessel- faden. An jedem zusammengesetzten Organe sind die untergeordneten Theile, welche Plastiden-Complexe sind, zugleich „Organe des Organs.“ (Hierauf beruht die oben angeführte Unterscheidung der Organe von fünf verschiedenen Ordnungen). Jedes Antimer ist aus mehreren Organen zu- sammengesetzt, kann aber selbst als „Organ“ einer Person erscheinen (z. B. die Arme der Seesterne). Ebenso kann man die Metameren vom physio- logischen Gesichtspunkte aus als „Organe der Person“, und die Personen als „Organe des Stockes“ bezeichnen, wie z. B. ersteres bei den Glieder- würmern, letzteres bei den Siphonophoren sehr häufig geschieht. In allen diesen Fällen leitet beim Gebrauche des Wortes Organ die Vorstellung von der physiologischen Leistung, welche dasselbe als integrirender Bestand- theil eines anderen Körpers ausführt. Ganz anders verhält es sich mit dem morphologischen Begriffe des Organs. Dieser bedeutet stets nur eine solche untheilbare Formein- heit von constanter Grösse und Zusammensetzung, welche eine Mehrheit von Plastiden umfasst, und welche weder als Antimer, noch als Metamer, weder als Person, noch als Stock betrachtet werden kann. Solche Form- einheiten kommen nun in der That nicht nur ganz allgemein als constituirende Bestandtheile aller morphologischen Individuen dritter bis sechster Ordnung vor, sondern dieselben treten auch als physiologische Individuen vollkom- men selbstständig auf, seltener freilich als actuelle, sehr allgemein aber als virtuelle und bisweilen in sehr auffallender Form als partielle Bionten.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/380
Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/380>, abgerufen am 23.11.2024.