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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Physiologische Individualität der Organismen.
IV. A. Die Metameren als actuelle Bionten.

Dass in ansehnlichen Abtheilungen des Thierreichs das physiolo-
gische Individuum nicht, wie bei den meisten Thieren, den morpholo-
gischen Werth der Person, sondern den des Metameres, also nicht den
Formwerth fünfter, sondern nur vierter Ordnung besitzt, ist bisher
gänzlich übersehen, oder doch bei der herrschenden allgemeinen Un-
klarheit über den Individualitäts-Begriff nicht richtig erkannt worden.
In der That erhebt sich aber die reife Species-Form als actuelles
Bion sehr oft nicht zu derselben tectologischen Stufe, zur Höhe der
Person, welche sie bei den Wirbelthieren, Arthropoden und Echino-
dermen erreicht, bleibt vielmehr vorher eine Stufe niedriger, auf der
Metameren-Form, stehen. Es ist dies der Fall bei den meisten Thie-
ren, welche als actuelle Bionten nicht selbst aus Metameren zusam-
mengesetzt sind, also z. B. bei den allermeisten Mollusken (allen
höheren und den "solitären" niederen Formen), bei vielen niederen
Würmern (Trematoden etc.) und bei vielen Coelenteraten (einem
Theile der Hydromedusen, Ctenophoren etc.).

Um diese neue Auffassung zu rechtfertigen, müssen wir von der Be-
trachtung des Articulaten-Stammes ausgehen, in welchem die niederen For-
men auf der Metameren-Stufe stehen bleiben, während die höheren Formen
durch Aggregation von Metameren, die hinter einander liegen, Metameren-
Ketten, d. h. Personen bilden. Bei allen Arthropoden und bei allen, un-
mittelbar sich an sie anschliessenden, gegliederten Würmern (Anneliden,
Cestoden) kann kein Zweifel sein, dass sie als reife Species-Repräsentanten
(actuelle Bionten) den morphologischen Werth der Person, des Form-In-
dividuums fünfter Ordnung, besitzen, ebenso gut wie die einzelnen Wirbel-
thiere. Wie bei letzteren, besteht ihr individueller Körper aus einer Kette
hintereinander gelegener Metameren, deren jedes aus zwei seitlichen Anti-
meren zusammengesetzt ist. Jedes Antimer ist wiederum aus einer Summe
von zusammengesetzten und einfachen Organen construirt, und diese Organe
selbst sind wieder Mehrheiten von Plastiden. Es besteht also bei allen
Wirbelthieren und höheren Articulaten (Arthropoden und gegliederten Wür-
mern) der ganze Körper des actuellen Bion aus einer Summe von sub-
ordinirten Form-Individuen erster bis vierter Ordnung, und ist mithin selbst
ein Form-Individuum fünfter Ordnung, eine Person. Der einzige Unter-
schied zwischen den Wirbelthieren und Arthropoden einerseits, und den
gegliederten Würmern andererseits, besteht darin, dass die Metameren bei
letzteren unter einander sehr gleichartig und daher von einander sehr un-
abhängig, dagegen bei ersteren sehr ungleichartig (differenzirt) und daher
vom Ganzen und von einander sehr abhängig sind.

Wenden wir uns nun von den höheren Articulaten zu den niederen, so
treffen wir hier wesentlich verschiedene Verhältnisse an. Bei allen Infu-
sorien (die wir für eine Ausgangsgruppe der Articulaten halten), bei den
ihnen nächstverwandten Turbellarien, bei den Trematoden und Nematoden

Physiologische Individualität der Organismen.
IV. A. Die Metameren als actuelle Bionten.

Dass in ansehnlichen Abtheilungen des Thierreichs das physiolo-
gische Individuum nicht, wie bei den meisten Thieren, den morpholo-
gischen Werth der Person, sondern den des Metameres, also nicht den
Formwerth fünfter, sondern nur vierter Ordnung besitzt, ist bisher
gänzlich übersehen, oder doch bei der herrschenden allgemeinen Un-
klarheit über den Individualitäts-Begriff nicht richtig erkannt worden.
In der That erhebt sich aber die reife Species-Form als actuelles
Bion sehr oft nicht zu derselben tectologischen Stufe, zur Höhe der
Person, welche sie bei den Wirbelthieren, Arthropoden und Echino-
dermen erreicht, bleibt vielmehr vorher eine Stufe niedriger, auf der
Metameren-Form, stehen. Es ist dies der Fall bei den meisten Thie-
ren, welche als actuelle Bionten nicht selbst aus Metameren zusam-
mengesetzt sind, also z. B. bei den allermeisten Mollusken (allen
höheren und den „solitären“ niederen Formen), bei vielen niederen
Würmern (Trematoden etc.) und bei vielen Coelenteraten (einem
Theile der Hydromedusen, Ctenophoren etc.).

Um diese neue Auffassung zu rechtfertigen, müssen wir von der Be-
trachtung des Articulaten-Stammes ausgehen, in welchem die niederen For-
men auf der Metameren-Stufe stehen bleiben, während die höheren Formen
durch Aggregation von Metameren, die hinter einander liegen, Metameren-
Ketten, d. h. Personen bilden. Bei allen Arthropoden und bei allen, un-
mittelbar sich an sie anschliessenden, gegliederten Würmern (Anneliden,
Cestoden) kann kein Zweifel sein, dass sie als reife Species-Repräsentanten
(actuelle Bionten) den morphologischen Werth der Person, des Form-In-
dividuums fünfter Ordnung, besitzen, ebenso gut wie die einzelnen Wirbel-
thiere. Wie bei letzteren, besteht ihr individueller Körper aus einer Kette
hintereinander gelegener Metameren, deren jedes aus zwei seitlichen Anti-
meren zusammengesetzt ist. Jedes Antimer ist wiederum aus einer Summe
von zusammengesetzten und einfachen Organen construirt, und diese Organe
selbst sind wieder Mehrheiten von Plastiden. Es besteht also bei allen
Wirbelthieren und höheren Articulaten (Arthropoden und gegliederten Wür-
mern) der ganze Körper des actuellen Bion aus einer Summe von sub-
ordinirten Form-Individuen erster bis vierter Ordnung, und ist mithin selbst
ein Form-Individuum fünfter Ordnung, eine Person. Der einzige Unter-
schied zwischen den Wirbelthieren und Arthropoden einerseits, und den
gegliederten Würmern andererseits, besteht darin, dass die Metameren bei
letzteren unter einander sehr gleichartig und daher von einander sehr un-
abhängig, dagegen bei ersteren sehr ungleichartig (differenzirt) und daher
vom Ganzen und von einander sehr abhängig sind.

Wenden wir uns nun von den höheren Articulaten zu den niederen, so
treffen wir hier wesentlich verschiedene Verhältnisse an. Bei allen Infu-
sorien (die wir für eine Ausgangsgruppe der Articulaten halten), bei den
ihnen nächstverwandten Turbellarien, bei den Trematoden und Nematoden

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[352/0391] Physiologische Individualität der Organismen. IV. A. Die Metameren als actuelle Bionten. Dass in ansehnlichen Abtheilungen des Thierreichs das physiolo- gische Individuum nicht, wie bei den meisten Thieren, den morpholo- gischen Werth der Person, sondern den des Metameres, also nicht den Formwerth fünfter, sondern nur vierter Ordnung besitzt, ist bisher gänzlich übersehen, oder doch bei der herrschenden allgemeinen Un- klarheit über den Individualitäts-Begriff nicht richtig erkannt worden. In der That erhebt sich aber die reife Species-Form als actuelles Bion sehr oft nicht zu derselben tectologischen Stufe, zur Höhe der Person, welche sie bei den Wirbelthieren, Arthropoden und Echino- dermen erreicht, bleibt vielmehr vorher eine Stufe niedriger, auf der Metameren-Form, stehen. Es ist dies der Fall bei den meisten Thie- ren, welche als actuelle Bionten nicht selbst aus Metameren zusam- mengesetzt sind, also z. B. bei den allermeisten Mollusken (allen höheren und den „solitären“ niederen Formen), bei vielen niederen Würmern (Trematoden etc.) und bei vielen Coelenteraten (einem Theile der Hydromedusen, Ctenophoren etc.). Um diese neue Auffassung zu rechtfertigen, müssen wir von der Be- trachtung des Articulaten-Stammes ausgehen, in welchem die niederen For- men auf der Metameren-Stufe stehen bleiben, während die höheren Formen durch Aggregation von Metameren, die hinter einander liegen, Metameren- Ketten, d. h. Personen bilden. Bei allen Arthropoden und bei allen, un- mittelbar sich an sie anschliessenden, gegliederten Würmern (Anneliden, Cestoden) kann kein Zweifel sein, dass sie als reife Species-Repräsentanten (actuelle Bionten) den morphologischen Werth der Person, des Form-In- dividuums fünfter Ordnung, besitzen, ebenso gut wie die einzelnen Wirbel- thiere. Wie bei letzteren, besteht ihr individueller Körper aus einer Kette hintereinander gelegener Metameren, deren jedes aus zwei seitlichen Anti- meren zusammengesetzt ist. Jedes Antimer ist wiederum aus einer Summe von zusammengesetzten und einfachen Organen construirt, und diese Organe selbst sind wieder Mehrheiten von Plastiden. Es besteht also bei allen Wirbelthieren und höheren Articulaten (Arthropoden und gegliederten Wür- mern) der ganze Körper des actuellen Bion aus einer Summe von sub- ordinirten Form-Individuen erster bis vierter Ordnung, und ist mithin selbst ein Form-Individuum fünfter Ordnung, eine Person. Der einzige Unter- schied zwischen den Wirbelthieren und Arthropoden einerseits, und den gegliederten Würmern andererseits, besteht darin, dass die Metameren bei letzteren unter einander sehr gleichartig und daher von einander sehr un- abhängig, dagegen bei ersteren sehr ungleichartig (differenzirt) und daher vom Ganzen und von einander sehr abhängig sind. Wenden wir uns nun von den höheren Articulaten zu den niederen, so treffen wir hier wesentlich verschiedene Verhältnisse an. Bei allen Infu- sorien (die wir für eine Ausgangsgruppe der Articulaten halten), bei den ihnen nächstverwandten Turbellarien, bei den Trematoden und Nematoden

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/391>, abgerufen am 23.11.2024.